Die Verbraucher müssen stärker als bisher Verantwortung für die Folgen des Konsums tragen, sagt Joachim von Braun – etwa bei Fleisch.
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STANDARD: Sie forschen zu globaler Ernährungssicherheit; welche Herausforderungen gibt es dabei?

Von Braun: Die Welt hat noch nie so viele Menschen gut ernährt, aber die Tragik ist, dass die Zahl der Hungernden in der Welt in den vergangenen vier Jahren wieder zugenommen hat. Die Hauptursachen dafür sind zum einen Kriege und Konflikte und zum anderen Klimastress. Wenn wir von Ernährung sprechen, müssen wir von mehr als von Hunger sprechen. Es geht vor allem um gesunde Ernährung. Sich gesund zu ernähren ist teurer geworden, als es in der Vergangenheit war. Hülsenfrüchte, Gemüse, Milch und Fleisch sind für den ärmsten Teil der Weltbevölkerung unerschwinglich geworden. Daher leiden rund zwei Milliarden Menschen an Mangelernährung. Die dritte große Herausforderung neben Hunger und Mangelernährung ist Überernährung durch zu viel Konsum von Zucker und Fett bei mangelnder Bewegung, was sich in Fettleibigkeit auswirkt. Die Wissenschaft bezeichnet dies als Adipositas.

STANDARD: Welche Bevölkerungsteile sind von Unterernährung und von Fettleibigkeit betroffen?

Von Braun: Von beiden sind überwiegend ärmere Teile der Bevölkerung betroffen, was auf den ersten Blick eigenartig erscheint. Fettleibigkeit konzentriert sich nach wie vor in urbanen Gebieten, in Ländern mit mittlerem Einkommen und kommt auch sehr nah an jenen Regionen vor, in denen auch der Hunger herrscht. Es gibt etwa Untersuchungen aus Mexiko und Ägypten – in beiden Ländern ist Fettleibigkeit ein großes Problem. Dort werden häufig eine fettleibige Mutter und ein unterernährtes Kind im selben Haushalt vorgefunden. Dieses Phänomen lässt sich dadurch erklären, dass sich besonders arme Bevölkerungsschichten, schnell mit fettreicher und zuckerhaltiger Nahrung versorgen, weil sie keine Zeit und kein Geld haben, sich eine gesunde Diät zu leisten.

STANDARD: Sie haben Prognosen der Auswirkung des Klimawandels auf die Ernteerträge durchgeführt – was waren wichtige Ergebnisse?

Von Braun: Bei den langfristigen Prognosen von Klimastress und Ernteerträgen haben wir herausgefunden, dass sich die Erträge der vier wichtigsten Grundnahrungsmittel – Weizen, Mais, Reis, Sojabohnen – bis 2050 um 20 bis 25 Prozent reduzieren werden. Die Ursachen dafür sind nicht nur zunehmende Trockenheit, sondern auch häufigerer Hitzestress. Zusätzlich wird die landwirtschaftliche Produktion durch Extremereignisse wie Wirbelstürme oder Überflutungen in erheblichem Maße betroffen. Wenn es um die Ernährung geht, beeinträchtigt der Klimawandel die menschliche Sicherheit massiv.

Joachim von Braun ist Agrarökonom und Präsident der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften.
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STANDARD: Wie können wir uns an die veränderten Klimabedingungen anpassen?

Von Braun: Wir müssen viel rascher und aktiver bei der Bekämpfung der Ursachen des Klimawandels vorgehen. Dabei geht es um eine massive Reduktion der Emissionen von CO2 und Methan. Landwirtschaft und Landnutzung tragen dazu mindestens ein Viertel bei, das ist viel mehr als Mobilität oder der Energieverbrauch in den Haushalten. Die nachhaltige Landnutzung ist daher entscheidend. Zusätzlich brauchen wir Investitionen in die Anpassung. Dabei geht es darum, neue Pflanzenarten zu züchten, die mit dem Klimastress umgehen können, und wir benötigen mehr und effizientere Bewässerung. Zur Anpassung zählt auch ein umfassendes Infragestellen unseres Konsumverhaltens. Wir müssen etwa unseren exzessiven Fleischkonsum überdenken. Wir sollten beim Schnitzel zurückdenken bis zum Regenwald, der von Futtermittelanbau verdrängt wird. Dabei ist jeder Einzelne gefragt.

STANDARD: Sie haben auch eine Besteuerung von Fleisch vorgeschlagen – warum halten Sie das für notwendig?

Von Braun: Am liebsten wäre mir, wenn sich Verbraucher aus eigener Überzeugung anpassten. Aber es geht wohl zu langsam, wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Deswegen brauchen wir ein Bündel von Maßnahmen. Dazu gehören aus meiner Sicht auch Fleisch- und Fettsteuern. Wir haben kein Problem mehr damit, Tabak erheblich zu besteuern. Auch Benzin wird in Deutschland und Österreich ungefähr im Ausmaß von 200 Euro pro Tonne CO2 besteuert. Zusätzlich braucht es Bildung und Informationskampagnen, etwa in den Schulen – da gibt es durch Fridays für Future nun offene Türen. Bei einer Tagung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften zusammen mit zwölf- bis 16-jährigen Teenagern 2015 sind wir zum Ergebnis gekommen, dass Kinder Allianzpartner für die Zukunft sein können, denn sie denken an ihre Zukunft und beeinflussen auch ihre Eltern.

STANDARD: Warum hat sich unser Konsumverhalten in den vergangenen Jahrzehnten trotz besseren Wissens kaum geändert?

Von Braun: Die Souveränität von Konsumenten galt lange Zeit als unantastbar. Es ist eine relativ neue Einsicht, dass wir als Verbraucher nachhaltig konsumieren müssen, sonst nützen die anderen Maßnahmen nichts. Die nachhaltigen Entwicklungsziele der UN fordern verantwortungsbewussten Konsum in Ziel Nummer 12. Wir sind verantwortlich für die Konsequenzen unseres Konsums. Es geht nicht nur um das Klima, sondern auch um Biodiversität und Artenschutz.

STANDARD: Sie sind seit 2017 Präsident der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften. Welche Ziele verfolgen Sie dabei?

Von Braun: Die Mitglieder der Päpstlichen Akademie sind herausragende Wissenschafter, einschließlich einiger Nobelpreisträger. Sie werden in geheimer Wahl gewählt und vom Papst ernannt. Unser Ziel ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, aber auch die Kommunikation zwischen Gesellschaft und Wissenschaft zu verbessern. Die Themen, mit denen wir uns in diesem Jahr beschäftigten, reichen von Chancen und Problemen künstlicher Intelligenz und moderner Medizin, dem Verhindern des Artensterbens und der Evolution des Menschen bis zu den Problemen des Menschen- und Organhandels. Die Päpstliche Akademie der Wissenschaften ist um wissenschaftliche Evidenzbasis in Verknüpfung mit Ethik bemüht.

STANDARD: Historisch war das Verhältnis von Glaube und Wissenschaft nicht immer einfach. Wie sieht es heute aus?

Von Braun: Ich empfinde das Verhältnis von Glaube und Wissenschaft heute als entspannt. Die Päpstliche Akademie hat sich seit den Zeiten von Galileo Galilei, der Anfang des 17. Jahrhunderts eines der ersten Mitglieder der Akademie war, aus einer verklemmten Beziehung zur Wissenschaft längst gelöst. In der Akademie sind übrigens Agnostiker genauso vertreten wie Menschen mit katholischem, protestantischem oder muslimischem Glauben. Wir haben keine Berührungsängste zu irgendwelchen wissenschaftlichen Fragen, zum Beispiel wie der Kosmos entstanden ist und wie Evolution abläuft, muss nicht als Gegensatz zum Schöpfungsglauben verstanden werden. Das Spannungsfeld heute liegt woanders, nämlich zwischen Wissenschaft und Hetze gegen Wissenschaft mit Fake-News. (Tanja Traxler, 19.12.2019)