Am 5. Jänner startet die Dakar 2020 in Saudi-Arabien. Nicht nur rechtzeitig davor, sondern auch sehr pünktlich zum Weihnachtsgeschäft erschien "Dakar", ein Buch, das die Faszination, die berühmte Rallye mit dem Motorrad zu meistern, auf Papier bannt. Mehr als hundert Bilder hat Werner Jessner zusammengetragen, mit den wichtigsten Protagonisten der Dakar gesprochen, die Rallye selbst mehrmals begleitet. Als Journalist. Nie als Fahrer. Obwohl der vermutlich wildeste Hund des heimischen Auto-, Motorrad- und Fahrradjournalismus durchaus das Zeug dazu hätte, selbst an den Start zu gehen.

Werner Jessner ist ein wilder Hund, der sich nun der Haudegen angenommen hat, die die Dakar mit dem Motorrad bewältigen.
Foto: Daniel Grund

"Selber mitfahren war nie eine Option", sagt er mit verdrehten Augen. Grimassen schneiden kann er so gar nicht besser als Motorräder bewegen. Aber das nur nebenbei. "Ich bin zu langsam, zu schlecht, zu alt und auch zu reflektiert", begründet er sein Gesicht. "Natürlich ist es reizvoll, zwei Wochen lang jeden Tag im Sand spielen zu gehen, vermutlich das Beste, was es gibt, aber in dem Umfeld will ich das nicht machen." Umso mehr bewundert er Männer wie Markus Berthold. Der hat die 50 schon seit ein paar Jahren hinter sich und ist Unternehmer in Rankweil. "Markus hat die Disziplin, auf das Event hinzutrainieren und das Tempo dann so zu wählen, dass er grad und grad durchkommt mit all seinen Verletzungen." Auch er kommt im Buch von Werner Jessner vor.

"Eigentlich unglaublich"

Warum er sich gerade die Dakar mit dem Fokus auf die Motorräder vorgenommen hat, ist schnell erklärt. "Weil es das umfassende Motorrad-Dakar-Buch noch nicht gibt – eigentlich unglaublich." So unglaublich, dass er es selbst lange nicht glauben konnte. Darum stand am Anfang auch die Idee, ein Dakar-Buch über Matthias Walkner zu machen. "Doch die Sache wuchs sich schnell aus", erinnert sich Werner Jessner – der die Dakar nicht nur in guter Erinnerung hat.

Zweimal hat er sie komplett begleitet, das dritte Mal, als er dabei sein sollte, wurde sie abgesagt, mehrmals begleitete er einzelne Etappen. Er hat bei der Dakar gefroren, geschwitzt, gehungert "und gespieben. Wegen der Höhenkrankheit. Das wünscht du niemanden. Es war mein Fehler. Ich bin an einem Tag vom Meer hinauf nach La Paz, auf fast 4.000 Meter. Seit damals weiß ich, dass ich Höhe nicht so gut vertrage." Werner Jessner erinnert sich zwar, dass man dort auf jedem Zimmer einen Medikamentencocktail gegen die Höhenkrankheit vorfand, weil das Leiden dort alle haben. "Aber das habe ich dann doch nicht ausgehalten. Und dann hasst du jede Sekunde dort." Und doch hat ihn die Faszination so gepackt, dass er in Rekordzeit dieses Buch geschrieben hat – und das, obwohl er das ursprüngliche Konzept relativ bald entsorgen musste.

Stéphane Peterhansel kann nicht nur Dakar, sondern auch Kaffeemaschinen bedienen, stellte sich bei der Erstellung des Buches heraus.
Foto: Red Bull Media

Kein Corporate-Sprech

"Dakar" ist heute mit 340 Seiten in etwa doppelt so dick wie geplant. "Anscheinend war es an der Zeit, dass dieses Buch geschrieben wird", sagt er. Zumindest erklärt sich so, warum Türen, an die er nur zaghaft zu klopfen wagte, auf einmal sperrangelweit offen standen. Statt wie bisher sprach er nicht mehr mit der Sekretärin, sondern direkt mit den Lichtgestalten der Dakar. Wie Wolfgang Dürheimer. Der aktuelle Bugatti-Chef war beim allerersten Werkstart von BMW freiwilliger Mechaniker. Oder ein Peterhansel, den er bat, ob er ihm nicht ein paar Fragen beantworten könnte, der daraufhin fragte: "Wann kommst, ich hol dich vom Bahnhof ab", und ihm dann Kaffee kochte. "Alle haben fernab vom Corporate-Sprech ihre Geschichten erzählt, eine ganz neue journalistische Erfahrung", schwärmt Werner Jessner. Darum gibt es im Buch Geschichten, die noch niemand kennt. "Da stehen schon arge Sachen drin", sagt er schmunzelnd und erinnert sich auch an Willy Rampf. "Rampf, der Technikchef bei Sauber war und mit dem VW Polo WRC eines der erfolgreichsten Rallyeautos der Zeit verantwortet hat, erzählt zum Beispiel von der Pionierzeit der Dakar." Eine Aussage, die unweigerlich zu der Frage führt, ob die Dakar überhaupt noch die Dakar sei.

Eine kleine Reparatur wie hier an der BMW schaut auf der Dakar gach einmal so aus. Kein Wunder, dass dieses Foto eines der Lieblingsbilder von Werner Jessner im ganzen Buch ist.
Foto: Red Bull Media

Von 40 PS zu 64 Litern Sprit

Werner Jessner richtet sich in seinem Sessel auf, stemmt die Hände in die Hüften, und es fehlt nicht mehr viel, dass er wie ein Huhn mit den so entstehenden Flügeln zu schlagen beginnt. "Was ist die Dakar?", fragt er provokant. Dann noch einmal, bevor er auszuholen beginnt. "Als ich in den 2000er-Jahren das erste Mal bei der Dakar war, sagten schon alle 'Früher, aber früher'. Wenn du bei der Boxer-BMW anfängst – 200 Kilo und 40 PS –, das war das ärgste und stärkste Motorrad damals. Dann geht es weiter über die Zweizylinder-Tausender, die alles zerrissen haben, heute landest du bei 450ern, die eigentlich Enduros sind – aber mit einem rund 40 Liter fassenden Tank –, die du über sechs Stunden auch wie eine Enduro fährst. Dazwischen hat es Auswüchse gegeben wie die Yamaha von Peterhansel mit über 64 Litern Sprit, die natürlich vollgetankt ganz anders zu fahren war als leer – und er ist damit nie gestürzt. Natürlich hat sich die Dakar verändert." Und trotzdem sei seiner Meinung nach die Dakar immer noch die Dakar. Denn: "Die Dakar ist eine Menge an Herausforderungen und Schwierigkeiten, an die du vorher nicht denkst. Und wer am wenigsten umscheißt, wird am Ende vorne sein."

Marc Coma, der spanische Enduro-Pilot, erzählte Werner Jessner, er kriege immer einen Ausschlag, wenn ein junger Fahrer am Start sagt: "Ich bin jung, ich bin fit, ich bin schnell, mein Motorrad ist standfest, ich kann die Dakar gewinnen." Mit der Einstellung, ist Coma überzeugt, könne man einen Tag fertigfahren, aber keine Dakar. "Die Dakar ist eine permanente Improvisation, permanenter Schlafentzug, und die Dakar ist vermutlich geistig mindestens so anstrengend wie körperlich", erklärt Werner Jessner. "Fehlerlos zu sein. Darum geht es. Die Dakar ist unter allen Motorsportarten jene, die geistig am forderndsten ist." Und 2020 wird es noch einmal schwieriger.

Zieleinlauf bei der Dakar.
Foto: Red Bull Media

Am 5. Jänner startet die Dakar, die heuer durch Saudi-Arabien führt. Zu den mehr als 100 Zeichen für die Navigation, die zu lesen man erst lernen muss, kommen heuer weitere dazu. Mehr noch. "Man bekommt das Roadbook erst 15 Minuten vorm Start", erklärt Werner Jessner. "Bis jetzt gab es Map-Men, die am Vorabend die Route am Computer aufbereitet haben, und man konnte sie quasi via Google Earth schon vor der Fahrt einmal abfliegen." Das geht nun nicht mehr. Dafür kommt hinzu, dass "der Osten Saudi-Arabiens quasi die letzte Terra incognita ist. Wegen der politischen Situation im Land war dort noch kaum jemand, und da kann man sich so richtig verfahren."

Saudi-Arabien, das heißt auch, dass es eine Reihe von gesellschaftspolitischen Grundregeln einzuhalten geben wird. Die Fahrerinnen etwa wurden schon darüber informiert, wie sie sich zu kleiden und zu bedecken haben. "Die Mechaniker wurden schon im Sommer informiert, dass sie bei 40 Grad mit langen Hosen schlafen sollen", erinnert sich Werner Jessner. Er sieht darin aber kein gravierendes Problem. "Im Biwak wird das wurscht sein", ist der überzeugt. "Der Dakar-Tross ist der abgebrühteste Haufen voller Haudegen. Es wird also kurze Hosen und eine Bierkiste geben bei KTM." Womit wir dann doch noch bei Heinz Kinigadner ankommen.

"Die Rolle von Heinz Kinigadner kann man nicht überschätzen", sagt Werner Jessner.
Foto: Red Bull Media

Heinz Kinigadner

"Seine Rolle für die Dakar und für KTM kann man nicht überschätzen", beginnt Werner Jessner zu schwärmen. Kinigadner ist dafür verantwortlich, dass die Dakar im deutschprachigen Raum so bekannt ist, dass KTM dort so eine dominante Rolle spielt und nicht zuletzt dafür, dass Matthias Walkner überhaupt die Dakar gewinnen konnte. "Kinigadner hat ihm gesagt, er soll die Dakar fahren. Matthias war anfangs nicht von der Idee überzeugt – wenige Jahre später hat er sie gewonnen." Auch er findet natürlich seinen Platz im Buch, dessen zweite Auflage diese Woche bei den Buchhändlern eintreffen sollte, nachdem die erste Tranche binnen weniger Tage vergriffen gewesen ist. (Guido Gluschitsch, 18.12.2019)

"Dakar" von Werner Jessner erschien im Verlag Pantauro,
340 Seiten mit mehr als 100 Fotos, Karten, Tabellen,
ISBN-13 9783710500428,
58 Euro
Foto: Red Bull Media