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Justitia hat es in Österreich nicht leicht. Gesetze würden zu schnell durchgepeitscht und Bürgern werde der Zugang zu ihrem Recht erschwert, kritisieren die heimischen Rechtsanwälte.

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Wien – Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (Örak), ist kein Mensch, der leicht die Contenance verliert. Doch bei der Präsentation des diesjährigen Wahrnehmungsberichts der heimischen Rechtsanwälte am Dienstag fielen Begriffe wie "unwürdig", "unqualifiziert" und "Gesinnungsschnüffelei". Die Mängelliste ist derart gravierend, dass Wolff und sein Stellvertreter Bernhard Fink den Rechtsstaat in Gefahr sehen. Die schlimmsten Sünden:

·Grund- und Freiheitsrechte: Seit den Terroranschlägen von 9/11 in den USA habe es auch in Österreich eine Flut von Überwachungsgesetzen gegeben, die die Grund- und Freiheitsrechte massiv eingeschränkt hätten – "teilweise verfassungswidrig", ist Wolff überzeugt. Der Örak fordert nun eine Gesamtevaluierung all dieser Verschärfungen durch eine unabhängige Expertenkommission.

·Gesetzgebung: Vereinfacht gesagt, werfen die Rechtsanwälte dem Gesetzgeber, also Politkern im Nationalrat und Bundesrat, mangelnde Qualifikation und Qualität vor. Immer öfter würden beschlossene Gesetze vom Verfassungsgerichtshof gekippt (aktuelles Beispiel: Mindestsicherung). Allein zwischen 2014 und 2016 hielten 281 Gesetze und Verordnungen nicht.

Appell an Bundespräsidenten

Außerdem werden Gesetze viel zu schnell durchgepeitscht, in sechs von zehn Fällen werde die empfohlene Begutachtungsfrist von sechs Wochen unterschritten. Teilweise verzichte man sogar auf Begutachtungen und verhindere unabhängige Expertisen wie eben vom Örak. "Bitte, Herr Bundespräsident, unterschreiben Sie solche Gesetze nicht", appellierte Wolff. Er fordert verpflichtende Begutachtungsfristen.

·Gerichtsgebühren: Der Kampf um ihr Recht wird für Bürger in Österreich immer teurer. Viele ließen sich überhaupt von den hohen Gerichtsgebühren abschrecken, kritisieren die Anwälte. Insbesondere die Bemessung des Streitwerts müsse ähnlich wie in Deutschland gedeckelt werden. Derzeit gilt, dass gleich in erster Instanz einmal 1,2 Prozent des Streitwerts an den Staat überwiesen werden müssen.

Eine Milliarde Euro an Gebühren

Außerdem fordern Wolff und Fink, dass die Gerichtsgebühren zweckgebunden an die Justiz fließen sollen und nicht wie jetzt an den allgemeinen Staatshaushalt. Damit wäre die Justiz auch ihre momentane Strukturmisere los, denn über Gerichtsgebühren kommen in Österreich nicht weniger als 1,01 Milliarden Euro im Jahr herein – ein unangefochtener Rekordwert in Europa, wo der Durchschnitt bei jährlich 242 Millionen Euro liegt.

·Zugang zur Justiz: Als "völlig absurd und antiquiert" bezeichnet der Örak, dass die elektronische Einbringung bei Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten nur innerhalb der jeweiligen Amtsstunden möglich sind. "Eine auf dem Postweg eingebrachte Beschwerde ist auch dann gültig, wenn sie am letzten Tag der Frist in einem Nachtpostamt um 23.59 Uhr aufgegeben wird", so Wolff. Er fordert die Abschaffung der Amtsstundenregelung für Onlineeingaben.

·Umgang mit Asylwerbern: Was den behördlichen Umgang mit Asylwerbern betrifft, hat die Örak zahlreiche Missstände gesammelt, die allgemeine Schlüsse zulassen. Christian Schmaus, auf Asylrecht spezialisierter Rechtsanwalt aus Wien, spricht von "willkürlichen Einleitungen von Aberkennungsverfahren". Derzeit würden Asylwerber aus Afghanistan flächendeckend zur Überprüfung ihres Aufenthaltsstatus geladen, negative Bescheide und sofortige Abschiebebescheide seien keine Seltenheit. Obwohl, wie Schmaus betont, sich die Sicherheitslage in dem kriegszerrütteten Land am Hindukusch nicht verbessert habe.

Afghanisches Recht in Österreich

Er konstatiert eine mangelhafte Entscheidungsqualität beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Häufig würden nur Standardisierte Textschablonen für Bescheide verwendet. In einem Fall sei einem Betroffenen die Beiziehung eines Rechtsvertreters verweigert worden, weil, so die Begründung, "afghanisches Recht zur Anwendung kommt". Gröber könne der Rechtsstaat Österreich nicht missachtet werden, so Schmaus.

·Asyl-Rechtsberatung: Kein gutes Haar lassen die Rechtsanwälte an der geplanten staatlichen Rechtsberatung für Asylwerber. Die Übertragung dieser Aufgabe von unabhängigen Experten an staatliche Organe mit dem Innenministerium als Aufsichtsbehörde widerspreche sämtlichen Standards eines Rechtsstaates. (Michael Simoner, 17.12.2019)