Die Aufregung war groß. Vor einem Jahr publizierte die Industriestaatenorganisation OECD einen Bericht zur Entwicklung des regionalen Wohlstands in ihren Mitgliedsländern. Die Ergebnisse waren für Wien fatal. In puncto kaufkraftbereinigte Wirtschaftsleistung pro Kopf (BIP pro Kopf) hat die Hauptstadt seit dem Jahr 2000 im Ranking 20 Positionen eingebüßt. Im Vergleich von 329 Ballungsräumen lag Wien nur noch auf Rang 104 und wurde von Städten wie Bratislava überholt.

Als die OECD die genauen Daten zu dem Bericht auf STANDARD-Anfrage vorlegte, folgte noch eine negative Überraschung: Der Rückfall war sogar stärker. Weil es zwischenzeitlich eine Datenrevision gegeben hatte und einige US-Städte besser in der Statistik abschnitten, stellte sich heraus, dass Wien nicht um 20, sondern sogar um 30 Plätze im Ranking zurückgefallen war. Die Entwicklung sorgte für Schlagzeilen. Die FPÖ ging in die Offensive gegen das rote Wien: Die SPÖ wirtschafte die Stadt herunter, so der Tenor – besonders weil ein Faktor hinter der Entwicklung die steigenden Migrationszahlen gewesen seien.

Die Bevölkerung der Stadt ist tatsächlich überdimensional stark gewachsen in den vergangenen Jahren. Neben Zuwanderern aus Osteuropa haben sich hier auch die meisten der Flüchtlinge niedergelassen, die nach 2015 gekommen sind. Weil im Vergleich dazu die Zahl der Erwerbstätigen nur moderat stieg – viele Flüchtlinge kommen zum Beispiel nicht sofort am Arbeitsmarkt unter –, ist die Wirtschaftsleistung pro Kopf nur moderat gestiegen.

Was ein Ranking sagt – und was nicht

Freilich ist das OECD-Ranking oft falsch gelesen worden. Die Zurückstufung um zahlreiche Plätze im Ranking lag eben auch daran, dass sich andere Städte stark verbessert haben. Der Wohlstand stieg auch in Wien, die Stadt verlor nur relativ im Ranking, weil Metropolen in Osteuropa reicher geworden sind. Hinzu kommt: Wenn mehr Migranten kommen und dadurch das BIP pro Kopf sinkt, heißt das natürlich nicht, dass irgendjemand tatsächlich ärmer wird.

Seit dem Bericht ist das Interesse an der regionalen Wirtschaftsentwicklung jedenfalls größer. Die Statistik Austria hat nun die neuesten Zahlen zu der Entwicklung in den einzelnen Bundesländern vorgelegt. Die Ergebnisse zu Wien sind interessant. Die wirtschaftliche Entwicklung in der Hauptstadt ist im Bundesländervergleich tatsächlich unterdurchschnittlich gewesen. Das inflationsbereinigte BIP pro Kopf ist in Wien langsamer gewachsen, wie die Zahlen der Statistik zeigen.

Insgesamt gab es dennoch eine Steigerung: Inflationsbereinigt legte die Wirtschaftsleistung pro Kopf seit dem Jahr 2000 um 38 Prozent zu. Dass Wiens Wirtschaft pro Kopf im Österreich-Vergleich langsamer gewachsen ist, hat laut der Statistikerin Kerstin Gruber zwei Gründe: Neben dem erwähnten Faktor Migration spielt ein Rückgang bei der Produktion in der chemischen Industrie eine wichtige Rolle.

Welche Ursache sich stärker ausgewirkt hat, kann Gruber nicht sagen. Andere Bundesländer wie etwa Vorarlberg haben tendenziell davon profitiert, dass die Industrieproduktion bei ihnen eher angezogen hat.

Schlusslicht bei Einkommen

Die Wirtschaftsstruktur hat noch eine interessante Folge. Die Statistik hat sich nämlich auch angesehen, wie sich die Pro-Kopf-Einkommen in den einzelnen Bundesländern entwickelt haben. Hier wird nicht auf die Wirtschaftsleistung, sondern auf tatsächlich ausbezahltes Geld pro Einwohner, also Löhne, Arbeitslosengeld, Pensionen abgestellt. Wien hat demnach das niedrigste Einkommen pro Kopf (siehe Grafik). Das liegt unter anderem daran, dass in der Hauptstadt viele weniger gut bezahlte Jobs im Dienstleistungssektor entstanden sind. Zudem wohnen viele gut verdienende Einpendler im Speckgürtel. (András Szigetvari, 12.12.2019)