Unterstützer Netanjahus gingen am Mittwoch auf die Straße. Aber der Druck auf ihn wird immer größer.

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Monatelang haben sie in Israel um eine neue Regierung gerungen: Doch weder Premierminister Benjamin Netanjahu vom rechtskonservativen Likud noch seinem Herausforderer Benny Gantz vom Bündnis Blau-Weiß war es in den vergangenen zweieinhalb Monaten gelungen, eine Mehrheit hinter sich zu vereinen oder gar einen Kompromiss für eine große Koalition zu finden. Die Frist zur Regierungsbildung lief am Mittwoch um Mitternacht ab. Die Israelis werden deshalb in knapp drei Monaten erneut an die Wahlurnen treten. Laut einem Gesetz, das die Knesset am frühen Donnerstagmorgen verabschiedet hat, wird die Wahl am 2. März stattfinden.

Es ist die dritte Neuwahl innerhalb von weniger als zwölf Monaten. So etwas hat es in Israel bislang nicht gegeben. Bereits nach den Wahlen im März war Netanjahu an der Regierungsbildung gescheitert, verhinderte aber mit einer vorzeitigen Auflösung der Knesset, dass das Mandat zur Regierungsbildung an Benny Ganz weitergegeben wurde.

Auch die Neuwahl im September hatte an der Pattsituation wenig geändert: Keines der beiden Lager erreichte eine Mehrheit von mindestens 61 Sitzen. Königsmacher Avigdor Lieberman von der rechten Partei "Unser Haus Israel" weigerte sich, eine Minderheitsregierung zu unterstützen. Seine Zustimmung wäre dafür notwendig gewesen. Lieberman allerdings pochte auf eine große Koalition zusammen mit dem Likud und Blau-Weiß.

Pakt mit den Ultraorthodoxen

Darauf konnten sich wiederum Netanjahu und Gantz nicht einigen: Netanjahu hatte bereits kurz nach der Wahl im September einen Pakt mit den ultraorthodoxen und nationalreligiösen Parteien geschlossen und verhandelte fortan als Einziger für diesen Block. Er wollte damit verhindern, dass der ein oder andere der 55 Abgeordneten zum Lager von Blau-Weiß überlief. Gantz wiederum wollte sich darauf nicht einlassen und forderte Verhandlungen ohne Vorbedingungen. Obendrein blieb er seinem Versprechen standhaft, keiner Koalition mit Netanjahu an der Spitze beizutreten, solange die Korruptionsvorwürfe gegen ihn nicht aus dem Weg geräumt sind.

Dem Premier wird Betrug, Bestechlichkeit und Untreue in drei Korruptionsfällen vorgeworfen. Auch das ist ein Novum in der Geschichte Israels: Er ist der erste amtierende Regierungschef, der angeklagt wird. Ein Rücktritt kommt für ihn nicht infrage. Der 70-Jährige werde bis zum 1. Jänner 2020 allerdings seine Ministerämter aufgeben und Nachfolger ernennen, teilte das israelische Justizministerium am Donnerstag mit. Die Mitteilung bezieht sich jedoch eben nur auf vier weitere Ämter – Gesundheit, Soziales, Landwirtschaft und Diaspora – die Netanyahu noch parallel dazu innehat.

Netanjahu wirft den Behörden einen Putschversuch vor und forderte eine Ermittlung gegen die Ermittler. Eine Abkehr seiner Parteikollegen blieb bislang aus. Nur einer traut sich mittlerweile aus der Deckung und kündigte bereits an, "Bibi" an der Spitze der Partei abzulösen: Langzeit-Rivale Gideon Saar.

Wird Netanjahu gestürzt?

Mit ihm als Likud-Chef wäre eine große Koalition aus Likud und Blau-Weiß wahrscheinlich, Saar ist dafür jedenfalls bereit: "Es besteht die nationale Notwendigkeit für eine Wende, welche die andauernde politische Krise beendet, die Bildung einer starken Regierung ermöglicht und die Menschen Israels vereint", schrieb er auf Twitter. Eine parteiinterne Wahl um den Vorsitz im Likud ist für den 26. Dezember vorgesehen. Beobachter rechnen allerdings damit, dass Netanjahu – trotz Anklage – an der Spitze seiner Partei bestätigt wird.

Vieles deutet darauf hin, dass sich bis zur Wahl im März nicht viel an den Machtverhältnissen ändern dürfte und Israel im Frühjahr wieder vor dem Problem steht, dass eine Regierungsbildung unmöglich ist. Jüngste Umfragen sehen zwar das Bündnis Blau-Weiß mit 37 Sitzen vor dem Likud, der auf 33 Sitzen kommen könnte. Für eine Mehrheit reicht das aber dennoch nicht.

Politikverdrossenheit nimmt Überhand

Die gescheiterten Versuche einer Regierungsbildung gehen an Israel nicht spurlos vorüber: Unter den Israelis hat längst die Politikverdrossenheit eingesetzt, viele haben kaum noch Interessen an den Wahlen, die das Land noch einmal mehrere Millionen kosten dürfte. Bis zur Bildung einer neuen Regierung bleiben außerdem zahlreiche neue Gesetze sowie Budget-Entscheidungen auf der Strecke. (Lissy Kaufmann aus Tel Aviv, red, 12.12.2019)