Seit sechs Jahren ist Walter Geyer in Pension, im Ruhestand ist er dennoch nicht. Mit dem Forum Informationsfreiheit kämpft er weiterhin gegen das Amtsgeheimnis und für den "gläsernen Staat".

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Walter Geyer ist der wohl erfahrenste grüne Verhandler für den Koalitionspakt mit der ÖVP. Berühmt wurde er als Ankläger gegen Ex-Finanzminister Hannes Androsch. Als Chef der Korruptionsstaatsanwaltschaft trieb er beharrlich politisch brisante Fälle voran.

STANDARD: Sie sind als Jurist seit 2013 in Pension, für die Grünen waren Sie zuletzt vor über 30 Jahren als Abgeordneter im Nationalrat aktiv. Wie kommt es, dass Sie nun im Koalitionsverhandlerteam sitzen?

Geyer: Alma Zadić (grüne Chefverhandlerin in diesem Bereich, Anm.) hat mich gefragt, ob ich sie beim Themenkomplex Justiz und Verfassung unterstützen will. Das war ein interessantes Angebot, weil ich durch meine langjährige Erfahrung als Staatsanwalt eine gewisse Kompetenz mitbringe.

STANDARD: Wie unterscheidet sich das heutige grüne Team von jenem, das Sie in den späten 1980er-Jahren erlebt haben?

Geyer: Damals war das eine Pionierzeit. Alles war im Fluss. Wir wollten auch den Politikstil selbst in Bewegung bringen. Wir waren ein zusammengewürfelter Haufen mit unterschiedlichsten Charakteren. Heute habe ich den Eindruck, dass die Grünen viel professioneller agieren und auch sehr fokussiert in diese Regierungsverhandlungen eingetreten sind.

STANDARD: Justizminister Clemens Jabloner hat der zukünftigen Regierung eine Bestandsaufnahme zur Lage der Justiz mit auf den Weg gegeben. Er warnte drastisch vor einem "stillen Tod der Justiz" und beklagte fehlende Ressourcen.

Geyer: Diese Diagnose kann ich unterschreiben. Die Einsparungen im Justizbereich haben sich sehr negativ ausgewirkt. Das betrifft gar nicht primär Richter und Staatsanwälte. Vielmehr geht es um die Infrastruktur und den Mangel an Kanzleikräften. Das macht sich dann auch in der Qualität und Dauer der Verfahren bemerkbar.

STANDARD: Was bräuchte es am dringendsten?

Geyer: Mehr Geld, die Einsparungen der letzten Jahre waren schlicht überzogen.

STANDARD: Sind Sie guter Dinge, dass hier unter Türkis-Grün etwas weiterginge?

Geyer: Dazu möchte ich nichts sagen. Wir haben über den Inhalt der Verhandlungen Stillschweigen vereinbart.

STANDARD: Sollten Innenministerium und Justizministerium von unterschiedlichen Parteien besetzt werden?

Geyer: Dieser Idee kann ich viel abgewinnen. Die Exekutive, die zum Innenministerium gehört, übt das Gewaltmonopol des Staates aus. Aufgabe der Justiz ist es auch, die Handhabung des Gewaltmonopols zu kontrollieren. Jede Kontrolle sollte unabhängig von dem sein, was sie kontrolliert.

STANDARD: Und wenn dieselbe Partei im Ministerium sitzt, ist Unabhängigkeit nicht möglich?

Geyer: Zumindest besteht dann ein starker Anschein der Abhängigkeit beziehungsweise Befangenheit. Diesen Anschein sollte man von vornherein vermeiden.

Walter Geyer fordert, dass Justizministerium und Innenministerium nicht von derselben Partei besetzt werden.
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STANDARD: Was halten Sie von einem parteifreien Justizminister?

Geyer: Ideal wäre ein Minister, der insoweit politisch agiert, als er eine gesellschaftspolitische Idee im Justizbereich verfolgt und dafür auch einer Partei angehören kann. Allerdings ist zugleich wichtig, dass die Strafjustiz vom Einfluss des Justizministers befreit wird. Durch die Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaften hat der Justizminister eine Durchgriffsmöglichkeit auf alle Verfahren. Das ist ein untragbarer Zustand.

STANDARD: Seit 2016 gibt es den Weisungsrat, der bei Weisungen des Justizministers eine Stellungnahme abgeben muss. Ist das nicht ein Fortschritt, um das Weisungsrecht zu kontrollieren?

Geyer: Der Weisungsrat verdeckt nur die Macht des Justizministers und beschert ihm den angenehmen Nebeneffekt, dass er die Verantwortung auf den Weisungsrat schieben kann, wenn ihm das genehm ist. Besonders pikant am österreichischen Weisungsrecht ist, dass wir mit diesem System heute wohl nicht einmal mehr in die EU aufgenommen werden könnten. Die Unabhängigkeit der gesamten Justiz einschließlich der Staatsanwaltschaften ist mittlerweile ein EU-Beitrittskriterium. Mit der Weisungsgebundenheit geht das nicht zusammen, daran ändert auch der Weisungsrat nichts.

STANDARD: Warum gibt es dieses Modell in Österreich noch?

Geyer: Gute Frage, die könnten Sie den Regierungsparteien der letzten Jahre stellen. In Wahrheit geht es um Macht, die man nicht aus der Hand geben will. Was man auch sehen muss: Das Weisungsrecht zieht ein langwieriges Berichtswesen von der Staatsanwaltschaft ans Ministerium unter Einbindung des Weisungsrates nach sich. So entsteht ein aufgeblähter Apparat, in dem Berichte geschrieben und geprüft werden, statt die Ermittlungen voranzutreiben. Im Endeffekt sind mehr als zehn Juristen nur mit der Frage befasst, ob eine Anklage eingebracht wird oder nicht, über deren Zulässigkeit ohnedies das Gericht entscheidet. Das ist weder sachgerecht noch zeitgemäß.

STANDARD: Ein anderes österreichisches Spezifikum, das Sie immer wieder kritisiert haben, ist das Amtsgeheimnis.

Geyer: Österreich ist der letzte EU-Staat, in dem die Amtsverschwiegenheit sogar im Verfassungsrang steht. Ich glaube, dass trotzdem mehr Transparenz möglich wäre. Die Behörden legen das Amtsgeheimnis in der Praxis sehr weit aus, daher ist es für Bürger und Journalisten oft unmöglich, Informationen über staatliche Vorgänge zu erhalten. Ich halte eine völlige Umkehr für unabdingbar, die man auch gesetzlich so formulieren sollte.

STANDARD: Wie würde diese Umkehr aussehen?

Geyer: Wir brauchen ein Informationsfreiheitsgesetz, das eine Art "gläsernen Staat" statt des "gläsernen Bürgers" sicherstellt. Grundsätzlich sollten alle Informationen des Staates öffentlich zugänglich sein, begründete Ausnahmen davon sollten sich in engen Grenzen halten. Zudem sollte der Staat Informationen von sich aus im Internet transparent machen und nicht nur auf Anfrage herausgeben. Dafür gibt es auch internationale Beispiele: Im Hamburger Transparenzportal werden alle wesentlichen Entscheidungen, vor allem aber sämtliche Aufträge über 100.000 Euro, veröffentlicht. So kann die Bevölkerung kontrollieren, wie ihr Steuergeld verwendet wird. In Norwegen sind inzwischen mehr als 40 Millionen Dokumente online. Das hilft auch gegen Korruption.

STANDARD: Das Thema Transparenz bringt uns zu den Koalitionsverhandlungen zurück. Wieso wird da so viel Geheimniskrämerei betrieben, immerhin geht es um die politische Zukunft des Landes. Ist hier nicht auch mehr Transparenz über den Verlauf geboten?

Geyer: (lacht) Diese Frage wäre eher an die Herrn Kurz und Kogler zu adressieren. Aber zunächst muss man sagen: Parteien sind keine Behörden. Selbst ein Informationsfreiheitsgesetz würde Koalitionsgespräche zwischen Parteien nicht tangieren.

STANDARD: Aber die Parteien könnten von sich aus offener über den Stand der Dinge informieren, anstatt die insgesamt 100 Verhandler zum Schweigen anzuhalten.

Geyer: Die Parteien gehen wohl davon aus, dass die Erfolgsaussichten für eine Vereinbarung größer sind, wenn nicht ständig rote Linien und Konflikte über die Medien kommuniziert werden.

STANDARD: Wo es inhaltliche Konflikte geben kann, ist sowieso jedem klar, der die Programme kennt. In einer aufgeklärten Diskussionskultur müsste es doch möglich sein, den Umgang mit den thematischen Unterschieden zu kommunizieren.

Geyer: In einer aufgeklärten Öffentlichkeit schon, aber nicht unbedingt während schwieriger Koalitionsverhandlungen. Außerdem ist im Journalismus und in der öffentlichen Debatte eine leichte Erregbarkeit zu beobachten, die mit einer Neigung zur Übertreibung einhergeht. Diese Front wollten sich die Parteien vermutlich ersparen. Bei einer Koalition aus ÖVP und Grünen, die in Österreich ein neues Experiment wäre, gibt es ohnehin genug unbekanntes Terrain. (Theo Anders, 16.12.2019)