Paris – Eine Woche vor Weihnachten schlägt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die geballte Wut über befürchtete Pensionskürzungen entgegen: Hunderttausende Menschen beteiligten sich am Dienstag an den dritten landesweiten Streiks und Protesten in diesem Monat. Der Zug- und Flugverkehr waren erneut massiv gestört, auch Verbindungen nach Deutschland waren betroffen.
Am Dienstagnachmittag waren es in Frankreich bereits mehr als 200.000 Demonstranten bei rund 40 Kundgebungen, wie eine Zählung der Nachrichtenagentur AFP auf Grundlage von Polizei- und Präfekturangaben ergab. Zu Beginn der Protestwelle am 5. Dezember waren mehr als 800.000 Menschen auf die Straße gegangen.
Erstmals riefen nun alle Gewerkschaften gemeinsam zu den Aktionen auf. Sie wollten damit vor geplanten neuen Verhandlungen mit Regierungschef Edouard Philippe am Mittwoch den Druck erhöhen.
Gewerkschaft: Höhere Pensionbeiträge statt höheres Pensionsantrittalter
Die größte französische Gewerkschaft CFDT appellierte an die Regierung, auf die faktische Erhöhung des Pensionsantrittsalters von bisher 62 auf 64 Jahre zu verzichten und stattdessen die Pensionsbeiträge für alle zu erhöhen. Haushaltsminister Gérald Darmanin lehnte dies jedoch ab. Eine Beitragserhöhung bedeute weniger Kaufkraft für die Angestellten und höhere Abgaben für die Firmen. "Es würde die Wirtschaft abwürgen", sagte er dem Sender BFM-TV.
Die zweitgrößte Gewerkschaft CGT will dagegen erreichen, dass sie Regierung die Pensionsreform vollständig zurückzieht. Sie droht andernfalls mit Streiks über Weihnachten.
Zugreisende waren besonders von den Streiks betroffen: Nach Angaben der französischen Bahngesellschaft SNCF fielen drei Viertel der TGV-Schnellzüge aus sowie und 95 Prozent der Intercity-Züge. Die Deutsche Bahn und die Gesellschaft Thalys riefen ihre Kunden auf, sich im Internet über ihre Verbindungen nach Deutschland zu informieren.
Auch Flüge waren gestrichen, da das Bodenpersonal erneut die Arbeit niederlegte. Schwerpunktmäßig wurde diesmal der Pariser Flughafen Orly bestreikt. In Paris blieben zudem die meisten Metros geschlossen, es verkehrten nur wenige Vorortzüge und Busse. Bei der Bahn und im Pariser Nahverkehr war es bereits der 13. Streiktag in Folge.
Kundgebungen von Paris bis Marseille
An den Protesten beteiligten sich auch Lehrer, Anwälte und Justizangestellte sowie Krankenhaus-Mitarbeiter. "Wir fordern, dass Macron die Pensionsreform zurückzieht", sagte die Lehrerin Paloma Viala, die mit tausenden anderen Menschen an der zentralen Kundgebung am Pariser Platz der Republik teilnahm. Die 27-Jährige rechnet mit Pensionseinbußen von mindestens 600 Euro monatlich, sollten die Pläne wie von der Regierung beabsichtigt bis zum Sommer vom Parlament besiegelt werden. "Das ist enorm", betonte sie. Kundgebungen gab es auch in Großstädten wie Marseille, Lyon und Rennes.
In Lyon und Nantes beteiligten sich auch Mitarbeiter des staatlichen Energiekonzerns EDF an dem Streik. Sie sorgten dort für kurzzeitige Stromausfälle in zehntausenden Haushalten, wie Gewerkschafts-Mitglieder mitteilten. In rund 20 französischen Gefängnissen legte zudem das Wachpersonal vorübergehend die Arbeit nieder.
62 Prozent der Franzosen unterstützen die Streiks
Nach einer Umfrage des Instituts Harris Interactive für den Sender RTL und AEF Info unterstützen 62 Prozent der Franzosen die Streiks. 69 Prozent der Befragten wünschen sich allerdings eine Pause an den Feiertagen kommende Woche. "Keiner hat Lust auf Störungen zu Weihnachten", sagte der Chef der Gewerkschaft UNSA, Laurent Escure. "Aber dafür ist vor allem die Regierung verantwortlich."
Premierminister Edouard Philippe hat die Gewerkschaften für Mittwochnachmittag zu neuen Verhandlungen eingeladen, um eine Fortsetzung der Streiks abzuwenden. Eine Annäherung ist aber nicht in Sicht: Philippe zeigte sich erneut "vollkommen entschlossen", die Reform umzusetzen. (APA, 17.12.2019)