Mensch und Maschine wachsen zusammen. In der Datenanalyse setzen auch Asset-Manager verstärkt auf ihre technischen Helfer.

Foto: Imago Images / Rüdiger Wölk

Die Weltmärkte sind vielschichtig geworden, die zur Verfügung stehende Datenmenge enorm. All das zu überblicken wird zunehmend schwieriger. Daher setzen immer mehr Vermögensverwalter auf künstliche Intelligenz, um sich aus dem Auslesen der Datenmenge Vorteile zu verschaffen.

STANDARD: Warum brauchen Fondsmanager künstliche Hilfe?

Fraikin: Ein Beispiel: Im Bereich Aktien interessieren uns rund 5000 Titel. Die monatliche Aktienrendite auf 20 Jahre ergeben 1,2 Millionen Datenpunkte.

STANDARD: Das ist viel ...

Fraikin: Das stimmt. Einer alleine schafft das nicht. Für eine Maschine sind das aber noch wenige Daten, ein Klacks. Alles, was wir historisch betrachtet haben – G&V-Daten, Aktienkennzahlen –, ist viel, aber noch immer nicht Big Data. Das braucht es aber, damit Maschinen sinnvoll arbeiten können. Big Data ist der siamesische Zwilling von künstlicher Intelligenz (KI). Diese Datenmengen hatte man im Asset-Management historisch gar nicht.

STANDARD: Aber Analysten und Trader sitzen doch vor Bildschirmen, wo allerlei Zahlen blinken und laufend Daten reinkommen ...

Fraikin: Ja schon. Aber das sind dennoch wenige Daten. Dort, wo man heute KI benutzt, sind das normalerweise Anwendungen, wo man viel mehr Daten hat.

STANDARD: Braucht es denn die extreme Datenmenge, um eine Aktie einzuordnen? Fondsmanager haben früher auch ihre Analysen gemacht und dann gehandelt.

Fraikin: Warum erzielt man Rendite? Sie ist eine Belohnung für Risiko. Das andere Thema ist der Informationsvorsprung. Als ich angefangen habe, gab es ein im Zwei-Wochen-Rhythmus erscheinendes Buch mit Gewinnschätzungen der Analysten. Ich habe immer versucht, das Buch schneller zu haben als meine Kollegen. Dann hatte das Buch jeder als Datenbank – der Vorteil ist gesunken. Nun kommen eben neue Technologien ins Spiel.

STANDARD: Was kann damit gemacht werden?

Fraikin: Traditionell haben wir die bisherigen Schätzungen von Analysten betrachtet, um daraus abzuleiten, wie sich ihre Einschätzungen künftig entwickeln werden. Je mehr Leute sich aber damit beschäftigen, desto kleiner wird der daraus gewonnene Vorteil. Wir setzen jetzt auf Natural Language Processing. Wir lesen damit den Frage/Antwort-Teil von Telefonkonferenzen nach Quartalsergebnissen aus. Wir wollen wissen, wie positiv das Management ist und wie sicher in seiner Einschätzung. Dafür analysieren wir die Wörter: Haben diese ein positives oder negatives Sentiment? Wörter wie "möglicherweise" oder "vielleicht" lassen durchblicken, dass man sich seiner Sache nicht sicher ist. Auf diese Art prognostizieren wir, wie sich Analystenschätzungen verändern werden und ob es beim Unternehmen besser oder schlechter laufen wird.

STANDARD: Sie setzen also auf eine maschinelle Wortanalyse?

Fraikin: Ja. Bei gut 1000 US-Unternehmen gibt es die quartalsweisen Telefonkonferenzen, damit habe ich eine Masse an Text, den ich analysieren kann. Dafür werden eigens Wörterbücher definiert. Aus dieser Analyse wissen wird, dass Unternehmen, die sich ihrer Sache sicher sind, auch besser performen als jene, die sich ihrer Sache nicht so sicher sind. Auch Geschäftsberichte lesen wir jetzt anders aus. Die werden ja von einem kleinen Heer von Menschen so geschrieben, dass man erst mal kaum Interessantes darin findet. Diese Analyse werden wir künftig in die Fonds einbauen.

STANDARD: Wie analysieren Sie die Geschäftsberichte künftig?

Fraikin: Unternehmen ändern ihre Geschäftsberichte nicht gerne. Sie nehmen den vom Vorjahr und tauschen das Nötige aus. Wird hingegen viel verändert, ist das meist nicht gut. Man kann also analysieren, ob der aktuelle Bericht ähnlich dem vom Vorjahr ist oder nicht, und so die Informationen besser auslesen.

STANDARD: Was ist in diesem Bereich noch denkbar?

Fraikin: Wir arbeiten gerade an einem neuen Projekt. Dabei analysieren wir weltweit alle öffentlich zugänglichen Nachrichten auf der Suche nach Zusammenhängen. Wir filtern, für welche Themen sich Unternehmen interessieren und bei welchen Innovationsthemen welche Unternehmen auftauchen. Damit können wir erkennen, welche Themen wichtiger werden im Zusammenhang mit Innovation. Man kann beispielsweise filtern, welche Unternehmen verbunden sind mit Nachrichten über 3D-Druck. Dann kann man schauen, ob das Thema für das jeweilige Unternehmen wichtig ist oder nicht. So kann man einerseits neue Zukunftsthemen finden und sehen, welche Unternehmen für das Thema wichtig sind, und andererseits, für welche Unternehmen die Innovation dann wieder wichtig ist. Unser Fonds wird diese Innovationen dann abbilden.

Michael Fraikin, Fondsmanager: "Ich glaube nicht, dass wir nachhaltiger werden, wenn wir jetzt rationieren und weniger verbrauchen."
Foto: HO

STANDARD: Worin liegt bei dieser Herangehensweise der Vorteil?

Fraikin: Nehmen wir an, Sie wollen einen 3D-Druck-Fonds machen, ein fiktives Beispiel. Es reicht mir nicht, zu wissen, das sind die 25 Unternehmen, die in dem Kontext genannt werden. Ich will ja auch wissen, wie wichtig sind diese Unternehmen für den Bereich 3D-Druck, für die Weiterentwicklung dieser Technologie. Google etwa ist für viele Themen, die mit Innovation zu tun haben, wichtig, aber es gibt nur wenige Innovationsthemen, die für Google wichtig sind, weil die selber so viel machen. Diese Information gibt uns Rückschlüsse auf die Gewichtung des Unternehmens innerhalb des Fonds. Und man findet so auch verborgene Innovationstreiber.

STANDARD: Früher ging man als Fondsmanager zum CEO, wenn der überzeugt hat, wurde gekauft ...

Fraikin: Stimmt. Aber alles wurde transparenter, der Informationsvorsprung damit kleiner. Die Technik ist hier nicht mehr wegzudenken. Es ist die Kombination von Mensch und Maschine, die dann den Ausschlag gibt.

STANDARD: Die Finanzbranche setzt immer stärker auf nachhaltige Produkte. Aber die Technik für KI, Rechenleistung, Speicher etc. braucht viele Ressourcen. Wie geht sich das mit Nachhaltigkeit aus?

Fraikin: Philosophisch betrachtet, glaube ich nicht, dass wir nachhaltiger werden, wenn wir jetzt rationieren und weniger verbrauchen. Das ist nicht die menschliche Natur. Ich glaube, dass wir unsere Probleme durch Technik lösen werden und nicht durch Verzicht. Es werden von einem kleinen Prozentsatz der Menschen relativ viele Ressourcen verbraucht. Selbst wenn wir jetzt weniger verbrauchen, müssten wir die anderen davon abhalten, mehr zu verbrauchen.

STANDARD: Ein Technikbeispiel?

Fraikin: Fotovoltaik etwa – die Kosten für diese Anlagen betragen nur noch einen Bruchteil der Kosten vor zehn Jahren. Regenerative Energie wird künftig in viel größeren Mengen zu geringeren Kosten erzeugt werden. Die Auswüchse beim Online-Shopping und Paketversand werden verschwinden, wenn man CO2 richtig bepreist. (Bettina Pfluger, 16.12.2019)