Die mexikanische Multimediakünstlerin Naomi Rincón Gallardo bringt in ihren Arbeiten Mythologie und anarchische Do-it-yourself-Ästhetik zusammen.

Foto: Naomi Rincón Gallardo

Der Mitschnitt einer Rede von Beatriz Alberta Cariño Trujillo, kurz: Bety Cariño, dokumentiert auch die mutmaßlichen Gründe ihrer Ermordung. Es geht um die Unterdrückung der indigenen Bevölkerung in Mexiko, um Landraub durch multinationale Konzerne, Enteignung, Korruption und den Aufruf zum Widerstand. Cariño, Menschenrechts- und Umweltaktivistin aus dem mexikanischen Bundesstaat Oaxaca, wurde 2010 von Paramilitärs erschossen. Auch ein finnischer Beobachter starb bei diesem Angriff auf einen humanitären Friedenszug, was dem Fall einige internationale Aufmerksamkeit verlieh. Trotzdem blieb er bis heute strafrechtlich ungeahndet.

Die mexikanische Multimediakünstlerin Naomi Rincón Gallardo bezieht sich in ihren Arbeiten auch auf andere indigene Aktivistinnen und verrührt Fakten mit mythologisch unterfütterten Fiktionen und anarchischer Do-it-yourself-Ästhetik. Daraus entstehen ekstatische Videoperformances, aber auch herrlich opernhafte Inszenierungen wie jene namens Alex(ander) and Axol(otl): Ein queerer Alexander von Humboldt seziert darin abgesehen vom Schwanzlurch mit dem aztekischen Namen Axolotl auch das düstere Erbe kolonialer Ausbeutung. Entfernt an Hito Steyerls computeranimierte Bildwelten erinnert wiederum eine satirische Hymne auf die "neuen Formen der Sklaverei", die ein auf Gewinnmaximierung ausgerichtetes System hervorbringt.

Politische Kunst als Ansage

Ivana Marjanoviæ, die im Sommer die Leitung des Kunstraums Innsbruck übernommen hat, setzt mit ihrer ersten Schau ein programmatisches Statement: Ihr Schwerpunkt werde, so die Ankündigung, auf Kunst liegen, die sich mit politischen und gesellschaftlichen Fragen auseinandersetzt. Im Falle der 1979 geborenen Naomi Rincón Gallardo geht das in Richtung feministischer Aktivismus, der mit opulent ausgestatteten Tauchgängen in die mesoamerikanische Kosmologie zusammentrifft. May Your Thunder Break The Sky (zu Deutsch: "Möge dein Donner den Himmel zerreißen") titelt die Innsbrucker Schau, in der man surrealen Szenerien, Trauerzügen und Riten begegnet, die stets auch auf die neokoloniale Gegenwart anspielen.

Eine in den Kunstraum gebaute, höhlenartige Raumfolge dient als Bühne für die Werkserie The Formaldehyde Trip von 2019 , in der der obengenannte Axolotl in Gestalt phallischer Wandobjekte als Erzähler auftritt. Allerdings gilt in indigenen Kulturen nicht nur der Schwanzlurch, sondern auch das Opossum als mythische Gestalt. In der schnöden Realität stellt sich die Beutelratte bei Gefahr ganz einfach tot. Eine Praxis, die in The Opossoum Resilience zwar imitiert wird, für Naomi Rincón Gallardos aber wohl eher keine Option darstellt. (Ivona Jelčić, 17.12.2019)