Erweiterte Realität gilt als der große Trend in der Tourismus- und Reisebranche

Foto: Marco_Piunti/istockfoto

Lena plant einen Wochenendtrip nach Kopenhagen. Bevor sie das Zimmer bucht, hat sie sich bereits in der Lobby des Hotels umgesehen, den Spa besichtigt und die Badezimmer der unterschiedlichen Zimmerkategorien verglichen. Bei ihrem virtuellen Spaziergang durch den Kopenhagener Vergnügungs- und Erholungspark Tivoli erfährt Lena von einem smarten Audioguide alles über das ehemalige Militärgelände, auf dem jetzt Touristen und Einheimische fröhlich flanieren. Im alten Matrosenviertel Nyhavn kann sie, ebenfalls dank einer Augmented-Reality-App, in die Musterwohnungen spähen, die der König einst für seine Soldaten und ihre Familien bauen ließ.

Noch ist es nicht ganz so weit, nur wenige Hotels weltweit bieten aktuell die Möglichkeit zur virtuellen Vorabbesichtigung. Doch die Tendenz ist steigend. Erweiterte Realität gilt nämlich als der große Trend in der Tourismus- und Reisebranche. Schon jetzt kann Virtual-Reality-Software (VR) reale Ausflüge an ferne Destinationen ersetzen. Und Augmented-Reality-Anwendungen (AR) erweitern durch Ton, Bild und Video die reale Welt um zusätzliche Hintergrundinformationen.

Etwa in Wien, wo sich Touristen seit kurzem bei Österreich Werbung und Wien Tourismus eine besondere Brille für eine Beethoven-Tour durch die Stadt leihen können. Die AR-Brille reagiert auf die Blickrichtung des Spaziergängers, zusätzlich bekommt man auf der Route vom Palais Lobkowitz bis zum Theater an der Wien und zur Staatsoper über 3D-Sound die "Stimme" des Komponisten eingespielt, der Hintergründe aus seinem Leben erzählt. "Wenn Sie zum Beispiel gerade in Richtung des Stephansdoms schauen, dann sagt Ihnen der Audioguide, dass Sie sich umdrehen sollen – die Stimme wandert mit", erklärt Andreas Wochenalt, Head of Innovation and Campaigns bei der Österreich Werbung. Als Nutzer bestimmt man die Geschwindigkeit und den Ablauf der Tour, dank GPS passen sich die Inhalte stets an.

Der berühmte britische Tierfilmer und Naturforscher David Frederick Attenborough wurde als 3D-Hologram "nachgebaut".
Foto: NHM London

Gefiltertes und Verborgenes

"Die Anwendung ist selbsterklärend, einfach und smart – deshalb glaube ich, dass sie von den Menschen angenommen wird", sagt Wochenalt über die Zukunft der AR-Anwendungen mit Audio-Content. Würde man die neuen technologischen Möglichkeiten zusätzlich mit künstlicher Intelligenz kombinieren, wären auch personalisierte Informationen für das jeweilige Touristenohr denkbar. Gefilterte Informationen bedeuten allerdings auch eingeschränkte Informationen. Vieles, vor allem Überraschendes, bliebe dem Besucher verborgen. Doch genau das Gegenteil wollen die meisten AR-Anwendungen bewirken. Sie wollen dem Reisenden Verborgenes und bisher Unsichtbares zugänglich machen.

Die App Hold the World des London Natural History Museum bietet Benutzern beispielsweise die Möglichkeit, Ausstellungsobjekte zu betrachten und zu bewegen, die zerbrechlich, teuer oder derzeit in den Ausstellungsräumen gar nicht zugänglich sind.

Die Nutzer werden außerdem in jene Bereiche des Museums transportiert, die normalerweise für die Öffentlichkeit gesperrt sind. Auch ein weiteres besonders charmantes Feature erwartet die Besucher des London Natural History Museum: Der berühmte britische Tierfilmer und Naturforscher David Frederick Attenborough wurde als 3D-Hologram "nachgebaut". Der beliebte BBC-Dokumentarfilmer erzählt auf Nachfrage Interessantes über Blauwale, den Stegosaurus oder die Libelle.

David Frederick Attenborough trifft im Museum auf sein virtuelles Ich.
Oculus

Bleiben wir zu Hause?

Einige der AR- und VR-Anwendung sind bereits so faszinierend und ausgereift, dass sich langsam die Frage aufdrängt, ob wir in Zukunft überhaupt noch verreisen müssen, um neue Eindrücke ferner Regionen zu erhalten. Entwickler von VR-Apps werben sogar damit, dass ihre Anwendungen das Potenzial haben, den sogenannten Overtourism zu verhindern. Statt sich durch Hallstatt zu zwängen, könnten chinesische Touristen dank VR-Brillen etwa von ihrer Couch in Peking aus das Salzkammergut besuchen.

Für den Tourismus sei das nicht wünschenswert, sagt Andreas Wochenalt: "Die Technologie sollte der Story folgen und nicht umgekehrt." AR- und VR-Anwendungen sollten nur dort eingesetzt werden, wo es Sinn macht. Ein Schnitzel könne man noch so gut abbilden, das Kulinarikerlebnis ersetzt das nicht, meint der Experte. Sinnvoll sei es aber zum Beispiel, die Besuchermassen mit smarten Guides zu lenken: "Anstatt durch die Salzburger Getreidegasse kann man sie auch aufs andere Ufer der Salzach schicken", schlägt Wochenalt vor.

In naher Zukunft sollen die neuen Technologien aber vor allem weitere Gäste nach Österreich und Wien locken. Dafür hat Wien Tourismus für 2020, anlässlich des 250. Geburtstags von Ludwig van Beethoven, eine weitere Voice-Anwendung für die Sprachassistenten von Amazon und Google entwickelt. "Alexa, erzähl mir, wieso Beethoven in Wien gelebt hat?" Und schon ertönen Aufnahmen der Wiener Symphoniker und ein Hörspiel über Beethovens Werk und Leben in Wien. (Olivera Stajić, 14.11.2019)