"Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!", tönt es aus jeder Ecke – ob beim Familienessen, in der Mittagspause oder in zahlreichen Medien. Die Sorge um die freie Rede und die in der Regel empört geäußerte Kritik an vermeintlich komplizierten Formulierungen scheinen omnipräsent. Dabei kehren die meisten Argumente zu diskriminierungsfreier Sprache und Political Correctness seit Jahren immer wieder. Es ist Zeit für zehn Klarstellungen.

Viele Einwände gegen Political Correctness und diskriminierungsfreie Sprache kommen immer wieder.
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"Political Correctness schränkt die Meinungsfreiheit ein" oder "Das wird man doch wohl noch sagen dürfen"

Grundsätzlich ist die Meinungsfreiheit in westlichen Demokratien uneingeschränkt, man darf alles sagen, solange die Aussage das Strafrecht nicht tangiert. Über das Internet kann man seine noch so rassistische oder sexistische Meinung über zig Kanäle verbreiten – zumeist ohne Konsequenzen. Alice Schwarzer kann sich rassistisch und Sexarbeiterinnen-feindlich äußern und trotzdem Bücher verkaufen, auf Podien eingeladen werden und ihren Standpunkt in ihrem Magazin mit einer Auflage von knapp 30.000 Exemplaren verbreiten. Der Universitätsprofessor Lothar Höbelt kann zu einer Festschrift über einen Holocaust-Leugner beitragen und das Verbotsgesetz infrage stellen und trotzdem Vorlesungen halten. Noch deutlicher wird das am Beispiel Donald Trump: Er kann öffentlich sagen, wie problemlos er Frauen begrapschen könne, dass es sich bei mexikanischen Einwanderern um Vergewaltiger und Drogendealer handle – und er wird trotzdem gewählt. Was Trump, Schwarzer, Höbelt und andere hinnehmen müssen, ist Kritik und Widerrede. Auch diese ist Teil der Meinungsfreiheit.

Auch als Podcast: Maria von Usslar erklärt die Intention politischer Korrektheit und ob sie die Meinungsfreiheit gefährdet.

"Safe Spaces und Trigger-Warnings schaffen eine Kuschelecke ohne Platz für Gegenmeinungen"

Safe Spaces und Trigger-Warnings werden oft als vermeintlicher Beweis dafür vorgelegt, dass (marginalisierte) Menschen sich nur noch in ihrer eigenen Blase aufhalten wollen, in der ihnen keine Widerrede droht. Dabei geht es bei beiden Konzepten nicht um das Ausblenden von Gegenmeinungen, sondern um die Vermeidung von Trauma und Diskriminierung.

Unter Trigger-Warnings versteht man den Hinweis zu Beginn eines Filmes, eines Nachrichtenbeitrags, einer Vorlesung darauf, dass das Publikum etwas Belastendes zu erwarten hat. Die Themen selbst werden dabei nicht "zensiert", jede und jeder Einzelne wird aber ermächtigt, selbst zu entscheiden, was er oder sie für zumutbar hält. Es geht dabei darum, Betroffene nicht mit Szenen zu konfrontieren, die sie an erlebte Traumata erinnern, etwa Opfer von Vergewaltigung. Kaum jemand äußert Unverständnis, wenn es vor Theatervorführungen Warnungen an EpileptikerInnen gibt, denen Blitzlicht körperlichen Schaden zufügen kann. Dasselbe Verständnis fehlt oft, wenn psychischer Schaden durch Retraumatisierung verhindert werden soll.

Bei Safe Spaces wiederum handelt es sich um einen Rückzugsort für Menschen, die Diskriminierungserfahrungen teilen. Marginalisierte wissen nicht, wann es in der U-Bahn zu einem rassistischen Übergriff kommt, wann jemand am Arbeitsplatz plötzlich das N-Wort verwendet, ob die Eltern des neuen Freundes einen Satz wie "Ich bin kein Rassist, aber …" fallen lassen oder plötzlich den eigenen Afro anfassen wollen. Wer so etwas ständig erlebt, wünscht sich einen Ort, an dem man sicher nicht dafür angegriffen wird, wer man ist und wo die eigenen Erfahrungen ernst genommen werden. Für Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft, die nicht von Diskriminierung betroffen sind, ist dieser Ort überall.

"Das haben wir immer schon so gesagt!"

Vor einigen Jahrzehnten störte man sich noch nicht an bestimmten Begriffen, deren problematische Geschichte aber heute hinlänglich bekannt ist – weil wir als Gesellschaft mehr wissen. Wer einen Staatschef als "Führer" bezeichnet, erntet dafür wahrscheinlich heute betretene Blicke. Der unangenehme Beiklang des Wortes hat sich durchgesetzt, obwohl es sich einst um einen neutralen Begriff gehandelt hat. Vor einigen Jahrzehnten konnte man sich unter "Faktencheck", "lol" oder "googeln" wahrscheinlich wenig vorstellen, heute sind sie weitverbreitet. Worte wie "Oheim" oder "Fräulein" sagt hingegen kaum jemand mehr, unter Jugendlichen sind "lässig" und "logo" längst out. Es gibt also zahlreiche Wörter, die man nicht mehr verwendet, doch bei diskriminierender Sprache sträuben sich plötzlich einige gegen den Wandel. Oft werden dafür folgende Argumente herangezogen:

"Das war doch nicht so gemeint!"

Was "nicht so gemeint" war, ist deshalb nicht automatisch akzeptabel. Für Betroffene sind es nicht "nur" Worte, für sie haben sie konkrete und direkte Folgen. Sie können den rassistischen oder homofeindlichen Kontext nicht mehr ausblenden, weil er zu ihrem Alltag gehört. Mit der ständigen Wiederholung werden sie an den Unterschied zwischen ihnen und der Mehrheitsgesellschaft erinnert, und ihnen wird verdeutlicht, nicht dazuzugehören. Wichtig wäre, nicht auf dem eigenen Standpunkt des "Nicht so gemeint" zu bestehen, sondern Stimme und Argumente Marginalisierter ernst zu nehmen. Wer das tut, kann meist im weiteren Gesprächsverlauf glaubhaft machen, das Gegenüber nicht mit Absicht verletzt zu haben.

"Das Wort 'Neger' kommt aus dem Lateinischen und heißt doch einfach nur schwarz"

Das stimmt, wir sprechen aber nun einmal Deutsch und nicht Latein. Im Deutschen tauchte der Begriff erstmals im 17. Jahrhundert zur Zeit des atlantischen Sklavenhandels auf und etablierte sich im 18. Jahrhundert mit dem Aufkommen von Rassentheorien, er ist also klar mit Kolonialismus, Sklaverei und Rassismus verbunden und drückt weißes Überlegenheitsdenken aus. Er "entwuchs der Definitionsmacht weißer Deutscher", schreibt die Autorin Noah Sow, "die Legitimation des N-Wortes ergab sich also nie aus einem Prozess heraus, in dem Selbstbestimmung und Selbstbenennung schwarzer Menschen eine Rolle gespielt hätten".

Der Ausdruck "People of Colour" (PoC) ist hingegen eine politische Eigenbezeichnung von und für Menschen, die nicht weiß sind, und gewann in der Black-Power-Bewegung an Bedeutung. Im Englischen ist PoC bereits weitverbreitet und wird auch im Deutschen verwendet. Eine wörtliche deutsche Übersetzung gibt es nicht. "Farbiger" ist dafür nicht geeignet, denn der Begriff ist wiederum eine koloniale Bezeichnung, ein Konstrukt aus der weißen Rassenlehre als eine Abweichung von Weiß.

"Aber XY ist schwarz und hat kein Problem damit!"

Das ist keine Rechtfertigung, diskriminierende Sprache zu verwenden. Das Verhalten Einzelner dient nicht als Diskussionsgrundlage für das Verhalten einer ganzen Gruppe. Wenn ein Mann seine Frau gerne "Schlampe" nennt und sie damit kein Problem hat, ist es okay, alle Frauen so zu nennen? Nein.

Beim englischen Wort "Nigger" handelt es sich dagegen oft um einen Versuch der Selbstermächtigung. Die schlimmstmögliche Beleidigung wird ständig selbst verwendet, zu einer Art Respektbegriff umgebaut, womit das Wort seine Macht und die Beleidigung an Wirkung verlieren soll. Das Wort "queer" hat einen Weg der Aneignung schon erfolgreich durchgemacht. Es steht für alles andere als die Norm. Damals war "schräg" ausschließlich abwertend zu verstehen, heute ist es ein Sammelbegriff für alle, die sich zu LGBTQI zählen oder darüber hinaus nicht in der heteronormativen, binären Welt Platz finden.

"Kritik am Islam ist kein Rassismus, weil Muslime keine Rasse sind"

Dass es aus wissenschaftlicher Sicht keine Rassen gibt, sollte hinlänglich bekannt sein. Dass es trotzdem Rassismus gibt, allerdings auch, wenn etwa Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder (ihnen zugeschriebener) Herkunft als homogene Gruppe betrachtet werden, der bestimmte (meist negative) kollektive Eigenschaften zugeschrieben werden. MuslimInnen wird etwa unterstellt, per se "rückständig", "frauenverachtend" oder "gewalttätig" zu sein. Damit wird eine Grenze zwischen "Wir, die Österreicher" und "Sie, die Muslime" gezogen.

Das Argument "Der Islam ist keine Rasse" verläuft im Sand, weil das niemand, der antimuslimischen Rassismus kritisiert, jemals behauptet hat. Es sind RassistInnen, die ihr homogenes Bild von MuslimInnen und ein Wir-gegen-sie-Schema verbreiten.

Mit Argumenten wie "Der Islam ist keine Rasse" oder "Islamophobie ist ein Kampfbegriff der Islamisten" geht man jeder tiefgründigeren Auseinandersetzung mit dem Thema aus dem Weg. Wesentlich wäre allerdings das Eingeständnis, dass MuslimInnen derzeit massiven Anfeindungen ausgesetzt sind, Hass und Übergriffe gegen sie nehmen seit Jahren zu, nahezu die Hälfte der Bevölkerung wünscht sich für MuslimInnen offen nicht die gleichen Rechte wie für ÖsterreicherInnen. Solange es für diesen Umstand keinen Begriff, keine Beschreibung gibt, lässt er sich leicht(er) ausblenden.

"Online-Regeln sind Zensur"

Für die meisten ist das Internet ein demokratischer Heilsbringer. Umso empfindlicher reagieren sie auf Regulierungsversuche. Klarnamenzwang oder Aufnahmeprüfungen für Foren werden als Zensur betrachtet.

Im Gegensatz zur Online-Kommunikation ist der öffentliche Raum sehr wohl reglementiert, um vulnerablere Gruppen zu schützen. Im Internet ist man, was Hetze betrifft, auf die Netiquette und die Meldefunktion der jeweiligen Plattformen angewiesen oder muss sich mithilfe von solidarischen MitposterInnen gegen Hass wehren. Das schützt allerdings nicht vor sexistischen, herabwürdigenden oder rassistischen Kommentaren selbst. Sie können nur kurz online sein und trotzdem ihre volle negative Wirkung erzielen.

Frauen und PoC sind im Netz einer viel höheren Gefahr von Hass ausgesetzt als Männer, die in Präsenz und Täterschaft überrepräsentiert sind. Die Fälle Alma Zadić und Sigrid Maurer zeigen außerdem, dass die Täter eigentlich kaum zur Verantwortung gezogen werden können.

"Du bist so sensibel" oder "Haben wir nicht größere Probleme?"

Es hat nichts mit überbordender Sensibilität zu tun, auf diskriminierungsfreier Sprache zu bestehen. Natürlich ist es auch wichtig, über Diskriminierung in allen Lebensbereichen oder konkrete rassistische Gewalttaten zu sprechen. Doch diese kommen nicht aus dem Nichts, sondern aus über Jahre und Jahrzehnte gefestigten Einstellungen und Werthaltungen – die sich natürlich auch in der Sprache widerspiegeln. Abschätzige Sprache erleichtert konkrete Taten. Einen "Fetzen" reißt man leichter vom Kopf, "Sozialschmarotzer" schiebt man eher ab, einer "Flüchtlingswelle" stellt man eher etwas in den Weg. Gerne wird übersehen, dass mit jeder Ausdehnung der Grenze des Sagbaren demokratische Errungenschaften abseits der Meinungsfreiheit in Gefahr geraten könnten; etwa Religionsfreiheit und Minderheitenschutz.

"I don't see colour" oder "Für mich sind alle Menschen gleich"

Ja, das ist eine schöne Sicht auf die Welt. Allerdings eine, die man sich nur als privilegierte Person leisten kann. Menschen, denen eine nichtweiße Hautfarbe zugeschrieben wird, machen wegen genau dieser Sichtbarkeit andere Erfahrungen. Auch wenn die Aussage noch so nobel gemeint ist – wenn man behauptet, unterschiedliche Hautfarben nicht zu sehen, kann man auch Rassismus nicht wahrnehmen und spricht Betroffenen ihre Realität, ihre Erfahrungen ab. Dasselbe gilt für Sexismus. Nur weil Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) sagt, keine persönlichen Erfahrungen mit Sexismus gemacht zu haben, heißt es nicht, dass dieser sie nicht umgibt. Wer Probleme aus der Welt schaffen will, muss genau hinschauen. Mit Humanismus (statt Feminismus) oder "Farbenblindheit" löst man sich von jeglicher Verantwortung und übersieht, dass Rassismus und Sexismus in der Gesellschaft tief verankerte Machtverhältnisse sind. Also systematische Probleme, gegen die jede und jeder etwas tun kann. (Noura Maan, Maria von Usslar, 18.1.2020)