Die Grenzen verschwimmen: Längst gibt es für iOS- und Android-Geräte wie Tablets und Smartphones auch Games, die man nicht unbedingt als "klassische" Handyspiele bezeichnen würde. Zum einen werden immer mehr neue Indie-, aber auch etwas ältere Konsolen- und PC-Spiele für die kleinen Bildschirme adaptiert: Von Tropico über XCOM bis hin zu Rome Total War, von Hyper Light Drifter über Minit bis hin zum Cultist Simulator finden Spielefreunde auch auf den kleinsten Spielgeräten Titel, die mit den vielgeschmähten Casual-Spielen nichts gemeinsam haben.
Zum anderen wenden sich immer mehr große Publisher aus dem klassischen AAA-Segment dem riesigen Mobile-Markt zu: Das reicht vom allgegenwärtigen Fortnite über COD: Mobile bis hin zu nischigen Hardcore-Titeln wie Dota Underlords. Fakt ist: Wer ein Smartphone oder Tablet besitzt, spielt meistens auch damit.
Im letzten Jahr hat vor allem Apple Arcade die Karten neu gemischt und bewiesen, dass es einen Markt für qualitative Spiele abseits der Free-to-Play-Ramschläden gibt. Wer auf seinem iOS-Gerät gern spielt, bekommt um eine moderate monatliche Abogebühr eine wirklich außergewöhnliche Auswahl an Mobile-Spielen, von denen auch gleich vier in unseren jährlichen Top Ten gelandet sind. Viel Spaß mit einer Auswahl der interessantesten Mobile-Perlen des Jahres!
"Twinfold" (Android, iOS)
Man mische die Kartenschiebemechanik von Threes, 2084 & Co mit einem kräftigen Schuss Roguelike, voilà: Fertig ist ein cleveres und originelles Puzzlespielkonzept. Jede Bewegung im Minilabyrinth bewegt auch alle anderen Elemente mit, sowohl Ressourcen, die sich ineinanderschieben lassen, als auch böse Monster, die uns ans Leder wollen. Aus diesem simplen Grundrezept ergeben sich durch freischaltbare Fähigkeiten immer wieder knifflige Entscheidungen und überraschende taktische Tiefe. Twinfold ist der Beweis dafür, dass mit cleverem Gamedesign auch vermeintlich einfache Konzepte für lange Motivation und herausfordernde Puzzletaktik sorgen können. Ein Instant-Klassiker für Puzzlefreunde.
"Sky: Children of the Light" (Android, iOS)
Wer den atmosphärischen Games-Klassiker Journey liebt, schuldet es sich, den kostenlosen Quasi-Nachfolger für Mobile-Geräte anzusehen. Wieder steuert man eine kleine Gestalt auf dem Weg durch eine mystisch anmutende Welt, und wieder kooperiert man ohne Worte mit diesmal bis zu zwölf gleichzeitig im jeweiligen Level anwesenden willkürlich ausgewählten Mitspielerinnen und -spielern aus dem Netz. Sky – Children of the Light ist eine ambitionierte, atmosphärisch beeindruckende Variation des berühmten Vorgängers, die die Interaktion mit anderen Menschen noch mehr ins Zentrum stellt und dankenswerterweise auch die schlimmsten Sünden seines Free-to-Play-Modells vermeidet.
"Sayonara Wildhearts" (Apple Arcade)
Von den schwedischen Mobile-Spezialisten Simogo hätte man sich viel erwartet, einen japanophilen, todschicken Rhythm-Racer aber eher nicht. Genau das ist Sayonara Wildhearts aber geworden, und es ist eine Liebeserklärung an den Elektropop seines tollen Soundtracks. Als eines der ersten Spiele im Games-Abo Apple Arcade ist dieses knallbunte, psychedelische Actionspiel eine hinreißende Überforderung (fast) aller Sinne und allein schon den Eintrittspreis wert – auch wenn man sonst nichts mit Bubbletea-Pop und Rhythmusspielen anfangen kann.
"Pilgrims" (Apple Arcade)
Das Studio Amanita Design aus dem nahen Brünn hat sich mit Samorost, Machinarium, Botanicula und Chuchel eine treue Fangemeinde erarbeitet. Pilgrims ist eine kleine, aber liebenswerte Erinnerung daran, dass sich auch mit simplen Mitteln tolle Geschichten erzählen lassen. In der witzigen Mischung aus Kartenspiel und Adventure geht es um die Nachwehen eines verhängnisvollen Kartenspiels mit dem Teufel. Räuber, Hexen, Könige, Drachen, Pfaffen: Was hier an liebevollst gestalteten und animierten Hotzenplotzfiguren zu gewohnt schrulligem Sounddesign und toller Musik gezeigt wird, ist schlicht und ergreifend die aktuelle Inkarnation der langen, ehrwürdigen tschechischen Animations- und Kinderfilmtradition. Wer kein Apple-Gerät hat, darf sich auch auf Windows, Mac und Linux darüber freuen.
"Guildmaster Story" (Android, iOS)
Ein waschechtes Free-to-Play-Spiel, noch dazu ein Match-Three-Game – hier? Allerdings, denn Guildmaster Story bleibt zwar dem bewährten Grundrezept treu, erzählerisch zündet es allerdings ein wahres Feuerwerk an Gags, Pointen und hintergründiger Satire auf Kapitalismus, Gesellschaft und das eigene Genre. Wer Cartoon-Gesellschaftssatire mag, wie sie den Simpsons und South Park zu Weltruhm verholfen hat, wird sich auch hier königlich amüsieren. Statt Geld auszugeben, kann man übrigens auch durchs Anschauen von Werbeclips In-Game-Währung verdienen.
"Grindstone" (Apple Arcade)
Noch eine clevere Match-Three-Variante, noch ein Apple-Arcade-Exclusive: Mit Grindstone liefert Capybara Games, bekannt durch Superbrothers: Sword & Sworcery und Below, ein ziemlich süchtigmachendes und beherzt brachiales Puzzle-Game mit taktischem Tiefgang. Anfangs ist das Gemetzel an den niedlichen Knuddeltierchen noch simpel, doch zunehmend bringen neue Monster und zusätzliche Aufgaben auch Hartgesottene zum Tüfteln. Toller Style, coole Details und große Lanzgzeitmotivation machen Grindstone zum Anwärter auf das beste Mobile-Game des Jahres.
"What the Golf" (Apple Arcade)
Golf-Videospiele gibt es viele, aber so etwas wie What the Golf eher nicht. Die verrückte Gagparade liefert Slapstick-Minigames am laufenden Band, wiederholt sich kaum jemals und überrascht auch nach Stunden immer noch mit absurden Ideen, witzigem Gameplay und so manchem schrillem Gag. Das Schönste daran: Auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht, als würden hier Witze über Gameplay gestellt, offenbaren sich in den schwierigeren Aufgaben der einzelnen Löcher oft erstaunlich differenzierte Spielvarianten, die anderswo gleich als eigenes Mobile-Game ausgekoppelt Erfolg hätten. Mehr Abwechslung gibt es weder auf dem noch abseits des Golfplatzes. Abseits der Apple Arcade findet man den Golfspaß übrigens auch noch am PC.
"Astrologaster" (iOS)
Im England des 16. Jahrhunderts ist man als – historisch verbürgter – Astrologe Simon Forman angeklagt, ohne Medizinstudium als Arzt zu ordinieren. Zur Verteidigung vor Gericht braucht es Empfehlungsschreiben von Patienten, die durch Konsultation der Himmelsobjekte geheilt worden sind. Durch Befragung der insgesamt 14 Patienten, historische Persönlichkeiten und Patienten des realen Forman, und Interpretation der jeweiligen Sternbilder lassen sich durch das Lösen von Puzzles und logisches Kombinieren Diagnosen und Behandlungen herausfinden. Toller Aufklapp-Stil der Grafik, gelungene Musik, eine bizarre Geschichte und viel Humor machen Astrologaster zum äußerst witzigen Unikat. Gibt's auch für Windows und Mac.
"Ordia" (Android, iOS)
Manche Spiele sind nur für Touchscreens und da für die bequeme Ein-Finger-Bedienung gemacht – wie Ordia. Als einäugiger Hupfschleim springt man in dem mit einem Apple Design Award ausgezeichneten Geschicklichkeitsspiel stetig nach oben und hält sich dabei an geeigneten Knöpfen fest. Was simpel beginnt, wird später zum herausfordernden Geschicklichkeitstest, bei dem auch Timing zunehmend eine Rolle spielt. Tolle Präsentation, atmosphärische Soundeffekte und simples, aber herausforderndes Gameplay machen Ordia zu einem der essenziellen Mobile-Spiele des Jahres.
"ELOH" (Android, iOS)
ELOH ist zwar bereits Ende 2018 erschienen, hat aber 2019 – zu Recht! – einen Apple Design Award eingestreift und kommt außerdem aus Österreich; Grund genug, es hier noch einmal zu würdigen: Im "musikalischen Puzzle Game" des Wiener Entwicklerstudios Broken Rules ergeben die gelösten und ungelösten Rätsel hypnotische Beat- und Soundpattern, die man gern auf sich wirken lässt. Aus dem eigentlich spröden Grundkonzept macht die rundum gelungene Präsentation dieses kleinen Soundpuzzlers ein ebenso entspannendes wie unterhaltsames Rätselspiel. Ein fast meditatives, überaus entspannendes und sympathisches Puzzlespiel für zwischendurch.
Die Community ist gefragt!
Haben Sie 2019 neue oder auch ältere bemerkenswerte Mobile-Games entdeckt, die Sie der Leserschaft nicht vorenthalten wollen? (Rainer Sigl, 2.1.2020)