Der Schutz und die nachhaltige Nutzung der marinen Biodiversität in der Hochsee ist eines der schwierigsten Unterfangen auf dem Parkett der zeitgenössischen internationalen Diplomatie. Wem gehören Meereslebewesen in internationalen Gewässern, wie können wir diese schützen, wer darf diese beforschen – und muss das Wissen über deren Eigenschaften und Merkmale allen zugänglich sein? All dies wird seit 2018 im Rahmen der Uno verhandelt mit dem Ziel, bis 2020 ein neues rechtlich bindendes Abkommen zum Schutz der Meere auf den Weg zu bringen.

Die Eröffnungsplenarsitzung der Intergovernmental Conference on Marine Biodiversity of Areas beyond National Jurisdiction (BBNJ).
Foto: IISD/ENB | Francis Dejon

Um überhaupt Aussagen darüber treffen zu können, wie sich der Zustand mariner Ökosysteme verändert hat und wie er verbessert werden kann, braucht es die Wissenschaft. Innovationen in den Bereichen der Fernerkundung, der Biotechnologie, der Genetik, Akustik und Robotik ermöglichen die systematische Beobachtung, Beprobung und automatische Vermessung mariner Ökosysteme und Arten etwa durch autonome Tiefsee-Observatorien oder ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge. Mit der wissenschaftlichen Erkenntnis steigt aber auch das kommerzielle Interesse an lebenden marinen Ressourcen stetig und rasant. Auch deswegen geht es in den Verhandlungen nicht nur um Recht, sondern auch um Gerechtigkeit.

Denn gerade jene Arten, die unter extremen Bedingungen in permanenter Dunkelheit und Kälte oder in extremer Hitze im Umfeld hydrothermaler Quellen auf dem Grund der Tiefsee leben, sind für die Wissenschaft ebenso interessant wie für die Industrie. Wer von den neuen Erkenntnissen über diese kaum beforschte Unterwasserwelt in Zukunft profitieren soll, ist derzeit aber noch unklar.

Ina Tessnow-von Wysocki und Alice Vadrot während der BBNJ.
Foto: IISD/ENB | Francis Dejon

Patente auf Gensequenzen

Erwiesen ist, dass 12.998 Gensequenzen von 862 marinen Arten bereits mit Patenten versehen sind und 47 Prozent davon einem einzigen Unternehmen, nämlich dem börsennotierten Chemiekonzern BASF, gehören. Um Regulierungen durch ein neues Umweltabkommen vorzugreifen, stieg bereits vor ein paar Jahren die Zahl der Patentierungen rasant an. Viele Unternehmen wollten die Zeit vor dem Inkrafttreten des sogenannten Nagoya-Protokolls nutzen, bevor dieses sie zu Zahlungen an die Ursprungsländer bestimmter genetischer Ressourcen verpflichtet. Das Nagoya-Protokoll gilt allerdings nicht für genetische Ressourcen in internationalen Gewässern, in welchen die Freiheit der Meere auch die Freiheit der Wissenschaft sicherstellt.

Handelt es sich bei mariner Biodiversität in internationalen Gewässern denn nicht um ein zu schützendes globales öffentliches Gut, das außerhalb nationalstaatlicher Logiken rangiert und für zukünftige Generationen erhalten werden sollte? Derartige Überlegungen sind in der Tat Teil der aktuellen Verhandlungen. Das entsprechende Prinzip des "Allgemeinen Guts der Menschheit" wird im aktuellen Verhandlungstext erwähnt, nachdem es von den G77, einem Zusammenschluss aus Staaten, die überwiegend zum globalen Süden zählen, und von der Gruppe der afrikanischen Staaten hineinreklamiert wurde.

Die zentrale Rolle der Wissenschaft

Die Gewinnung von Datenmaterial über die marine Biodiversität ist aber nicht nur für die Grundlagenforschung und die Entwicklung neuer Pharmaprodukte essenziell. Sie ist unabdingbar für die Kennzeichnung und Beobachtung von Meeresschutzgebieten sowie für die Umsetzung von Umweltverträglichkeitsprüfungen zur Abschätzung negativer Folgen bestimmter Aktivitäten auf die marine Biodiversität in der Hochsee. Der Wissenschaft kommt in den aktuellen Verhandlungen also eine zentrale Rolle zu: Sie ist Vermittler und Akteur, betroffen und machtlos zugleich. Nicht alle Staaten binden ihre Wissenschaftscommunity in die Verhandlungen ein, dementsprechend selektiv gestaltet sich die Wissensbasis, auf deren Grundlage die Zukunft der marinen Biodiversität verhandelt wird.

Im Frühjahr 2020 geht es in die vierte Verhandlungsrunde, und es ist davon auszugehen, dass die G77 und die afrikanischen Staaten das Prinzip des "Allgemeinen Guts der Menschheit" nicht leichtfertig aufgeben werden. Durch das Prinzip wird der Erhalt der marinen Biodiversität für zukünftige Generationen auf eine stabile Säule gestellt.

Die Wissenschaft ist Vermittler und Akteur, betroffen und machtlos zugleich.
Foto: APA/AFP/JAMES COOK UNIVERSITY/MATT CURNOCK

Der größte Trumpf der Befürworter ist allerdings der Verweis auf den ungleichen Zugang zu diesen Ressourcen. Ohne einen Transfer neuer Meerestechnologien und den Ausbau von Forschungskapazitäten bleibt der Zugang zu der marinen Biodiversität in der Hochsee auf jene Staaten beschränkt, die die Mittel haben, diese teure Forschung zu betreiben. Den Zugang nicht zu regulieren würde aus ihrer Sicht nur funktionieren, wenn ein gerechter Vorteilsausgleich den kaum zu überbrückenden technologischen Fortschritt vieler Industriestaaten kompensiert. Würden sie dafür den Kampf um das allgemeine Gut der Menschheit aufgeben? Möglicherweise, möglicherweise aber auch nicht.

Zu hoffen ist, dass die Stimme der Wissenschaft in den kommenden Verhandlungsrunden lauter wird und dass auch jene gehört werden, für die das allgemeine Gut der Menschheit mehr als nur ein ineffizientes Rechtsprinzip ist. (Alice Vadrot, 8.1.2020)