Dieses Wesen wuchtet Unmengen von Paketen unter Bäume, die wie ordinäre Dirnen aussehen. Auch Interpol konnte das Christkind bis dato nicht dingfest machen.

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Vom dubiosen Wesen des Christkindes konnte ich mir bereits als Winzling ein klares Bild machen. Während Bruno Kreisky und seine Spießgesellen Österreich mit Demokratie fluteten, lieferte ich mir mit den Ausläufern des Katholizismus einen zähen Konflikt.

Andere schmausten Nuss und Mandelkern, ich biss auf Granit. Andere kleine Babyboomer besuchten Reformkindergärten. Dort leckten die Knirpse zufrieden ihre Kunststoffteller trocken, oder sie wurden in die Wunder der Mengenlehre spielerisch eingeweiht. Ich musste das unbekömmliche Püree frustrierter Herz-Jesu-Klosterschwestern löffeln. Kindliches Aufbegehren – Nicht-Aufessen, geräuschvolles Aufstoßen et cetera – wurde mit Vorgriffen auf die ewige Verdammnis geahndet. Man wurde im Klo eingesperrt, der außen angebrachte Lichtschalter blieb unbetätigt. "Du bist jetzt in der Hölle!", scholl es pädagogisch wertvoll aus rauer Schwesternkehle. Zu anderer Gelegenheit wurde einem die Verunreinigung der Seele mit Sündenschmutz geweissagt.

Eine Art Waffenstillstand

Waffenstillstand mit Gottes Bodenpersonal wurde im Advent geschlossen. Die stille Zeit im Jahr blieb segensreichen Ingenieurstätigkeiten vorbehalten. Aus leeren Rahmkäseschachteln entstanden komplizierte Krippeaufbauten. Ich blieb mir über das Wesen des Christkindes im Unklaren. Kaum der Untätigkeit des Krippe-Liegens entronnen, wuchtete das holde Kind Unmengen von Paketen unter die wie ordinäre Dirnen geschmückten Bäume. Meinem Vater blieb es vorbehalten, mit dem Christkind in komplizierte Unterhandlungen zu treten.

Wir Kinder verfassten umfangreiche Wunschlisten. Merkwürdig: War nicht mindestens Gottvater, als unsichtbarer Erzeuger des Christkindes, allwissend? (Hätte er, by the way, nicht auch Christi Kreuzigung zwingend voraussehen müssen?) Mein Clou bestand im Wunsch, am Heiligen Abend drei Wünsche frei zu haben. Für jeden dieser Wünsche behielt ich mir vor, weitere tausend Wünsche zu passender Gelegenheit anzubringen. Der Pullover, den ich an meiner Wünsche statt vom Christkind erhielt, war unbeschreiblich kratzig. Sein Farbenspiel entsprach dem Geschmack der Zeit: Er schillerte hundekotbraun. (Ronald Pohl, 18.12.2019)