Zu Lebzeiten des US-Ornithologen und Vogelmalers John James Audubon (1785–1851) gab es noch Millionen Exemplare des Karolinasittichs, der bis weit in den Norden der USA vorkam.
Illustration: John James Audubon / gemeinfrei

Am 21. Februar 1918 starb im Zoo von Cincinnati in Ohio ein leuchtend grün gefärbter Papagei namens Incas, der einen gelben Kopf und eine rote Augenpartie hatte. Der prächtige Vogel hatte zuvor mehr als 30 Jahre lang mit seiner Partnerin Lady Jane zusammengelebt, ehe diese kurz zuvor das Zeitliche segnete.

Dieser Vogeltod wäre nicht weiter bemerkenswert, hätte es sich dabei nicht um den letzten in Gefangenschaft gehaltenen Karolinasittich gehandelt, der wenige Jahrzehnte zuvor noch massenhaft in Nordamerika existiert hatte. Zwar fanden sich bis 1927 noch Spuren von frei lebenden Artvertretern in einer abgelegenen Region Floridas. Doch nach diesem Jahr war der ikonische Vogel, der zugleich die am weitesten im Norden lebende Papageienart war, endgültig ausgestorben.

Gleicher Käfig, gleiches Ende

Damit ereilte diese Vogelart ein ähnliches Schicksal wie die Wandertaube, die im 19. Jahrhundert noch milliardenfach in Nordamerika gelebt hatte. Das letzte Exemplar dieser Spezies war übrigens eine gewisse Martha, und sie starb ziemlich genau vier Jahre vor Incas in der gleichen Voliere im Zoo von Cincinnati.

Während Martha präpariert wurde und seitdem die Vogelsammlung des National Museum of Natural History in Washington D.C. als abschreckendes Beispiel für das vom Menschen verursachte Artensterben ziert, ging der ebenfalls ins Nationalmuseum geschickte Balg von Incas verloren. Von den einst Millionen Karolinasittichen blieben immerhin rund 700 Museumspräparate, aber die machen den Vogel auch nicht mehr lebendig.

Anhand der Bälge in den Museen und ornithologischen Aufzeichnungen haben Forscher im Vorjahr im "Biodiversity Data Journal" rekonstruiert, wie weit der Vogel noch im 19. Jahrhundert verbreitet war: Riesige Schwärme von Karolinasittichen lebten in den alten Wäldern entlang von Flüssen im Osten der USA, von New York und den Großen Seen bis zum Golf von Mexiko.

Fatale Genetik der Wandertaube

Bleibt die Frage, wie eine Art, die gerade noch massenhaft vorkam, so plötzlich ausstarb, während andere Spezies dem Einfluss des Menschen trotzen können.

Für die Wandertaube wurde diese Frage im Jahr 2017 beantwortet. Forscher analysierten für eine Studie im Fachjoural "Science" die Genome von 45 konservierten Wandertauben und entdeckten, dass die DNA der Tiere trotz ihrer enormen Zahl von Milliarden Exemplaren eine überraschend geringe genetische Vielfalt aufwies. Allem Anschein nach stammten all diese Wandertauben ursprünglich von einer nur sehr kleinen, genetisch recht ähnlichen Population ab.

Auch recht hübsch: ein Wandertaubenpärchen, ebenfalls gemalt von John James Audubon.
Foto: John James Audubon / gemeinfrei

Genetiker sprechen vom "genetischen Flaschenhals", durch den die Art gegangen sein muss. Damit dürfte der Wandertaube das genetische Anpassungspotenzial gefehlt haben, um sich an die durch die Besiedlung der USA rapide veränderten Lebensbedingungen anzupassen.

Wie aber war es beim Karolinasittich? Hatte auch diese Vogelart zu wenige "genetische Antworten" auf die Bedrohung durch den Menschen? Dieser Frage ging ein spanisch-dänisches Forscherteam um Carles Laluleza-Fox (Universität Pompeu Fabra in Barcelona) nach, das die vollständige DNA eines Karolinasittichs sequenzierte, dessen Balg sich in der Sammlung der Naturforscherin Marià Masferrer erhalten hatte.

Dieser ausgestopfte Karolinasittich aus der katalanischen Sammlung lieferte die DNA für die Analyse.
Foto: Marc Durà

Keine Spur von Inzucht

Wie die Forscher im Fachblatt "Current Biology" berichten, fanden sich im Genom keinerlei Hinweise auf frühere Inzucht oder einen früheren genetischen Flaschenhals. Das deutet darauf hin, dass es in erster Linie der direkte Einfluss des Menschen war, der den Vögeln nicht nur den Lebensraum nach und nach verkleinerte. Die Papageien wurden vor allem gnadenlos gejagt, weil sie als Schädlinge galten. Zudem waren ihre Federn als Hutschmuck begehrt.

Dazu kam aber auch ein nicht gerade hilfreiches Verhalten der Vögel: Die flatterten nämlich nach dem Abschuss ihrer Artgenossen um diese herum und kehrten unmittelbar danach auf ihre Äste zurück, um den Jägern sofort wieder ein willkommenes Ziel zu bieten. (tasch, 15.12.2019)