Angy Eiter durchkletterte 2017 als erste Frau die Route La Planta de Shiva im Schwierigkeitsgrad 9b.

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Obwohl erst 33 Jahre alt, hat Angy Eiter bereits ihr sportliches Lebenswerk zu Buche gebracht.

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In der Wand.

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Wenn im Juli 2020 in Tokio erstmals um olympisches Gold geklettert wird, sitzt Angy Eiter mit einem lachenden und einem weinenden Auge vor dem Fernseher. "Ja, das wäre eigentlich mein ganz großes Ziel gewesen", sagt die 33-Jährige und macht aus ihrer Wehmut keinen Hehl. Denn sie wäre wohl eine der Favoritinnen für den Titel der ersten Olympiasiegerin im Sportklettern gewesen.

Über Jahre hat die Tirolerin die Vorstieg-Disziplin dominiert, hat alles gewonnen, was es in der Vertikalen zu gewinnen gibt: vier Mal Weltmeisterin, drei Mal Gesamtweltcupsiegerin, ein Mal Europameisterin. Mit nur 17 Jahren triumphierte sie erstmals beim legendären Rockmaster in Arco, einem der ältesten und wichtigsten Wettkämpfe überhaupt. Fünf weitere Siege sollten folgen.

Eiter war eine der prägenden weiblichen Figuren in der noch jungen Sportkletterszene der Jahrtausendwende. Sie suchte immer nach schier unlösbaren Aufgaben, um an deren Bewältigung zu wachsen. So auch 2013, als sie ihre Wettkampfkarriere in der Halle beendete, um sich ganz dem Felsklettern zu widmen. Schon bald setzte sie dort neue Limits und bezwang 2017 als erste Frau eine Route im Schwierigkeitsgrad 9b. Vor ihr hatten nur die zwei weltbesten Kletterer, der Tscheche Adam Ondra und Eiters Landsmann Jakob Schubert, die "La Planta de Shiva" in Spanien gemeistert. Als ewige Erinnerung an diese Pionierinnenleistung ziert eine tätowierte Blume ihren rechten Unterarm.

Entscheidung aufzuhören

Auch wenn Olympia Eiters großes Ziel gewesen wäre, bereut sie den Ausstieg aus dem Wettkampfsport bis heute nicht: "Ich wusste ja damals nicht, wann es nun wirklich olympisch wird. Da war mir das Felsklettern dann doch zu wichtig. Ich wollte mich nicht schon vorher ganz verbrauchen. Denn bis dahin hatte ich mir schon einige Verletzungen zugezogen, und ich denke nicht, dass mein Körper das noch bis 2020 mitgemacht hätte."

Obwohl erst in ihren frühen 30ern, blickt das 1,54 Meter große Kraftpaket bereits auf ein sportliches Lebenswerk zurück, das von vielen Höhen, aber auch Tiefen geprägt ist. Diese extremen Erfahrungen hat sie in Buchform zu Papier gebracht. Unter dem Titel Alles Klettern ist Problemlösen gewährt sie persönliche Einblicke und verzichtete auf einen Ghostwriter. Nach der Lektüre – sie spricht ihre Leserschaft mit Du an – hat man das Gefühl, den Kletterstar tatsächlich ein wenig kennengelernt zu haben.

Ehrgeiz

Als Tochter einer Köchin und eines Holzfällers wuchs Eiter in einem liebevollen, aber von harter Arbeit geprägten Elternhaus auf. Der Vater hat ihr die erste Kletterwand im Heustadl eines Freundes gebaut. Dort startete sie ihr Training, das immer härter wurde. Schon als Kind von elf Jahren hat sie siegen wollen. Wie sehr Niederlagen schmerzten, liest man aus ihrem Buch heraus. Eiter kann noch heute mit spürbarem Ärger jeden einzelnen Griff jener Schülermeisterschaft beschreiben, bei der sie wegen eines Seilfehlers nur den zweiten Platz holte.

Doch dieser unstillbare Hunger nach Erfolg führte die junge Athletin in ihre erste Krise: Magersucht. Eiter verlor stetig an Gewicht, bis ihr Trainer die Reißleine zog und ihr Kletterverbot erteilte. "Es war eine schwere Zeit, ich fühlte mich im Stich gelassen", sagt sie rückblickend. Damals herrschte in der Kletterszene noch die Meinung vor: je weniger Gewicht, desto besser. Es war schließlich Eiters Schuldirektorin, die ihr gegen das Versprechen, wieder zu essen, erlaubte, heimlich zu trainieren.

Heute habe sich das Thema Essstörung im Klettersport durch das hohe Trainings- und Wettkampfpensum weitgehend erledigt: "Mit wenig Essen schafft man das nicht. Du brauchst Muskeln, um in Disziplinen wie Bouldern mithalten zu können."

Nur Fels

Auch wenn Eiter ihrer Kletterleidenschaft nun in der Natur nachgeht, ist klassischer Alpinismus kein Thema für sie: "Dafür bin ich zu ungeduldig. Ich bin Sportkletterin, die sich gerne mit diesem Rätsellösen in der Wand auseinandersetzt." Zudem habe sie schon mehrere gute Freunde bei alpinistischen Abenteuern verloren – zuletzt Hansjörg Auer und David Lama, beide waren enge Freunde und sportliche Weggefährten. Mit Lama war sie Teil des "Wunderteams aus Tirol".

Zwar klettert sie ab und an gerne herausfordernde Mehrseillängen, doch die Erstbegehungen, die Eiter heute reizen, sind andere: "Das ist der nackte Fels, auf dem noch niemand war und in den ich als Erste meine eigene Route einbohre. Denn bisher bin ich fast immer von Männern errichtete Linien nachgegangen." Das Gefühl, selbst eine Route zu bauen, gibt der Kletterin derzeit mehr, als eine 9b+ oder 9c zu meistern, die jemand anderes gebohrt hat.

Ob das so bleibt oder bald wieder der Drang, Rekorde zu brechen, überhandnimmt, wagt Eiter nicht abzuschätzen: "Klettern ist zum Glück ein so vielseitiger Sport, er bietet Möglichkeiten, sich immer wieder neu zu erfinden." Mit ihrem Mann Bernie Ruech betreibt sie heute eine Kletterschule im Tiroler Oberland. Er ist es auch gewesen, der in ihr die Liebe zur Felskletterei geweckt hat. Mittlerweile unternehmen die beiden ausgedehnte Kletterreisen durch ganz Europa, immer auf der Suche nach neuen Rätseln im Fels, die es zu lösen gilt. (Steffen Arora, 14.12.2019)