Trauerarbeit in Südkorea: Goo Hara von der Girlie-Band Kara beging vor drei Wochen Suizid, der K-Popstar soll an schweren Depressionen gelitten haben.

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Haut und Haltung sind makellos, das Lächeln vertragserfüllend. Die Laune ist super, die Egos sind kleine Wellnessoasen: "Komm mit mir nach Instagram." Es ist die Welt des K-Pop. Das ist die Abkürzung für Popkultur aus Südkorea. Es ist eine Scheinwelt für Kinder und Jugendliche, von der postpubertäre Menschen nichts mitkriegen, solange nicht die einschlägige Mischung aus Klingelton-Elektro und Fertigteil-Hip-Hop aus dem Zimmer des Nachwuchses schallt.

K-Pop ist in den letzten Jahren ein Massenphänomen geworden. Zuerst schlug es in der Musik auf, längst dominiert es aber auch Filme, Fernsehserien und Werbung mit seinen schönen, jungen und glücklichen Menschen. Doch aus dem Schein brach in den letzten Monaten immer öfter das Sein durch: Suizide, Cybermobbing und Vergewaltigungen erschütterten diese Welt des Lächelns.

Enormer Druck

Ende November wurden die K-Pop-Stars Jung Joon-young und Choi Jong-hoon wegen Gruppenvergewaltigung zweier Frauen zu sechs und fünf Jahren Haft verurteilt. Im Oktober war die 25-jährige Sängerin Sulli der Girlgroup f(x) tot aufgefunden worden. Sie wurde im Netz wegen einer sich auf einem ihrer Fotos abzeichnenden Brustwarze gemobbt, soll an Depressionen gelitten und hat sehr wahrscheinlich Suizid begangen. 28 Jahre alt war Goo Hara alias Hara von der Girl-Group Kara, als sie Ende November starb. Auch hier wird Suizid vermutet. Und letzte Woche wurde der 27-jährige Cha In Ha tot aufgefunden, Suizid gilt als wahrscheinlich.

Kpop Star

Den Grund dafür sehen viele in dem Druck, der auf den Retortenstars lastet. Zwar trägt K-Pop das Freiheitsversprechen des Pop nach außen, hinter den Kulissen herrscht aber ein strenges Regiment, denn K-Pop ist längst ein Wirtschaftsfaktor geworden. Allein die Boygroup BTS soll der südkoreanischen Wirtschaft über drei Milliarden Dollar beschert haben. BTS ist die Abkürzung für Bangtan Sonyeondan, was so viel wie "kugelsichere Pfadfinder" heißt. Sie waren die erste K-Pop-Band, die es in den USA an die Spitze der Charts geschafft hat, auch hierzulande notierte die Band in der Hitparade.

Lange Verwertungskette

Doch die Charts sind nur eines von vielen Einschlagsgebieten. Das Medium dieser Kultur ist das Netz. Youtube, die sozialen Netzwerke, Instagram oder das chinesische Tiktok. Alles, was als Informationsträger dient. Denn an jeder erfolgreichen Gruppe hängt eine Verwertungskette, die das Interesse der Fans und ihre Nachfrage nach neuen Fanprodukten beständig nährt.

Die Stars spielen ergeben mit, aktualisieren beständig ihre Accounts, denn das Gefühl, mit ihnen via Handy auf Tuchfühlung zu sein, darf auf Fanseite nicht nachlassen. K-Popstar zu sein ist ein Rund-um-die-Uhr-Job.

DSP Kara

Dem sind viele nicht gewachsen, gerade das Netz ist erbarmungslos. Fehlverhalten löst Liebesentzug aus, führt zu Cyber-mobbing und Hasspostings. Was Fehlverhalten ist, bestimmen die Verwertungsfirmen. Bis hin zum Beziehungsverbot ihrer Stars geht das. Sex? Drogen? Exzentrische Ansichten? Alles tabu. Sogar die Börsenkurse können unter Verfehlungen leiden.

Fürs harte Leben zugerichtet

Fit gemacht für dieses Leben werden die Auserwählten in mehrjährigen Trainee-Programmen. Untergebracht sind sie in Gemeinschaftswohnungen, trainiert wird bis zu 13 Stunden am Tag, Zeit für ein selbstbestimmtes Leben ist nicht vorgesehen, die Kids müssen liefern. Das ideale Einstiegsalter liegt bei zehn, elf Jahren. Unternehmen wie das 1995 gegründete SM Entertainment überlassen dabei nichts dem Zufall. SM, ein Name wie ein Zeichen, ist einer der großen Player des Genres.

Nicht einmal vor Schönheitsoperationen soll das Unternehmen zurückschrecken, um seine Protagonisten dem Ideal der K-Pop-Welt anzupassen: blasse Haut, kleine Nase, europäisch anmutende Augenlider. Im Stadtteil Gangnam in Seoul soll es mehr Schönheitschirurgen als Taxifahrer geben, und in keinem Land der Welt wird so viel plastisch herumgedoktert wie in Südkorea.

officialpsy

Gangnam ist ein Stichwort, das eine Zeitenwende im K-Pop einläutete. 2012 veröffentlichte der K-Pop-Star Psy das Lied Gangnam Style, das bis 2017 das mit 2,9 Milliarden Klicks erfolgreichste Youtube-Video gewesen sein soll. In seinem Windschatten setzte ein Boom ein, der heute an die 300 Gruppen umfasst.

Zu den akut wichtigsten zählen BTS, EXO, Wanna One, NCT, Got7, Seventeen oder Astro. Zwar tauchte die Musik schon zu Beginn der 1990er-Jahre auf, mit Psy und den sozialen Medien hat K-Pop nun aber eine enorme Dynamik entwickelt.

Eine schnelle Gesellschaft

Die südkoreanische Gesellschaft ist Geschwindigkeit gewohnt; "Ppalli-Ppalli" – schnell, schnell – gilt als alltäglicher Normalzustand. Gleichzeitig fühlt man sich den Traditionen verpflichtet, hegt großen Respekt vor dem Alter – auch wenn dessen Vertreter sehr oft besoffen sind. Alkohol gilt als weithin akzeptierte Volksdroge, verkatert zu sein wird sogar im Job als Entschuldigungsgrund akzeptiert. Zudem hängt man einem Weltschmerz nach, dem Han.

Han beschreibt ein den Südkoreanern eigenes pessimistisches Grundgefühl, das sich nicht löst. Es reicht von der Idealisierung des Schmerzes über ein kollektives Leidensgefühl bis zum Hass und wurzelt in der Zeit, als Korea von Japan besetzt war, von 1910 bis 1945. Dieser Gemütszustand hat mit den aus ihm kommenden Filmen sogar ein eigenes Genre geschaffen.

K-Pop wird oft als Versuch gewertet, dem zu entkommen. Entstanden ist eine blendende Scheinwelt, ein Grenzgang aus sexy und bieder, aus frech und angepasst, hinter der eine Maschinerie steht, die Kindern ihre Kindheit und Jugend raubt. Anstatt dem Han zu entkommen, führt K-Pop immer öfter direkt dorthin. (Karl Fluch, 15.12.2019)