Intelligente Stromzähler, sogenannte Smart Meter, bilden die Basis für ganz neue Geschäftsmodelle.

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Spät, aber doch sind auch Österreichs Energieversorger (EVU) auf den Digitalisierungszug aufgesprungen. Mit ein Grund dafür sind wachsende Ängste. Eine der Befürchtungen: Unternehmen wie Amazon, Google oder andere Datenaggregatoren könnten in deren angestammten Bereich eindringen und Geschäft abziehen.

Diese Unternehmen haben mit Strom zwar vordergründig nichts am Hut; dafür wissen sie umso besser, wie die Kunden ticken. Die Digitalisierung, sagen Experten, sei das Einfallstor für Branchenfremde, der Ermöglicher von neuen Geschäftsmodellen abseits der simplen Lieferung von Strom an Haushalt A, B oder C. Der Einbau intelligenter Stromzähler, sogenannter Smart Meter, sei auch in diesem Lichte zu sehen.

"Markt ist überhitzt"

Weil nun aber plötzlich alle haben wollen, was viele in anderen Branchen schon haben, weiß man in Unternehmen, die auf die Implementierung entsprechender Software spezialisiert sind, oft nicht mehr, womit zuerst beginnen. "Der Markt ist überhitzt", sagte der Österreich-Geschäftsführer der international tätigen Unternehmensberatung Horvath & Partners, Stefan Bergsmann, dem STANDARD.

Beobachtet seit Anfang 2019 verstärktes Bemühen österreichischer Energieversorgungsunternehmen, sich softwaremäßig aufzurüsten: Österreich-Geschäftsführer von Horvath & Partners, Stefan Bergsmann.
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Seit Anfang des Jahres sei zu beobachten, dass sich österreichische EVUs sehr intensiv mit Digitalisierung beschäftigen. "Fast im Wochenrhythmus werden Projekte gestartet, jedes Unternehmen hat zumindest ein Vorprojekt laufen", sagte Bergsmann. Vielen sei inzwischen klar, dass an einem modernen Datenerfassungs- und -verarbeitungssystem kein Weg vorbeiführe.

Hohe Kosten für Umstellung

Wer an einer engen Kundenbindung, zeitgemäßer Kommunikation über digitale Medien und Handy-Apps interessiert ist, müsse softwaretechnisch aufrüsten. Daran führe kein Weg vorbei. Moderne Software sei auch erforderlich, um Geschäftsprozesse vollautomatisiert ablaufen zu lassen. Dies wiederum sei Voraussetzung, um Kunden mit neuen, pfiffigen Produkten an das Unternehmen binden zu können.

Der lang anhaltende Widerstand der allermeisten Unternehmen aus der E-Wirtschaft, aber nicht allein aus dieser Branche, hängt wohl auch mit den hohen Kosten zusammen, die im Zuge der Implementierung einer neuen Software (SAP s/4HANA) zunächst anfallen. Bergsmann spricht von 15 bis 50 Millionen Euro, die man wohl kalkulieren müsse; bei ganz großen Projekten sei wohl noch mehr Geld nötig. Der schlaue Weg sei, die Umstellung als Chance zu nutzen und auch gleich mit teuren Altlasten aufzuräumen, die sich durch Aneinanderreihen individueller Lösungen im vergangenen Jahrzehnt aufgetürmt haben.

Optimismus in der Branche gestiegen

Laut der jüngsten Branchenerhebung von Horvath & Partners sind die Energieversorger deutlich optimistischer gestimmt als noch vor zwei Jahren. Knapp ein Drittel betrachtet sich im Zusammenhang mit der Energiewende als gut aufgestellt und sieht Wachstumspotenzial. Als margenstärkste Bereiche gelten unter anderem energienahe Dienstleistungen. Die Umfrage sei zwar großteils mit deutschen EVUs gemacht worden, die Ergebnisse haben laut Bergsmann aber auch für Österreich Gültigkeit.

Finanzindustrie als mögliches Vorbild

Der Horvath-Geschäftsführer empfiehlt heimischen EVUs, die noch rätseln – und es rätseln viele –, wie sie mit Daten künftig Geld verdienen können, einen Blick zur Finanzindustrie. Digitale Banken mit günstigem oder Gratisjugendkonto samt Ansparfunktion verbünden sich zum Beispiel mit Konsumgüterherstellern. Wenn angenommen 80 Prozent der Summe für ein bestimmtes Kleidungsstück oder Motorrad im Spartopf sind, bekommt der oder die Jugendliche vom Textilkonzern oder Motorradproduzenten ein rabattiertes Angebot, damit er oder sie das Produkt vorzeitig kaufen kann. Die Bank profitiert vom Deal dadurch, dass sie vom Konsumgüterhersteller eine Provision oder Rückvergütung erhält. Bergsmann: "Auch ein EVU kann sich überlegen, wie es über Ökosysteme Kunden für ganz andere Dinge außer Strom gewinnen kann." (Günther Strobl, 16.12.2019)