Für die Grünen sollten die Koalitionsverhandlungen mit Sebastian Kurz jetzt um einiges einfacher werden. Der Verfassungsgerichtshof hat ihnen eine ganz wesentliche Hürde aus dem Weg geräumt. Zwei zentrale Punkte der Reform der Sozialhilfe, die früher einmal Mindestsicherung hieß, wurden vom Höchstgericht aufgehoben, weil sie klar verfassungswidrig sind – wie viele Kritiker, unter ihnen auch die Grünen, behauptet hatten. Der Verfassungsgerichtshof hat sowohl die Verknüpfung der Sozialhilfe mit Sprachkenntnissen wie auch die gestaffelten Höchstsätze für Kinder gekippt. Das waren die Kernpunkte des türkis-blauen Prestigeobjekts, von dem jetzt nicht mehr viel übrig bleibt.

Beide Maßnahmen waren laut damaliger Regierungsspitze, das waren Kurz und ein gewisser Heinz-Christian Strache, dezidiert gegen Ausländer gerichtet und sollten den behaupteten Zustrom in das österreichische Sozialsystem stoppen. Kurz ging davon aus, dass frisch in Österreich gelandete Flüchtlinge wenig oder kein Deutsch sprechen, daher wären gerade sie von der Kürzung der Sozialhilfe betroffen, wenn man deren Bezug an Sprachkenntnisse knüpft. Und Ausländer haben in der Regel mehr Kinder, also sind sie mehr davon betroffen, wenn die Sozialhilfe pro Kind weniger wird. Damit sollte verhindert werden, dass große Familien ein ansehnliches Einkommen haben, ohne dass die Eltern arbeiten gehen.

Ein zentrales Anliegen der Grünen ist die Bekämpfung der Kinderarmut.
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Wie es Kurz nicht ohne Zynismus formulierte: Diese Maßnahmen sollten den Menschen dabei helfen, in der Früh aufzustehen und arbeiten zu gehen. Viele Experten aus dem Sozialbereich, aber auch Vertreter der SPÖ und der Grünen argumentierten dagegen, dass man mit dieser Maßnahme die Schwächsten der Gesellschaft treffe und bestrafe und insbesondere die Kinderarmut fördere.

Bekämpfung der Kinderarmut

Kurz hat vor den Verhandlungen mit den Grünen ein paar inhaltliche Pflöcke eingeschlagen, an denen aus seiner Sicht nicht gerüttelt werden könne. Dazu gehörte die Reform der Sozialhilfe, von der er keinen einzigen Punkt zurückzunehmen bereit sei. Das hat den Grünen besonders wehgetan: Sie hätten es ihrer Wählerschaft kaum erklären können, warum sie in einer Koalition mit der ÖVP ein derartiges Gesetz, das sie stets bekämpft hatten, ohne Änderung hingenommen hätten. Zumal Grünen-Chef Werner Kogler die Bekämpfung der Kinderarmut als zentrales Anliegen hervorgehoben hatte. Der Verfassungsgerichtshof hat den Grünen mit seinem Erkenntnis jetzt ein Geschenk bereitet. Sie werden sich anstrengen müssen, ihre Genugtuung gegenüber Kurz und seinen angeblich unverrückbaren Positionen in Zaum zu halten. Denn so etwas hält der ÖVP-Chef ganz schlecht aus.

Für Kurz ist es in der Tat eine bittere Niederlage: Die Verschärfung der Mindestsicherung war eines seiner zentralen Projekte, auch weltanschaulich getrieben. Dagegen kann man viele gute Argumente vorbringen. Man muss aber auch eines sehen: Diese türkis-blaue Regierung unter der Führung von Kurz hat handwerklich schwer gepfuscht. Die Sozialhilfereform ist nach dem Überwachungspaket das zweite große Gesetzesvorhaben, das binnen kurzer Zeit vom Höchstgericht aufgehoben wurde. Das spricht nicht für die Kompetenz dieser aus anderen Gründen gescheiterten Regierung. Den Grünen wird die schwere Aufgabe zukommen, darauf zu achten, dass das jetzt besser wird. Wesentlich besser. (Michael Völker, 17.12.2019)