Es gibt sehr gute Spiele, gute und mittelmäßige; dann mangelhafte und objektiv schlechte. Der täglich wachsende Berg an billigst und von kaum begabten Entwicklern produziertem Schrott, der auf Steam und anderen Marktplätzen sang- und klanglos untergeht, ist das eine, das andere sind Spiele, die teils sogar mit größtem Aufwand produziert werden und doch danebenhauen. Dabei ist die allzu oft von Hype und Marketing geschürte Erwartungshaltung mitschuldig, wenn einem heißersehnten Titel bei Release schlagartig die Luft ausgeht.

Sei's, wie es sei: Auch 2019 haben manche Spiele ihr Publikum sowie professionelle Kritiker herb enttäuscht, obwohl es doch so schön hätte werden sollen. Hier eine Auswahl der Bruchlandungen des Jahres.

"Anthem" – Der Bauchfleck des Jahres

Was ist nur mit Bioware passiert? Das legendäre und für seine kultigen Rollenspielklassiker verehrte kanadische Studio hat seit Dragon Age Inquisition 2014 kein glückliches Händchen mehr. Mass Effect Andromeda hat 2017 einen veritablen Bauchfleck hingelegt, das heißerwartete Science-Fiction-Action-Rollenspiel Anthem wuchs sich für das zu Electronic Arts gehörende Studio zum nächsten Totalschaden aus. Sowohl Presse als auch Publikum ließen kein gutes Haar an dem Spiel. "Die Story ist schwach, die Missionen repetitiv und der Spielspaß einfach nicht gegeben", urteilte der STANDARD.

Die Gründe für das missratene Spiel sind komplex: Problematische Mitarbeiterabgänge, eine im gesamten Unternehmen unbeliebte Grafik-Engine, zu deren Nutzung der Publisher alle Studios verpflichtete, ein Mangel an kreativer Energie, wiederkehrende und grundlegende Designänderungen in letzter Minute und ins Endlose wachsender Druck, das Spiel als Game-as-a-Service und Loot-Shooter im lukrativsten Segment des Marktes zu positionieren, ergaben letztlich ein Spiel, das keiner so recht mochte. Jason Schreier hat für "Kotaku" im April eine deprimierende Recherche zum Flop des Jahres veröffentlicht, es bleibt die Hoffnung, dass sich eines der namhaftesten Studios von diesem Misserfolg erholen kann – immerhin warten Millionen Fans nervös auf würdige Nachfolger für Dragon Age und Mass Effect.

Anthem Game

"Ghost Recon Breakpoint" – Open World nach Schema F

Nicht nur Electronic Arts, auch Ubisoft hatte den meisten Urteilen zufolge 2019 einen prominenten Rohrkrepierer am Start: Das Militainment-Spektakel Ghost Recon Breakpoint, natürlich mit "Tom Clancy's" im Namen, mache sogar noch weniger Spaß als Anthem und sei "eine schreckliche Erfahrung". Wie Biowares Gurke ist auch dieses Riesenspiel zumindest in Sachen Präsentation ein absolut auf Hochglanz polierter Popcorn-Blockbuster, allein, die Mischung aus dem immer gleichen Ubisoft-Open-World-Patentrezept, klischeetriefender Story und unsympathischem Mikrotransaktionsangebot ließ sich auch durch noch so viel Insel-Bling nicht schönrendern.

Der kritische und kommerzielle Misserfolg des Spiels hatte Konsequenzen: Bei Ubisoft zog man die Lehren aus dem Debakel und dem bescheidenen Erfolg von Tom Clancy's The Division 2. Die kommenden Ubisoft-Titel Watch Dogs Legion, Rainbow Six Quarantine und Gods & Monsters wurden verschoben, um noch länger an der Entwicklung zu schrauben. Vielleicht nützt es ja etwas: So toll manche Ubisoft-Spiele auch waren, das zunehmend eintönig werdende Setzen aufs Schema F und das Schielen auf Mikrotransaktionen in Vollpreisspielen könnte man durchaus überdenken.

Ubisoft North America

"Generation Zero" – Waldwanderung mit Identitätskrise

Auch große Indies stehen mal verwirrt im Wald – im Fall von Generation Zero ist das wörtlich zu nehmen. Der in der Theorie faszinierende und durchaus hochatmosphärische Genrehybrid aus Open-World-Sandbox, Walking-Simulator und First-Person-Shooter versetzt sein Publikum in schwedische Wälder während einer 80er-Jahre-Alienroboterinvasion. Stranger Things trifft Simon Stålenhag trifft Day Z – was kann da schon schiefgehen? Einiges: Trotz großartigen Roboterdesigns und überzeugender Naturkulisse blieb Generation Zero unter allen Erwartungen.

Schade, denn der schwedische Entwickler Avalanche Studios hätte als Open-World-Spezialist (unter anderem Mad Max, Rage 2, Just Cause 4) und, mit theHunter, Profi für atmosphärische Waldspaziergänge durchaus das Zeug gehabt, hier einen absolut originellen Genreeintrag zu liefern; technische Probleme, eintöniges Gameplay und mühsame Verwaltung machen es auch der ohnedies kleinen Zielgruppe schwer, das Spiel zu mögen. Hoffnungsschimmer: Mit dem vor kurzem erschienenen DLC Alpine Unrest retten die Schweden, was zu retten ist.

GameSpot Trailers

"Rune 2" – Wirrer Wikinger-Wiedergänger

Das tut weh: Das 2000 erschienene Actionrollenspiel Rune ist ein kleiner Kultklassiker, der sich zu den soliden Vorfahren des Soulsborne-Genres zählen darf, der nun erschienene zweite Teil lässt Nostalgiker ebenso wie neu Interessierte deprimiert zurück. Statt wie das Original eine lineare Singleplayer-Story mit extra viel Atmosphäre und simplem, aber befriedigendem Kampfsystem zu bieten, ist Rune 2 ein seltsam zusammengestoppeltes Mittelding aus Multiplayer-Modus und Open-World-Sandbox mit minimalistischer, enttäuschender Hau-drauf-Action und sinnlosem Sammel- und Crafting-Überdruss.

Alles in allem hat man das Gefühl, dass dieser Nachfolger von einer lustlos halbfertige Ideen in einen Topf schmeißenden Gruppe frustrierter Entwickler mit halbherzig exhumierter Klassikerfranchise kompiliert wurde – und tatsächlich hat das dafür verantwortliche Traditionsstudio Human Head just am Tag des Erscheinens dieses lieblosen Wikingerzombies seine Auflösung bekanntgegeben. Zu spät – leider.

GameSpot Trailers

"WWE 2k20" – Otto Wanz, schau oba

Wrestling ist Showbusiness, und für die offiziell lizenzierte Videospielreihe zum Wrestlingzirkus der WWE gilt das ganz besonders: Jahr für Jahr treten die digitalen Watschenmänner auch auf Konsolen und PCs an, um sich mit Clotheslines, Piledrivern und anderen Knochenbrechermoves möglichst fotogen die Polygone einzuschlagen. WWE 2K18, der letztjährige Eintrag in die jährliche Sammelaktion zugunsten der brachialen Entertainmentprofis, war ausgesprochen gelungen; Grund genug vielleicht, dass man sich bei 2K Sports dieses Jahr umso weniger Mühe geben musste.

Bugs, Glitches und teils höchst unterhaltsame technische Hoppalas lassen vermuten, dass auch die Entwickler des Spiels mit gar nicht so leichten Schlägen auf den Hinterkopf zur Arbeit angespornt wurden, und tatsächlich ertappt man sich beim Spielen bald dabei, sich dieselbe Behandlung zu wünschen: Möglicherweise ließe dann der andere Schmerz nach, den dieser lieblose Eintrag ins Wrestling-Genre hervorruft. Otto Wanz hätte sich aus Frust extra dafür ein Telefonbuch zum Zerreißen besorgt – dessen Unterhaltungswert übrigens gar nicht so weit unter jenem von WWE 2K20 gelegen wäre.

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Welche Spiele haben Sie dieses Jahr besonders enttäuscht? (Rainer Sigl, 31.12.2019)

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