Eine Insel als utopischer Ort der Versuchung: Adèle Haenel (links) und Noémie Merlant als die beiden Frauen, die sich in "Porträt einer jungen Frau in Flammen" verlieben.

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Die Malerin (Noémie Merlant) kommt mit einem Geheimauftrag auf die bretonische Insel. Sie soll ein Porträt der jungen Adeligen (Adèle Haenel) anfertigen, ohne dass diese etwas davon mitbekommt. Doch die beiden begegnen einander auf Augenhöhe, und sie teilen bald eine Idee von Freiheit, sie verlieben sich. Das Bild entsteht unter neuen Bedingungen.

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Céline Sciammas Porträt einer jungen Frau in Flammen (Portrait de la jeune fille en feu) ist kein Liebesfilm im gängigen Sinne. Kunstvoll und fokussiert ermöglicht der Film den Zutritt in ein weibliches Widerlager, in dem Gesetze der restlichen Welt auf den Kopf gestellt werden. Sciammas in Cannes prämierte Arbeit wurde viel debattiert, in Hamburg erweist sie sich im Gespräch als kluge Anwältin des eigenen Films.

STANDARD: Im Kostümfilm sind Rolle und Moral stets klar vorge geben. War es deshalb umso reizvoller, von Freiheiten zu erzählen?

Sciamma: Mir ging es nicht wirklich darum, das Genre zu transformieren. Ich wollte den Zeithin tergrund wie jeden anderen auch wahrnehmen. Wenn man sich mit der Vergangenheit befasst, hat man es offiziell mit einer eindeutiger verfassten Gesellschaft zu tun. Bei der Gegenwart tut man immer so, also sei das nicht mehr der Fall – doch das stimmt ja gar nicht. Man trifft ja genauso Entscheidungen, ob es jetzt den Bildausschnitt oder die Kostüme betrifft. Wenn die Codes offiziell sind, dann treten allerdings meine Entscheidungen stärker hervor. Alles wirkt größer. Das hat Spaß gemacht, weil es mich noch wachsamer dafür gemacht hat, ein gegenwärtiges Werk zu machen.

STANDARD: Aber die Möglich keiten der Frauen sind doch viel eingeschränkter als heute. Wenn Sie sie allein lassen, ohne Aufpasser auf der einsamen Insel, stärkt das nicht das Utopische daran?

Sciamma: Da der Film in der Vergangenheit spielt, ist es amtlich, dass die Frauen unterdrückt werden. Wir kennen das Raster der Unterdrückung. Ich musste damit also gar nicht so viel Zeit verlieren. Zugleich hat es mir erlaubt, eine andere Erzählung zu schaffen, in der es nicht darum geht, den Frauen eine Freiheit zu gewähren, die sie nicht haben. Mir ging es darum, ihre Intimität zu teilen. Und wenn wir diese Inti mität teilen und für Momente aus der Welt herausfallen, dann sehen wir, was alles möglich ist. Es ist also kein Biopic über starke Frauen, es geht auch nicht um unterdrückte Gefühle. Es ist eine ganz neue Erzählung: eine Liebesgeschichte mit Gleichberechtigung, ohne Dominanz. Es gibt keine intellektuelle Herrschaft, auch keine soziale Hierarchie mehr.

STANDARD: Auch der Klassenkonflikt mit dem Dienstmädchen, der Dritten im Bunde, wird aufgehoben.

Sciamma: Schwesternschaft erlaubt das. Und es ist auch wahr. Das Kino ist die einzige Kunst, die es erlaubt, jemandes Einsamkeit zu teilen. Es stellt Intimität und Erfahrung her. Utopien sind keine futuristischen Träume, sie ent stehen aufgrund lokaler Erfahrungen. Ich habe selbst eine Welt ohne Männer erlebt. Das kommt vor, zwar nicht oft, aber es kommt vor. Ich verkörpere es zu einem gewissen Teil selbst. Die Welt, die wir uns erträumen: Sie existiert.

STANDARD: Durch die Anordnung Malerin/Porträtierte behandeln Sie den filmischen Blick. Dem Kino wurde oft nachgesagt, einen männlichen Blick zu bevorzugen – wie entgeht man dem?

Sciamma: Für mich war es vor allem ein Versuch, mit den Ideen großzügig und spielerisch um zugehen. Ich wollte nicht, dass der Film theoretisch wirkt. Es gibt sehr viel zu ernten, auch eine unterhaltsame Geschichte. Das Spiegelverhältnis sollte durchaus auch komisch sein. Mein Traum ist es immer, eine Sprache, einen Rhythmus herzustellen, mit dem Ziel, dass das Publikum beim Zuschauen diese Sprache erlernt.

STANDARD: Sie teilen eine Perspektive und dadurch ein Gefühl. Doch der Film dekonstruiert auch ständig den Akt des Schauens.

Sciamma: Es geht darum, mit dem Objektivieren aufzuhören. Ich wollte alle Charaktere als Subjekte präsentieren. Damit erschafft man einen intelligenten Zuschauer. Das soll nicht erzieherisch klingen: Ich setze voraus, dass mein Publikum gescheit ist. Es ist nur so, dass man das nicht so oft bedient.

STANDARD: Sie arbeiten erstmals mit professionellen Schauspielerinnen. Adèle Haenel stehen Sie selbst nahe, wie hat sich das Casting von Noémie Merlant ergeben?

Sciamma: Ich habe beim Schreiben des Films schon an Adèle gedacht. Ich wollte ihr etwas Neues vorschlagen, sodass sie eine neue Version ihrer selbst als Schau spielerin entdeckt – auch auf einer technischen Seite, etwa darin, wie sie ihre Stimme einsetzt. Der Spaß war freilich, dass ich das "Modell" sehr gut kannte und nun die Malerin auf es blicken würde ...

STANDARD: Eine Spiegelung über die Regieachse ...

Sciamma: Genau. Oft hat Noémie auf mich geblickt, um zu bestätigen, wie sie wiederum auf Adèle blicken würde. Dieses Karussell der Blicke war wirklich cool. Ich wollte keine zweite berühmte Schauspielerin nehmen, denn bei einer lesbischen Beziehung hätte sich das wie eine Performance angefühlt. Man soll an das Paar und die Beziehung glauben können. Einer Newcomerin gelingt das mit größerer Reinheit. Ich habe auch einen großen physischen Kontrast zwischen den beiden gesucht, die Blonde und die Dunkelhaarige, das gab filmisch viel her.

STANDARD: Im Verhältnis Modell und Malerin steckt auch jenes der Muse und der Malerin. Davon bleibt aber nicht viel übrig ...

Sciamma: Das ist eigentlich gar nicht so schwierig. Die meisten Menschen sind einfach faul! Ich hab mich ganz ernsthaft gefragt, wie ich diese Frauen nicht zum Objekt mache. Beim männlichen Blick geht es nur um Konventionen. Man lässt die Welt, wie sie ist. Das ist komfortabler. Nachdem ich mich nicht als Teil davon fühle, muss ich mich auch nicht komfortabel fühlen. Vielleicht habe ich es deshalb auch leichter.

STANDARD: Diesem Pfad folgen Sie konsequent. Etwa in jener Szene, in der ein Spiegel vor dem Geschlecht der einen, den Blick der anderen zurückwirft.

Sciamma: Ich versuche, nichts auszulöschen, sondern neue Erotizismen zu erschaffen. Es soll neues Prickeln entstehen. Die Sexszene des Films ist nicht simuliert. Es gibt die Penetration einer Achselhöhle zu sehen. Ich finde das sexy. Und alles basiert auf Zustimmung – auch das ist sehr sexy. (Dominik Kamalzadeh, 14.12.2019)