Essen und Trinken sind, wenn man es genauer betrachtet, sehr komplexe Angelegenheiten. Alle unsere fünf Sinne sind daran beteiligt: Augen, Nase, Zunge und Finger überprüfen das Aussehen, den Geruch, den Geschmack und die Konsistenz der Nahrungsmittel, die wir zu uns nehmen. Und auch die Ohren sind mehr beim Essen beteiligt, als man vermuten würde. Erst wenn im Gehirn alle Sinneseindrücke verknüpft werden, entsteht die eigentliche Geschmackswahrnehmung.

Noch bevor Nahrung unseren Mund passiert, verarbeitet unser Gehirn eine Vielzahl von Reizen, und bestimmte Erwartungen werden geweckt. Ein roter Apfel, eine weiche Avocado, der Geruch von frisch gebackenem Brot, das Rascheln von Chips – all das weckt schon vor dem Beißen und Kauen bestimmte Assoziationen. Scheint mit den Lebensmitteln alles in Ordnung zu sein und ist der Gesamteindruck positiv, wird der Appetit angeregt. Das Wasser läuft einem sprichwörtlich im Munde zusammen, die Speichel- und Magensaftproduktion werden angekurbelt. Stimmt allerdings etwas nicht mit der Farbe, dem Geruch oder der Konsistenz, ist dies schon vorab ein Warnsignal für den Körper. Dies war vor allem in Zeiten vor Kühlketten und Mindesthaltbarkeitsdaten wichtig und teilweise sogar lebensnotwendig – die Vielzahl der Sinneseindrücke konnte vor dem Verzehr von Verdorbenem oder Giftigem schützen.

Sehen

"Das Auge isst mit" ist eine alte und oft zitierte Weisheit. Tatsächlich ist es so, dass schon alleine der Anblick leckerer Speisen den Appetit anregen kann: Visuelle Reize führen zu einem Anstieg von Ghrelin im Blut – einem appetitanregenden Hormon, das in der Magenschleimhaut und der Bauchspeicheldrüse produziert wird.¹ Auch die Farbe ist mit entscheidend dafür, wie ein Lebensmittel von unserem Gehirn eingestuft wird. So etwa weckt ein schöner roter Apfel andere Erwartungen als ein blasser, gelber schrumpeliger. Farbenfrohe Kombinationen am Teller machen eher Lust aufs Essen als blasse Farben. Aber nicht alle Farbvariationen begeistern – so ist Kartoffelpüree aus violetten Kartoffeln beispielsweise durchaus gewöhnungsbedürftig. Dies hat den einfachen Grund, dass manche Farben in der Natur gar nicht oder nur selten vorkommen und deshalb nicht mit Genießbarkeit assoziiert werden.

Nicht nur die Farbe der Lebensmittel selbst spielt eine Rolle. Auch die Farbe des Tellers, der Tischdekoration und der Umgebung sowie die Beleuchtung beeinflussen die Wahrnehmung. So konnte eine Studie zeigen, dass rotes Geschirr den Appetit verringert.²  Rot ist somit eine schlechte Farbe für Teller oder Tablett, wenn Menschen – wie zum Beispiel im Krankenhaus – mehr essen sollten. Zum Abnehmen könnte es wiederum hilfreich sein, dass Rot den Appetit zügelt. Wie sehr Farbe bestimmte Erwartungen beim Essen hervorruft, konnte bereits eindrücklich in verschiedensten Experimenten gezeigt werden. Wurde Testpersonen beispielsweise Naturjoghurt einmal ohne und einmal mit Farbstoff vorgesetzt, so wurden rotem Joghurt verschiedenste Geschmäcker – von Kirsche bis Erdbeere – zugeordnet. In einer anderen Versuchsanordnung wurde Weinkennern ein rot eingefärbter Weißwein zur Verkostung gereicht, und keiner der Experten erkannte die Täuschung.³ Die Lebensmittelindustrie macht sich dies zunutze und setzt deshalb teilweise Farbstoffe bei Lebensmitteln ein, um den Konsumenten einen bestimmten oder stärkeren Geschmack zu suggerieren.

Essen betrifft nicht nur die Zunge.
Foto: Getty Images/Gerhard Egger

Fühlen

Schon bei der Nahrungsauswahl im Supermarkt spielt unser Tastsinn eine zentrale Rolle. Wer hat nicht schon einmal mit den Fingern überprüft, ob die Mango schon weich oder das Baguette noch nicht hart ist. Diese Sinneseindrücke vermitteln wichtige Informationen zu Reife, Frische und Qualität von Obst oder Gemüse. Auch im Mund "erfühlen" wir unser Essen: Beim Beißen und Kauen nehmen wir vor allem mit der Zunge wahr, welche Textur und Konsistenz die Nahrung hat – cremig, weich oder hart etwa – und ob die Speise kalt, warm oder lauwarm serviert wurde.

Riechen

Auch der Geruchssinn ist entscheidend für unsere Geschmackswahrnehmung. Der Geruch verrät uns schon vor dem Verzehr sehr viel über eine Speise und trägt entscheidend dazu bei, ob wir sie als appetitlich oder unappetitlich einstufen. Verdorbenes Essen beispielsweise kann durch Riechen schon als solches erkannt werden, aber auch unser Lieblingsessen können wir erschnüffeln und uns schon vor dem Essen darauf freuen.

Wir riechen Duftstoffe nicht nur durch Einatmen aus der Umgebungsluft (orthonasales Riechen). Auch beim Kauen von Lebensmitteln entstehen im Mund flüchtige Aromastoffe, die von der Mundhöhle über den Rachenraum zu den Rezeptoren im Nasenraum gelangen (retronasales Riechen). Insgesamt besitzen wir genaugenommen vier Nasenlöcher: Die zwei äußeren, allgemein bekannten Nasenlöcher, und zwei innere Nasenlöcher, die Rachen und Nase verbinden. Insgesamt kann der Mensch über eine Billion Gerüche unterscheiden⁴. Riechen ist auch eng mit Emotionen verbunden: Der Informationsweg beim Wahrnehmen eines Geruchs führt ins Limbische System unseres Gehirns, wo die ankommende Duftinformation ein Gefühl verursacht. Gerüche werden vom Gehirn gespeichert und können so später auch mit guten oder mit schlechten Erinnerungen assoziiert werden.

Wie wichtig der Geruchssinn für unser Geschmackserlebnis ist, wird oft bei Schnupfen klar: Riecht man nichts, dann schmecken Speisen und Getränke fade, und oft vergeht einem der Appetit.

Hören

Dieser Sinn wird nicht immer sofort mit Essen und dem Geschmackssinn in Verbindung gebracht, aber Tatsache ist: Auch das Hören beeinflusst unsere Geschmackswahrnehmung. So verrät uns etwa der Klang beim Hineinbeißen in eine Karotte, ob diese noch knackig frisch ist oder nicht. Ansprechende Geräusche können Appetit machen und das Geschmackerlebnis verbessern – das macht sich auch die Lebensmittelindustrie zunutze. So wird bei Chips beispielsweise darauf geachtet, dass ihr Knacken ansprechend klingt. Das Geräusch einer Bratwurst beim Abbeißen muss stimmen, und auch das richtige Zischen beim Bieröffnen wird nicht dem Zufall überlassen. Nachdem auch der Klang zählt, kümmern sich in der Lebensmittelindustrie mittlerweile eigene Sounddesigner darum, Essen knackig oder frisch klingen zu lassen.

Auch die Hintergrundgeräusche beim Essen spielen eine wichtige Rolle und tragen dazu bei, wie gut und intensiv Essen schmeckt. Das nutzen teilweise auch Restaurants, denn Begleitmusik aus den entsprechenden Ländern lassen beispielsweise typische Nationalgerichte besser munden. In einem Experiment wurde des Weiteren etwas Spannendes herausgefunden: Tiefe Töne lassen ein- und dasselbe Nahrungsmittel bitter erscheinen, hohe Töne vermitteln einen eher süßen Eindruck.⁵

Schmecken

Auch wenn das für die heutige zivilisierte Welt nicht mehr zutrifft: Die Fähigkeit, verschiedene Geschmacksrichtungen wahrzunehmen, war früher überlebenswichtig. Bitterer oder saurer Geschmack konnten ein Hinweis auf giftige ungenießbare Pflanzen oder verdorbene Nahrung sein. Süße oder salzige Lebensmittel deuteten dahingegen auf viele Nährstoffe hin. Der Brechreflex schützt uns auch heute noch davor, Verdorbenes zu verzehren.

Heute weiß man, dass es mindestens fünf Geschmacksrichtungen gibt, die wir über die Geschmacksknospen auf unserer Zunge wahrnehmen können. Diese liefern uns die „gustatorischen Sinneneindrücke“ süß, sauer, salzig, bitter und umami. Umami ist auch als Geschmack Nummer fünf bekannt und bezeichnet die herzhafte, würzige und fleischige Note von Speisen. Obwohl es noch keinen Beweis dafür gibt, plädieren heute viele Forscher dafür, dass es auch noch andere Geschmacksrichtungen gibt, die wir schmecken können. Zumindest über einen Fett-Geschmacksrezeptor wird schon lange gemutmaßt. Es gibt bereits Studien, die auf dessen Existenz hinweisen, fundierte Nachweise für diesen Rezeptor gibt es aber bisher noch nicht.

Der Mythos der Zungenlandkarte, der sich lange und hartnäckig gehalten hat, wurde übrigens mittlerweile widerlegt. Lange wurde in der Schule gelehrt, dass wir ganz vorne auf unserer Zunge süß schmecken, vorne an den Seiten salzig, hinten an den Seiten sauer und ganz hinten bitter. Der Irrglaube, dass es auf der Zunge diese speziellen Regionen für verschiedene Geschmacksrichtungen gibt, hatte sich aufgrund eines Fehlers bei einer Übersetzung eingeschlichen, wurde aber mittlerweile aufgeklärt: Eigene „Geschmackszonen“ auf der Zunge gibt es nicht. Die unterschiedlichen Geschmacksrichtungen nehmen wir auf der gesamten Zunge wahr, da unsere Geschmacksrezeptoren für die verschiedenen Geschmäcker überall sitzen. Lediglich eine feine Abstufung in der Intensität des Schmeckens konnte gezeigt werden, da die Geschmacksrezeptoren nicht überall auf der Zunge in gleicher Anzahl und Dichte vorhanden sind. So etwa besitzen wir in der Mitte der Zunge weniger Geschmacksrezeptoren.

Fazit

Schmecken beschränkt sich nicht auf unsere Sinneswahrnehmungen über die Geschmackspapillen im Mund. Vielmehr entsteht Geschmack durch ein komplexes Zusammenspiel aller Sinneseindrücke, die mit der Nahrung verbunden sind: Sehen, Schmecken, Riechen, Fühlen und Hören. Auch die Gastronomie und die Nahrungsmittelindustrie machen sich dies zunutze. So gibt es heute beispielsweise schon eigene "Sounddesigner" für Lebensmittel, und manche Restaurants achten auf die passende Musikbegleitung zum Essen. (Alexandra Schebesta, 16.1.2020)

Alexandra Schebesta ist promovierte Genetikerin und seit mehreren Jahren in der Wissenschaftskommunikation tätig. Als Projektleiterin bei Open Science betreut sie Projekte mit unterschiedlichsten Zielgruppen. Sie ist eine der Bloggerinnen, die als "bESSERwisser" die Beiträge für den Hungry-for-Science-Blog von Open Science verfassen.

Mehr Beiträge finden Sie auf hungryforscience.at.

Referenzen

¹ Schüssler P., Kluge M., Yassouridis A. et al.: Ghrelin levels increase after pictures showing food (2012). Obesity (Silver Spring). 12. Januar 2012.

² Genschow O, Reutner L and Wänke M.: The color red reduces snack food and softdrink intake (2012). Appetite, Apr;58(2):699-702.

³ Morrot G.,Brochet F. and Dubourdieu D.: The Color of Odors (2001), Brain Lang, 79 (2), 309-20, Nov 2001.

⁴ C. Bushdid, M. O. Magnasco, L. B. Vosshall, A. Keller: Humans Can Discriminate More than 1 Trillion Olfactory Stimuli (2014). Science 21, März, Vol. 343, No. 6177, S. 1370–1372. 

⁵  Crisinel AS, Cosser S., King S. et al.: A bittersweet symphony: Systematically modulating the taste of food by changing the sonic properties of the soundtrack playing in the background (2014).  Food Quality and Preference, Volume 24, Issue 1, April 2012, Pages 201-204.

Weitere Beiträge im Blog