Boris Johnson wird auch die nächsten fünf Jahre in Downing Street 10 residieren.

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Wer ist dieser Boris Johnson eigentlich? In der Stunde seines größten Triumphs gab sich der Premierminister Ihrer britannischen Majestät ganz bescheiden. Am Freitag wandte er sich über die Köpfe seiner konservativen Aktivisten hinweg an die Nation, besonders an jene, die zum ersten Mal konservativ gewählt hatten. "Vielleicht hat Ihre Hand gezittert, ehe Sie Ihr Kreuz machten, vielleicht wollen Sie beim nächsten Mal wieder für Labour stimmen", sprach Johnson die Menschen in Dutzenden von Wahlkreisen an, die sich zum ersten Mal seit Menschengedenken der Arbeiterpartei verweigert hatten. "Wir stehen demütig vor dem Vertrauen, das Sie uns geschenkt haben."

Tags zuvor war ein politischer Sturm über das Vereinigte Königreich gefegt. Wie erhofft, gaben die Briten dem Tory-Vorsitzenden ein klares Mandat für den EU-Austritt Ende Jänner und für die fünf Jahre dauernde Legislaturperiode. Mit 43,6 Prozent der Stimmen (Stand: Freitagnachmittag) ließen die Konservativen die Oppositionspartei Labour (32,2) unter Jeremy Corbyn und die Liberaldemokraten (11,5) weit hinter sich. Das Mehrheitswahlrecht sorgte zum ersten Mal seit 2005 für eindeutige Verhältnisse: 365 Konservative sitzen zukünftig im Unterhaus lediglich 203 Labour-Vertretern und elf Lib-Dems sowie einzelnen Vertretern von Kleinparteien gegenüber. Die liberale Parteichefin Jo Swinson verlor sogar ihr Mandat im schottischen Bezirk Dunbartonshire, sie wurde Opfer der starken SNP, die mit 48 Mandataren drittstärkste Kraft in London sein wird.

"Neuer Sonnenaufgang"

Johnsons Auftritt rief ganz bewusst Erinnerungen wach an den ersten Erdrutschsieg des langjährigen Labour-Premiers Tony Blair (1997–2007). Wie der Sozialdemokrat damals sprach Johnson von einem "neuen Sonnenaufgang"; wie Blair betonte er seine Verbeugung vor dem Volkswillen, ausgedrückt im EU-Referendum 2016. Der Brexit sei nun die "unwiderlegbare, unaufhaltsame, unbestreitbare Entscheidung des britischen Volkes", betonte er. Sein PR-Team hatte ein Übriges getan: An Johnsons Rednerpodium prangten die Worte "The People’s Government" – Regierung des Volkes. Was wie eine Anspielung auf die Tradition der "One Nation Tories", also einer Partei für die ganze Nation sein sollte, klang verdächtig nach autoritären Demokratien wie Ungarn und Polen.

Diese unappetitliche Johnson-Variante – dünnhäutig, despotisch – war im Wahlkampf mehrfach zum Vorschein gekommen; etwa als er der BBC ein Interview verweigerte und darüber sinnierte, ob die Rundfunkgebühr eigentlich noch zeitgemäß sei; als er einen islamistischen Terroranschlag sogleich zu einem Angriff auf die angeblich zu laxe Sicherheitspolitik von Labour nutzte; und nicht zuletzt auch im konservativen Wahlprogramm, das dem Supreme Court eine Beschneidung seiner Kompetenzen androht. Bekanntlich waren die Höchstrichter Johnson im September in den Arm gefallen, als dieser das Parlament in die Zwangspause schicken wollte.

Abstimmung noch vor Weihnachten

Den EU-Austrittsvertrag wird der wiedergewählte Premier noch vor Weihnachten im Parlament einbringen, den Termin 31. Jänner werde er "ohne Wenn und Aber" einhalten. Mit einer Mini-Umbildung seiner Regierung will sich Johnson bis Montag Zeit lassen, einen größeren Umbau soll es dann erst im Februar geben. Die Rede ist von der Rückführung des Entwicklungshilfeministeriums ins Außenamt, zusammengelegt werden könnten auch das Brexit-Ressort und das Wirtschaftsministerium.

Unterdessen streitet man bei Labour wegen des Wahldebakels und über die Nachfolge des einstigen Hoffnungsträgers Corbyn. Er werde vorerst im Amt bleiben und nach der Wahl eines Nachfolgers zurücktreten, beteuerte der 70-Jährige. Johnson habe den Urnengang erfolgreich zu einer Brexit-Wahl gemacht, die eigentlich populären Labour-Vorschläge hätten in der Diskussion keine Rolle gespielt.

Offenbar will die Parteilinke mit ihrer Verzögerungstaktik sicherstellen, dass ein "Corbynista", beispielsweise Rebecca Long-Bailey, das Ruder übernimmt. Corbyn musste sich für die geringste Mandatszahl seit 1935 harsche Kritik von früherer Parteiprominenz anhören: Er könne "die Arbeiterschicht nicht einmal aus einer Papiertüte herausführen", schäumte Ex-Innenminister und Gewerkschaftsveteran Alan Johnson. (Sebastian Borger aus London, 13.12.2019)