Am Gürtel, Samstagvormittag. Der Kifferladen ist noch zu, obwohl er um 11 Uhr öffnen sollte. Wie überrascht darf man sein, wenn das Geschäft (L)Egal heißt? An der Fassade klebt noch das Plakat für das One Love Reggae Festival vom August. Im Schaufenster steht eine Wanduhr "mit eingebautem Safe", in dem man allerlei verschwinden lassen kann. So waren Hanfläden bislang: nicht gerade in den allerbesten Gegenden und mit einer Produktpalette für Kunden mit Teenie- Humor bestückt.

1. Bezirk, Samstagvormittag. Nicht einmal 500 Meter vom Stephansdom entfernt, neben Luxusuhrengeschäften, einer Hutmanufaktur und einem französischen Bio-Beautyprodukte-Geschäftchen befindet sich das Hemps, benannt nach dem englischen Plural für Hanf. Darin zahlt gerade ein athletischer junger Mann. Er trägt eine große Dolce-&-Gabbana-Papiertasche am Arm und jene weißen Turnschuhe an den Füßen, die aussehen, als sei man in zwei Tortenstücke getreten. Komplett verspiegelt ist die Decke des Geschäfts, daran ein Kronleuchter, die Regale sind beleuchtet, es läuft Trancemusik wie in einem Nachtklub. So sieht die neue Generation der Hanfgeschäfte aus: in den allerbesten Gegenden und mit einer Produktpalette ausgestattet, die einen Supermarkt wie einen Tante-Emma-Laden wirken lässt.

Hanf wandelt sich vom Natur- zum Lifestyleprodukt, vertrieben in schicken Boutiquen im 1. Bezirk, wo es Fashion, Lollis, Kondome, Zahnpasta und sogar CBD-Öl für Katzen gibt.
Foto: Heribert Corn/www.corn.at

Hanf als teures Lifestyleprodukt

Das Hemps hat bereits drei Filialen in Wien, im 1. Bezirk gibt es noch das Hemp Box Café, es gibt das Magu, das Evergreen und den CBD Jonny, einen Lieferservice, von dem man sich innerhalb einer Stunde beliefern lassen kann, sowie etliche CBD-Automaten. Das Räucherstäbchenimage haben diese Läden abgestreift. Gerade findet die "Nespressisierung" des Hanfs statt. Ganz so, wie Kaffee ab 2010 auf einmal nicht mehr nur Kaffee war, sondern mit George Clooneys Hilfe und Veredelungsläden, die glänzendgoldene Kapseln zur Verehrung in sleeken Edelgeschäften in bester Lage feilboten, zum Statussymbol wurde, genauso wandelt sich der Hanf gerade vom Natur- zum Designprodukt. Immer mehr CBD-Shops gibt es in Österreich – von Dornbirn bis Graz, von Salzburg bis Bad Ischl.

"Extrem gut gehen die Lollis", sagt Hemps-Verkäufer Robert G.
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Wie kommt es, dass Hanfprodukte zum hochpreisigen Lifestyle- und Wellnessprodukt wurden? Wer tummelt sich in den Läden? Und bringt das wirklich was?

"Extrem gut gehen die Lollis", sagt der Verkäufer Robert Goldschmidt (24) im Hemps. Verständlich, hat das reine CBD-Öl doch eine bittere und erdige Note. Zwei Werte sind bei Hanfprodukten entscheidend: der CBD-Gehalt und der THC-Gehalt. Die Haschischpflanze enthält beides, CBD und THC, wobei das CBD – vereinfacht ausgedrückt – eine entspannende und das THC eine berauschende Wirkung hat, weswegen THC verboten ist. Aktuell dürfen Produkte nur einen THC-Gehalt von 0,3 Prozent haben. Deswegen müssen Pflanzen mit verschwindend geringem THC-Gehalt gezüchtet werden: durch Kreuzselektion. Die Läden haben Laborbefunde, die ihnen den legalen THC-Wert bestätigen.

Im Hemps neben dem Steffl gibt es Schokolade, Lollis, Tee, Blüten, Grissini, Nudeln, neongrüne "delicious Cannabis space cookies", Müsli, fünf verschiedene Speiseöle mit Hanf, es gibt Feuerzeuge, Gleitgel, Kondome, Zahnpasta, Hautcremes und ein CBD-Öl für Katzen und ein CBD-Öl für Hunde. Man kann hier Blüten kaufen, deren Sorten "Purple Punch", "Slymer", "Lemon Tree" und "Orange Cookie" heißen. Und direkt vor der Kasse stehen in einem Joint-Ständer wie bei einem Klassenfoto die vorgebauten Joints: vorn die Kleinen, hinten die Großen.

Diese "vorgebauten Öfen", wie Goldschmidt sie nennt, kosten 15 und 20 Euro. Gerollt hat sie Goldschmidt, der "eine Affinität zum Thema" hat, seit er 16 ist. Er rollt hauptberuflich Joints. Und er ist damit etlichen Menschen auf dem Weg zum Traumberuf einen entscheidenden Schritt voraus. Sein Geheimnis? "So viel wie möglich rein, aber nicht zu dicht bauen, sonst entsteht kein Luftzug." Zuletzt hat er "bei der Rettung" gearbeitet. Er ist dem medizinischen Sektor gewissermaßen treu geblieben. Allerdings, als Sanitäter habe er weniger verdient als jetzt als Verkäufer im CBD-Shop, sagt Goldschmidt. Bedenklich für eine Gesellschaft, wenn das Lebenretten weniger gut bezahlt ist als das Jointverkaufen. Hand aufs Herz, gibt es im Hemps auch was mit THC unter der Theke des Shops? "Nein, das wäre das Risiko nicht wert", sagt er, "und die Gewinnspanne wäre auch nicht größer als bei den CBD-Produkten."

"Vorgebaute Öfen", präsentiert wie edle Zigarillos.
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"That’s heaven, man!"

Bis vor kurzem gab es zwei Arten von Kifferläden: die "Headshops", in denen man Zubehör wie Papers, Bongs, Bücher, Vaporizer und Pfeifen kaufen kann, und die "Growshops", in denen man Samen und Pflanzen kaufen kann. Nun gibt es die dritte Art von Läden: die "CBD-Shops".

Gerade kaufen zwei junge Männer, ihrer EC-Karte nach zu urteilen aus Bulgarien, einen Joint für 20 Euro. Goldschmidt reicht ihnen den Bon: "Damit könnt ihr nachweisen, dass kein THC im Joint ist, falls euch die Polizei auf der Straße anhält", sagt er auf Englisch. Die Männer, so scheint es, können ihr Glück nicht fassen, denn sie haben jenen Gesichtsausdruck, den man manchmal bei Menschen beobachten kann, denen zu viel Geld herausgegeben wurde: verschmitzt, verbunden mit einer gewissen Eile; schnell, weg, ehe der Schwindel auffliegt. Leider kann man sie nicht mehr befragen, weil sie schneller aus der Tür sind, als man THC sagen kann. "Besonders Russen, Polen, Ukrainer, Osteuropäer allgemein, sind begeistert. 'That's heaven, man' sagen die oder 'Bei uns reden wir nicht mal über Legalisierung'", erklärt Goldschmidt.

Zwei US-Touristen, Kat und Vic, kennen THC-Läden aus ihrer Heimat Kalifornien. "Aber sie haben dennoch etwas Verruchtes an sich. Wir mussten klingeln und warten, bis wir hineingebeten wurden", sagt Vic. Sie kaufen Schokolade und ein Parfum. "Können wir damit nach Ägypten einreisen?", will Kat wissen. "Kein Problem", sagt Goldschmidt. Nur zurückfliegen sei schwierig, da in manchen Produkten THC enthalten ist. Touristen machen einen Großteil der Kundschaft nahe dem Stephansdom aus. War früher der Naschmarkt eine der berühmtesten Touristenattraktionen Wiens, ist es heute der Haschmarkt.

Von Kaugummi ...
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Hier kaufen wirklich alle ein: Junge und Alte, Touristen und Wiener, Gesunde und Kranke, Männer und Frauen, Normalos und Hipster. Rheumapatienten kaufen das Öl, Teenies kaufen die Zigarren, die Snoop Dogg für seine "blunts" verwendet, eine alte Dame fragt vergeblich nach Tofu aus Hanf, Instagrammer kaufen Joints für unvergessliche Urlaubsfotos, und Besorgte kaufen CBD-Tropfen fürs Hundi für Silvester. Alle mit einer gewissen Leichtigkeit, es kann ja nicht schaden. Oder?

Verwirrender Erlass

Nein. Selbst das österreichische Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz geht mit Berufung auf "Fachkreise" von einer "angstlösenden, nervenzellenschützenden, antipsychotischen, entzündungshemmenden, Brechreiz hemmenden, schmerzhemmenden und krampflösenden Wirkung" aus und bestätigt, dass das Cannabidiol (CBD) "keine Rauschzustände" auslöst. Dennoch ist die rechtliche Lage verzwickt. Ein Medikament ist das CBD nicht und daher grundsätzlich nicht in Apotheken zu kaufen – es sei denn, man hat ein Rezept. Es wird oft in Zigaretten aufgenommen, aber Tabak darf nur in Trafiken verkauft werden, weswegen die vorgerollten Joints auch keinen Tabak enthalten.

Und in CBD-Shops darf es zwar verkauft werden, aber auch nicht so ohne weiteres, denn per "Erlass", unterzeichnet von Dr. Gerhard Aigner "für die Bundesministerin", wurde das CBD degradiert: CBD darf nicht als Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel verkauft werden, die Folge: "Ein In-Verkehr-Bringen ist damit nicht zulässig." Der Grund? Die EU wollte es so, auf Nachfrage heißt es aus dem Gesundheitsministerium explizit: "Es handelt sich um keine nationale Maßnahme Österreichs." Die Folge? Viele verwirrte Kunden und eine undurchsichtige Lage. "CBD-Aromaöle" sind erlaubt, aber CBD zum Essen nicht. Die Läden müssen die Produkte kennzeichnen und laut Gesundheitsministerium sogar mit "Lebensmittelinspektoren" rechnen.

... bis CBD für Haustiere.
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Im Evergreen in der Kettenbrückengasse haben sie deshalb hunderte Aufkleber gekauft: "Das Rauchen dieses Produkts schädigt Ihre Gesundheit." Im Geschäft riecht es, anders als im Hemps, stark nach Haschisch, an der Wand ein Poster mit dem Schriftzug "Hollyweed", ansonsten viel Holz, eine Vase mit einer Baumwollblüte, beige Apothekerschränkchen mit Patina – die perfekte Mischung aus Hipster-Shop, Apotheke und Reformhaus. "Unser Fokus liegt auf Gesundheit", sagt Nicole Siekierski, die einem mit ihren langen blonden Haaren und ihrer Ausstrahlung vermutlich sogar einen Saunabesuch auf Kuba verkaufen könnte. "Ich habe drei Krebspatienten, zwei Männer mit kaputten Bandscheiben, einen mit ADHS, einen mit Parkinson und zwei Depressive", zählt sie mit gewissem Stolz auf. Die Haschischsorten heißen "Therapist", "Erdbeerli", "Moonshine" und "Popcorn". Und man kann den Patienten nur wünschen, dass sie ergänzend dazu in solider ärztlicher Behandlung sind. Der "Therapist" etwa sei "harzig am Anfang", könne aber "gegen Winterdepressionen" helfen, so Siekierski.

Schaubild mit Wirkung

Ein Kunde in einem Hoodie betritt das Geschäft, Markus (39). Siekierski berät ihn nun ausführlich, stellt viele Fragen, wie eine Ärztin auf der Suche nach einer Diagnose, nur eben ohne Medizinstudium. "Man muss ganz genau hinhören, denn es gibt Insomnia, Einschlaf- und Durchschlafprobleme, und alles braucht eine andere Behandlung", sagt sie. Siekierski spricht davon, dass Cannabinoide an die körpereigenen Ionenkanäle in den Nervenenden andocken, wo sie eine gewisse Zeit brauchen, um ihre Wirkung zu entfalten. Später wird sie erzählen, dass sie einen Bachelorabschluss in Technischer Chemie hat. Kunde Markus, ein Koch, erzählt, er sei "Langzeitkonsument" gewesen und habe "jeden Tag nach Feierabend ein bis zwei Joints geraucht". Er sei an einem "Zeitpunkt in seinem Leben, wo er das Wuschige im Kopf" nicht brauchen könne, aber trotzdem entspannen wolle. "Klar, ein bis zwei Stunden im Fitnessstudio hätten die gleiche Wirkung. Aber die Zeit hast um Mitternacht nicht." Ihm zeigt die Verkäuferin ein Schaubild mit zwei Graphen, die darstellen, wie man die Wirkung von THC durch CBD simulieren kann. Worauf genau das Schaubild basiert, bleibt unklar, es verfehlt seinen Effekt allerdings nicht, Markus kauft zwei Gramm.

Nicole Siekierski hat einen Bachelorabschluss in Technischer Chemie – dies könnte helfen, wenn man im Evergreen Haschischsorten wie "Erdbeerli" oder "Moonshine" verkauft.
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Sie selbst habe alle Sorten durchprobiert und notiert sich, was Kunden ihr über ihre Erfahrungen erzählen. "Anecdata" nennt man im Englischen das Prinzip, ein Kopfwort aus Anekdote und Daten, das sich darüber mokiert, dass bei dieser Methode Schlüsse aus persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen gezogen werden anstatt aus systematischer Analyse. Wundergeschichten hört man ständig: im Hemps über einen Australier, der für seinen Vater mehrere Packungen importierte, weil sie so gut halfen – und im Evergreen von einer Kundin, die sieben Packungen für ihre Freundin kaufte, um deren "postoperative Schmerzen" zu stillen.

Es heißt nicht, dass die Geschichten nicht stimmen – sondern nur, dass sie nichts beweisen, weil die Zahl der Konsumenten zu klein ist, um verlässliche Aussagen zu treffen. Oder, wie es im Erlass heißt: "In Ermangelung von vorliegenden Langzeitstudien sind die genauen Gesundheitsaspekte von CBD derzeit noch nicht hinreichend bekannt." Hanf ist kein Allheilmittel, hat aber wie andere Naturpflanzen gewisse positive Effekte. Und wer weiß schon, was die nächste Modepflanze ist?

Vielleicht gibt es bald Pop-up-Stores für Johanniskraut und Wellnessoasen in bester Lage für gestresste Österreicher, in denen Melisse als Limonade und als Eis am Stiel verkauft wird. Beim Verlassen des Hemps fiel der Blick auf kleine Glaselefanten im Regal neben der Tür. Ein Klassiker unter Kiffern, eine Pfeife. Man legt das Gras in die Glasmulde auf dem Rücken des Elefanten und zieht am Rüssel. "Neulich war eine ältere Dame hier, hat die Elefanten entdeckt und gesagt: Oh, das sind aber schöne Kerzenständer!", erzählte Goldschmidt. Die Elefanten kosten im Nobelviertel Wiens dreißig Euro – im Kifferladen am Gürtel zwanzig Euro. Die Mieten im 1. Bezirk wollen bezahlt werden. (Nora Reinhardt, 17.12.2019)