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Unter den kulturspezifischen Kindheitstraumata im christlichen Abendlande haben frühkindliche Auftritte bei adventlichen Krippenspielen einen festen Platz: Die Alten hatten immer schon eine Mordsgaudi dabei, Knirpse und Knirpsinnen in biblische Rollen zu stecken, zu denen auch die von Ochs und Esel gehören. Muh! Iaah! Wer hingegen Maria spielen durfte, schwelgte – des physisch anstrengenden Hintergrunds dieser Rolle völlig uneingedenk, vom theologischen ganz zu schweigen – im kindlichen Schauspielerhimmel.

Aber es konnte schiefgehen. Die Einserkastl-Autorin verfügte in der Zeit ihres Triumphs gerade über keine Vorderzähne. Die liebende Familie tradierte über Jahre folgenden Satz: "Lieber Jothef, thei ohne Thorge, ich halt’th thon auth."

Es ist um nichts besser geworden. Der "Independent" berichtet über einen fünfjährigen "Engel" namens Ella, der dem staunenden Publikum 20 Minuten lang den Mittelfinger entgegenreckte, zuerst einer, dann beider Hände, stilsicher mit dem Handrücken nach außen. Es war nicht etwa ein böser Onkel, der das Mädchen zu solchem Tun anstiftete: Das unschuldige Wesen wollte der Mutter signalisieren, dass sie ein wehes Fingerchen hatte!

Der Rest war unausweichlich: Das Engelchen wurde den sozialen Medien zum Fraß vorgeworfen – und fragt sich (einstweilen noch), warum alle so blöd lachen. Wenigstens das konnten uns unsere Altvorderen nicht antun. (Gudrun Harrer, 17.12.2019)