Die ersten Tage des bald vergangenen Jahres 2019 waren von Gewalt gegen Frauen geprägt. Innerhalb von nur zwei Wochen wurden vier Frauen getötet. Sie wurden erstickt, ertränkt, erstochen. Da das Jahr noch nicht ganz beendet ist und im Vorjahr vor, zwischen und nach den Feiertagen besonders viele Frauen Opfer von schwerer Gewalt oder Mord durch Männer wurden, sind die Zahlen für heuer noch vage. Die Daten im Vergleichszeitraum Oktober bis Oktober ergeben laut Bundesministerium für Inneres immerhin einen Frauenmord weniger: 2018 waren es bis dahin 33, heuer wurden bis Oktober 32 Frauen getötet.

Beziehungsende als Lebensgefahr: Kerzen vor dem Tatort in Kitzbühel, wo ein 19-Jähriger am 6. Oktober seine Ex-Freundin, ihre Familie und ihren neuen Partner erschossen haben soll.
Foto: APA/EXPA/ Johann Groder

Laut Franz Lang, Direktor des Bundeskriminalamts, häuft sich aber in der Zeit um Weihnachten häusliche Gewalt. Auch die Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser, Maria Rösslhumer, spricht von heiklen Wochen für Frauen. Wie generell, wenn Ferien sind, Familien zusammenkommen und auch noch Stress und Druck herrschen.

Das mediale Echo fiel 2019 anders aus als in den Jahren zuvor. Anstatt die Fälle zu skandalisieren und nur im Einzelnen zu betrachten, wurde häufiger kontextualisiert, von Femiziden und toxischer Männlichkeit gesprochen und klargestellt: Frauen werden aufgrund ihres Geschlechts und männlichem Anspruchsdenken getötet.

Dreistellige Notrufnummer wurde nicht umgesetzt

Die türkis-blaue Regierung versprach Anfang 2019 als schnelle Maßnahme eine dreistellige Notrufnummer – die letztlich nicht umgesetzt wurde. Rösslhumer leitet auch die seit 20 Jahren bestehenden Frauenhelpline gegen Gewalt und ist froh, dass es nicht so weit kam: "Das hätte Chaos bedeutet." Die bestehende Nummer (0800 222 555) sei gut etabliert, die neue hätte auf die bestehende umgeleitet werden müssen. Ein Budget war dafür nicht vorgesehen.

Das damals von Herbert Kickl (FPÖ) geführte Innenministerium beauftragte zudem eine Screeninggruppe mit der Untersuchung von Mordfällen. Diese veröffentlichte Ende November ihre Ergebnisse: In 44 Prozent der Morde gab es vorher schon ein Betretungsverbot. Das bestätigte die Einschätzungen von Opferschutzeinrichtungen und Frauenhäusern, dass Täter oft vor dem Mord schon auffällig waren. Und eine weitere langjährige Expertinnenmeinung wurde bestätigt: Trennung, Arbeitslosigkeit, Drogen und Alkohol sind die größten Risikofaktoren.

Damit zeigte sich heuer deutlich, wie wichtig die Expertise von jenen ist, die seit Jahrzehnten im Gewaltschutz tätig sind. Doch viele ihrer Einwände wurden beim bereits im Parlament beschlossenen Gewaltschutzpaket übergangen.

Für Opfer entscheiden

Bei der geplanten Anzeigepflicht bei Verdacht auf eine Vergewaltigung muss ab 2020 das gesamte Gesundheitspersonal für Patientinnen und Patienten entscheiden, Anzeige zu erstatten. Fachleute warnten, dass das Betroffene entmündigen und daran hindern könnte, sich medizinische Hilfe zu holen. Auch wäre eine Zunahme an Anzeigen für die Justiz derzeit nicht bewältigbar, sagt Rösslhumer. "Schon jetzt werden viele Anzeigen wegen Vergewaltigung eingestellt, weil Aussage gegen Aussage steht und eine lückenlose Ermittlung jetzt schon nicht gemacht wird."

Alexander Haydn von der Männerberatung Wien begrüßt das Gewaltschutzpaket zwar, bezeichnet die Umsetzung aber als "katastrophal". Er kritisiert die Erhöhung des Strafausmaßes. Die Mindeststrafe für Vergewaltigung wird etwa von einem auf zwei Jahren erhöht, eine gänzlich bedingte Strafe ist nicht mehr möglich. "Ob er ein, drei oder fünf Jahre ins Gefängnis kommt, wird keinen Mann davon abhalten, gewalttätig zu werden", sagt Haydn, das mache wenn dann nur im Wiederholungsfall einen Unterschied.

Beim Verein Autonome Frauenhäuser kann man auch nicht nachvollziehen, warum die bei Verstoß des Betretungsverbots angesetzte Strafe von 500 auf bis zu 5000 Euro bei mehrmaligem Verstoß angehoben werde. Bereits jetzt werde diese Strafe oft von der Familie des Gefährders und somit auch von den Frauen getragen, wenn er nicht selbst zahlen kann.

Diskussion über Kosten

Auch die verpflichtende Gewaltpräventionsberatung sieht Haydn kritisch. Ein Gefährder muss sich demnach binnen fünf Tagen, nachdem gegen ihn ein Betretungsverbot ausgesprochen wurde, zu einer Beratung anmelden. Die Einrichtung muss sich allerdings selbst darum kümmern, dass die Beratung von den Gefährdern bezahlt wird. Haydn befürchtet, dass die meiste Zeit der Gespräche dann über die Kosten diskutiert werde. "Wir sind eine NGO und kein Kreditunternehmen, das Geld eintreibt." Sinnvoller fände es Haydn, den Selbstkostenbeitrag im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens vorzuschreiben. Haydn äußert außerdem verfassungsrechtliche Bedenken, da jene, die zur Beratung verpflichtet werden, nicht strafrechtlich verurteilt wurden. Die Regelung könnte vom Verfassungsgerichtshof gekippt werden, und mögliche Rückzahlungen müsste dann vielleicht die Einrichtung selbst übernehmen.

Haydn geht davon aus, dass es eine Ausschreibung geben wird, an der sich die Männerberatung beteiligen könnte. "Es könnte sich aber auch eine Sicherheitsfirma melden", sagt Haydn, der sich um die Qualität der Beratung sorgt.

Das für diese Änderung zuständige Innenministerium kündigt auf STANDARD-Anfrage an, "bewährte geeignete Einrichtungen" beauftragen zu wollen, was "dementsprechenden Vorlauf braucht". Die Regelung werde deshalb erst 2021 in Kraft treten. "Das lässt sich mit Erlässen noch hinbiegen", hofft Männerberater Haydn für das kommende Jahr.

Finanzielle Mittel fehlen

Was sowohl von Opferschutz- als auch von Täterarbeitsseite betont wird: Es braucht mehr Geld. Laut Europarat fehlen in Österreich rund 100 Frauenhausplätze. Dabei betont Rösslhumer besonders die Lücken im ländlichen Raum, etwa in Niederösterreich, wo heuer besonders viele Frauenmorde verzeichnet wurden.

Aber auch in Präventionsarbeit müsse investiert werden. Alexander Haydn verlangt einen Fokus auf die Jüngsten: Das Rollenverständnis müsse bereits in Kindergärten und Schulen hinterfragt werden. "Wenn wir erst anfangen, wenn Männer zum ersten Mal hinschlagen, dann ist das um zehn bis 15 Jahre zu spät." (Beate Hausbichler, Noura Maan, 28.12.2019)