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Die winterliche Idylle täuscht: der US-Kongress auf Capitol Hill in Washington, D.C.
Foto: AP/Applewhite

Mary Gay Scanlon und das Impeachment: Das passt eigentlich nicht zusammen. Hier diese zurückhaltende Frau, dort der Lärm des Parlaments. Die Abgeordnete aus Pennsylvania spricht so leise, dass man Mühe hat, sie zu verstehen. Im Justizausschuss des Repräsentantenhauses dagegen geht es so laut, so kontrovers zur Sache, dass es wie Hohn wirkt, wenn man sich mit "Gentleman" oder "Gentle woman" anredet. Scanlon hat es lange vermieden, von einer Amtsenthebung Donald Trumps zu reden – auch deshalb, und weil sie für die moderate Mitte stand, haben die Wähler im Speckgürtel Philadelphias die Demokratin 2018 nach Washington delegiert.

Dass sie eine Quereinsteigerin war, hat ihr nicht geschadet, sondern eher genutzt. Eine Juristin, die sich für die Rechte behinderter Kinder einsetzte und dafür, dass die weltmeisterlichen US-Fußballerinnen genauso viel verdienen wie ihre männlichen Kollegen. Eine dreifache Mutter, die so konziliant auftrat, dass es sich wohltuend abhob vom schroffen Grundton der Ära Trump.

Erschöpft, aber ohne Zweifel

Das kam an bei den Wählern, auch bei gemäßigt konservativen, denen das Getöse in der Hauptstadt auf die Nerven ging, die vom Brückenbau über parteipolitische Gräben hinweg träumten. Nun aber, da die Schlucht zwischen Demokraten und Republikanern mit dem Impeachment-Duell noch tiefer ist als zuvor, will auch Mary Gay Scanlon von Kompromissen nichts mehr wissen.

Abgeordnete Mary Gay Scanlon will von Kompromissen nichts mehr wissen.
Foto: Frank Herrmann

Sichtlich erschöpft steht sie in einer Sitzungspause neben einer Marmorbüste; strafft sich, sobald man ihr ein Mikrofon unter die Nase hält, und sagt mit einer Stimme, die nicht den leisesten Zweifel verrät: "An meinem ersten Amtstag habe ich geschworen, die Verfassung zu schützen. Daran halte ich mich, was immer die politischen Folgen für mich sein werden." Selbst wenn die Wähler sie beim nächsten Votum bestrafen sollten:_Sie könne nicht anders, als den Präsidenten für dessen Verfassungsbruch zur Verantwortung zu ziehen.

Ein regenverhangener Tag im Dezember. Der Justizausschuss des Repräsentantenhauses vernimmt Zeugen, bevor die Kammer über die Causa abstimmen soll. Geladen sind zwei Anwälte, Daniel Goldman und Stephen Castor. Goldman, ganz der seriöse Typ, soll im Auftrag der Demokraten begründen, warum die Amtsenthebung zwingend geboten ist, soll die Republik nicht in die Verhältnisse einer absolutistischen Monarchie abgleiten – mit einem König im Weißen Haus, der glaubt, über dem Recht zu stehen. Castor, eher hemdsärmelig, hat die Aufgabe, das genaue Gegenteil nachzuweisen: dass die Demokraten, verzweifelt und auf dünner Faktengrundlage, nur deshalb zur Keule greifen, weil sie Trump in einer Wahl nicht besiegen könnten.

24 gegen 17 Abgeordnete

In dem Ausschuss sitzen 24 Demokraten und 17 Republikaner. Die 24 sind ebenso eindeutig für die Amtsenthebung, wie die 17 kategorisch dagegen sind. Kein Einziger hat sich zu einem Sinneswandel bewegen lassen. Es geht nur darum, Altbekanntes prägnant zu bringen, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen.

Es ist eine Medienschlacht. Und deshalb geht es auch um optische Symbole. Das beginnt schon mit dem Saal: Tempelsäulen, über denen Steinadler schweben; in der Mitte ein schwerer Kronleuchter; darüber, an der Decke, ein Kreis aus 50 goldenen Sternen – für jeden Bundesstaat einer. Im Kapitol gibt es keinen prunkvolleren Saal als den mit der Nummer 1100 im Longworth Building. Die Demokraten haben ihn ausgesucht, um das Außergewöhnliche dieser turbulenten Wochen zu unterstreichen: Erst zum vierten Mal in der Geschichte der Nation – nach 1868, 1974 und 1998/99, nach Andrew Johnson, Richard Nixon und Bill Clinton – steht die Absetzung des Staatschefs zur Debatte. Entsprechend feierlich hat das Ambiente zu sein.

Republikanische Posterparade

Anders die Republikaner, die alles inszenieren, als wäre dies eine Seifenoper. Ihr Beitrag sind Poster – sie wechseln täglich, ein Unterhaltungsprogramm für sich. Auf einem, das wie eine Vermisstenanzeige gestaltet ist, wird Adam Schiff gesucht, der Chef des Geheimdienstausschusses.

Im Saal 1.100 geht der Streit um das Amtsenthebungsverfahren von Präsident Donald Trump mit unverminderter Härte weiter.
Foto: AFP/Magana

Natürlich ist er nicht verschollen, die Republikaner verlangen bloß, dass er unverzüglich im Saal 1100 erscheinen möge, um über den Whistleblower auszusagen – über den anonymen Geheimdienstler, der intern Alarm schlug wegen des Telefonats, in dessen Verlauf Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am 25. Juli zu Ermittlungen gegen seinen Rivalen Joe Biden drängte. Schiff – so suggerieren Trumps Parteifreunde, ohne Belege für die These zu liefern – habe den Whistleblower angestiftet und angeleitet. "Eine politische Vendetta", wettert Louie Gohmert, einst Richter in Texas. "Und nun versteckt er sich vor uns."

Trumps Terrier

Matt Gaetz zelebriert seine Rolle:_Er genießt es, wenn seine Gegner ihn "Trumps Terrier" nennen. Abends ist er Stammgast in den TV-Studios von Fox News, dem Lieblingssender des Präsidenten. In seinem Wahlkreis, konservatives Südstaatenmilieu im Nordwesten Floridas, hat Trump im November 2016 mehr als 70 Prozent geholt. Wer etwas erreichen wolle, müsse den Präsidenten kompromisslos verteidigen, in seinem Sinne in der Öffentlichkeit reden, skizzierte einmal der 37-Jährige sein Rollenverständnis.

Als er an der Reihe ist, betont er, wie unpopulär der Kongress und wie fragwürdig schon deshalb dieses Procedere sei: Bloß neun Prozent der Amerikaner seien zufrieden mit der Arbeit des Parlaments. "Muammar al-Gaddafi hatte vor seinem Sturz eine Zustimmungsrate von 13 Prozent", schiebt er hinterher – ohne zu erklären, woher er die Zahlen hat. Dann beugt er sich angriffslustig nach vorn und nimmt den Anwalt der Demokraten ins Kreuzverhör. "Herr Goldman, haben Sie Politikern Geld gespendet? Wie viel? Waren es hunderttausend Dollar? Waren es mehrere Zehntausend? Wie viel?" Noch ehe Goldman zu Wort kommt, hat Gaetz das Thema gewechselt, spricht vom brummenden Wirtschaftsmotor, von 266.000 Arbeitsplätzen, die allein im November hinzugekommen seien. "Warum helfen Sie uns nicht, bei Dingen voranzukommen, die viel, viel wichtiger sind als diese parteiische Show?"

Trump, der Chefkoch

Auch Eric Swalwell will sein Profil schärfen, weshalb er in den Pausen nach draußen eilt, zu den Kameras auf dem Flur, um das Geschehene zu kommentieren. Sein Wahlkreis an der Bucht von San Francisco gilt als Bastion der Demokraten, uneinnehmbar für die Republikaner. Mit seinen 39 Jahren, eloquent und dabei bodenständig, ist Swalwell ein Hoffnungsträger. Man stelle sich vor, versucht er es mit einer Metapher, jemand arbeite als Koch in einem Restaurant. Der Chef habe eine Gehaltserhöhung versprochen, dies aber an eine Bedingung geknüpft: Vorher müsse der Koch zur Konkurrenz laufen und dort ein paar tote Kakerlaken in den Suppentopf werfen. "Wir wären empört, aber genau das ist es, was Donald Trump getan hat." Dem Koch, in diesem Fall Selenskyj, habe Trump, der Chef, die Pistole an die Brust gesetzt, bevor Geld fließen sollte. Jene 391 Millionen Dollar Militärhilfe, die Trump zurückhielt, um die Ukraine zur Ankündigung von Untersuchungen gegen Biden zu zwingen.

Irgendwann spricht Swalwell von seinem Vater: Der war einst Polizeichef in Algona, Iowa, wo er dem falsch parkenden Bürgermeister einen Strafzettel ausstellte. Ins Rathaus bestellt, um die Sache aus der Welt zu schaffen, blieb er eisern, verlor seinen Job und zog mit der Familie nach Kalifornien. Er sei stolz auf seinen Vater, sagt Swalwell und fragt, warum seine konservativen Kollegen nicht auch so viel Mut aufbringen könnten. "Was falsch ist, ist falsch. Ob in Algona, Iowa, oder im Weißen Haus." (Frank Herrmann aus Washington, 12.12.2019)