Vor acht Jahren tauchten in den USA erstmals Videos zweier Schimpansen auf, die ein kurios anmutendes Verhalten zeigen: Sie laufen dicht an dicht durch ihr Gehege im Zoo von St. Louis und halten dabei ihre Bewegungen perfekt synchron. Zoobesucher fühlten sich davon an eine Conga Line erinnert, einen Partytanz, der im Gänsemarsch absolviert wird. Läge der Zoo im deutschsprachigen Raum, wären wohl Meldungen im Stil von "Das Netz lacht über Schimpansen-Polonaise" unvermeidlich gewesen ...

Es hat etwas gedauert, aber inzwischen haben sich auch Wissenschafter mit dem Phänomen beschäftigt. Ein Team um den Psychologen Adriano Lameira von der britischen University of Warwick hat die "synchronisierte Bipedie" der beiden Schimpansenweibchen Holly und Bahkahri genau studiert. Und konnte eindeutig feststellen, dass der Paarlauf kein Zufallsprodukt ist. Die zwei Schimpansen sind stets mit einer Genauigkeit von Hundertstel Sekunden "in synch" und auch gemeinsam für ihre Choreographie verantwortlich. Mal führt die eine, mal die andere.

Das Schrittmuster.
Illustration: University of Warwick

Laut den Forschern liegt hier aller Wahrscheinlichkeit nach ein Fall von Stereotypie vor, ein Verhalten, das bei Tieren in Gefangenschaft häufig zu beobachten ist – von Rainer Maria Rilke verewigt in seinem Gedicht "Der Panther". Einem Mangel an Reizen und Abwechslung ausgesetzt, spulen diese Tiere wie in einer Dauerschleife immer das gleiche funktionslose Verhalten ab: Sie laufen beispielsweise auf und ab, schwimmen im Kreis, schwenken den Kopf hin und her oder kauen, ohne dass sie etwas im Maul hätten. Stereotypie kann aber auch destruktivere Züge annehmen, etwa bei Vögeln, die sich die Federn ausrupfen.

Im Vergleich dazu ist das Verhalten von Holly und Bahkahri recht konstruktiv, wenn es nach den Forschern geht. Sie vermuten, dass die beiden Schimpansen ihren inneren Stress abbauen, indem sie engen Kontakt zum Artgenossen halten. Und Lameira geht sogar noch weiter: Er hält es für möglich, dass man von Holly und Bahkahri auf die Ursprünge des Tanzes beim Menschen schließen kann.

The rhythm within

Tanz sei eine "Ikone" des menschlichen Ausdrucksvermögens, so der Forscher. Da man bei unseren nächsten Verwandten aber bislang nichts Entsprechendes gefunden hat, sei es schwierig zu sagen, wie diese alle Kulturen übergreifende Ausdrucksform einst entstanden ist. Der ursprüngliche "Proto-Tanz" könnte ein Mechanismus der sozialen Kohäsion in kleinen Gruppen gewesen sein. Nähe, Berührung und Aufeinanderabstimmen sorgten nach dieser Sichtweise dafür, Stress abzubauen. Kurz: Der Impuls kam von innen. Äußere Stimuli – weniger abstrakt formuliert: Musik – kamen vielleicht erst später dazu. (jdo, 31. 12. 2019)