"Free Melania!", stand eine Zeitlang auf Transparenten von Demonstranten, die damit aussagen wollten, dass Melania Trump Besseres verdient habe, als im goldenen Käfig des Weißen Hauses zu sitzen, ausgeliefert den Launen eines vermutlich flegelhaften, jedenfalls auf flegelhafteste Weise twitternden Ehemanns. Kate Bennett, eine Journalistin des Fernsehsenders CNN, hat die Parole aufgegriffen und umgedreht. "Free, Melania", lautet der Titel einer Biografie, mit der sie versucht, der Lösung des Rätsels zumindest nahezukommen. Des Rätsels, wofür diese First Lady eigentlich steht. Was für eine Frau sich hinter der Fassade des schmalen, manchmal wie festgefroren wirkenden Lächelns verbirgt.

Das Lächeln der Melania Trump ist rätselhaft wie jenes der Mona Lisa.
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Melania Trump, so Bennetts These, muss nicht aus dem goldenen Käfig befreit werden, denn sie ist bereits frei. Indem sie bisweilen das genaue Gegenteil dessen tue, was ihr Mann von ihr erwarte, sei sie eine moderne Feministin. Die These klingt schon deshalb gewagt, weil es nicht an Zeitgenossen mangelt, die in der First Lady eher so etwas wie das Feigenblatt Donald Trumps sehen. Neulich in Baltimore, wo sie über ihr Projekt "Be Best" redete, wurde sie von Schülern einer Highschool gnadenlos ausgebuht. Die Initiative macht Cybermobbing zum Thema, sie mahnt einen freundlicheren Ton in sozialen Medien an. Nur hat sie eben ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn der bekannteste aller Cybertyrannen im Weißen Haus residiert. Zudem hatte Donald Trump die Stadt Baltimore im Sommer als "von Ratten verseuchtes Drecksloch" beschimpft, wofür Melania noch Monate später die zornige Quittung bekam.

In Baltimore wurde Melania Trump ausgebuht.
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Folgt man Bennett, dann ist man jedenfalls gut beraten, wenn man genauestens auf die Kleiderwahl der First Lady achtet. Das sei nun mal ihre Art, Zeichen zu setzen, Zeichen stillen Protests eingeschlossen. Damit deute eine Frau, deren Mienenspiel vor laufenden Kameras nichts an Emotionen verrate, das keinerlei Risse in der Festungsmauer erkennen lasse, zumindest an, was sich hinter den Kulissen abspiele,

Da wäre jener Jännertag des Jahres 2018, an dem der 45. Präsident der USA seine erste Rede zur Lage der Nation hält und sie in einem weißen Hosenanzug der Marke Christian Dior auf der Parlamentstribüne erscheint. Hosenanzüge sind das Markenzeichen Hillary Clintons, Donald Trump mag es nicht, wenn Frauen sie tragen. Und Weiß war die Farbe der Suffragetten, die einst für das Frauenwahlrecht marschierten.

Insofern konnte man einen weißen Hosenanzug nur als optisches Zeichen des Widerspruchs verstehen. Drei Wochen zuvor war publik geworden, dass der New Yorker Anwalt Michael Cohen einer Pornodarstellerin namens Stephanie Clifford alias Stormy Daniels 130.000 Dollar gezahlt hatte, damit sie im Wahlkampf 2016 nicht über eine Sexaffäre mit Trump plauderte. "Meine Theorie ist", verallgemeinert es Bennett, "dass Melania, wann immer die Trumps miteinander hadern, Männersachen trägt."

"Hat sie Gefühle?"

Nun ist die CNN-Reporterin die Einzige im White House Press Corps, der Gruppe von Journalisten, die ausschließlich über die Regierungszentrale berichten, die keine andere Aufgabe hat, als sich der First Lady zu widmen. Was freilich nicht heißt, dass ihr die First Lady tiefe Einblicke in ihr Seelenleben gewährt hätte. Melania, schreibt die Buchautorin, neige so gründlich zur Geheimniskrämerei, dass wilde Spekulationen die zwangsläufige Folge seien. "Hasst sie das Leben im Weißen Haus? Hat sie Gefühle?" In Washington kursiert zum Beispiel das Gerücht, dass sie gar nicht im Weißen Haus wohnt, sondern mit ihrem Sohn Barron und ihren Eltern in Potomac, einem lauschigen Vorort der Hauptstadt. Bennett belässt es bei dem knappen Hinweis, dass sie keinen Beleg dafür finden konnte.

Empörung

Umso eigenwilliger interpretiert sie eine Episode, die Melania Trump inmitten einer humanitären Krise ins Kreuzfeuer der Kritik geraten ließ. Während Kinder auf Weisung ihres Mannes von ihren Eltern getrennt wurden, nachdem sie ohne gültige Papiere aus Mexiko gekommen waren, während ein Aufschrei der Empörung durchs liberale Amerika ging, flog sie nach McAllen, um sich in der texanischen Grenzstadt ein Bild zu machen. "I really don't care, do u?", stand in saloppem Englisch auf der Jacke, die sie dort trug. Ihr sei das ziemlich egal: In der Zeile schien sich alles zu bündeln, Gefühlskälte, Achselzucken angesichts menschlichen Leids, drakonische Härte in der Einwanderungspolitik.

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In Wahrheit, glaubt Kate Bennett, war die Botschaft für die Lieblingstochter des Präsidenten bestimmt. Es handelte sich nämlich um eine Jacke von Zara, Ivanka Trump schwört auf das Label, und die First Lady wollte ihr praktisch den Stinkefinger zeigen. Weil Ivanka den Eindruck erweckte, als habe sie ihren Vater überredet, die Familientrennung zu beenden. Wo es doch in Wahrheit Melania war, die sich am beharrlichsten dafür eingesetzt hatte. Die First Lady hat es bislang mit keinem Wort kommentiert. (Frank Herrmann aus Washington, 16.12.2019)