Ob Blasmusik oder Sport – in Österreich gibt es Vereine für fast alles.

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Weihnachtssterne, Licht ins Dunkel und der holde Knabenchor" – jedes Jahr dasselbe, nur noch blöder als zuvor, singen Christoph und Lollo. Licht ins Dunkel freilich ist jedes Jahr erfolgreicher. Es gehört zu Weihnachten wie Vanillekipferl und Christbaum. Beim Spenden und Punschsaufen für den guten Zweck sind wir Weltmeister. Glauben wir. Zumindest beim Spenden sind wir das bei weitem nicht, liegen wir bestenfalls im europäischen Mittelfeld und weit hinter den USA. Anderswo sind wir hingegen Weltspitze: bei der Vereinsmeierei.

Die Alpinisten und die Zeltler, die Wellensittichzüchter, Opel-Fahrer und Gespensterjäger, sie alle rotten sich in einem der 125.000 Vereine Österreichs zusammen. In Deutschland, auch nicht gerade bekannt für seine Vereinsarmut, kommen sieben Vereine auf tausend Einwohner. Bei uns sind es 16. In so mancher abwanderungsbetroffenen Landgemeinde gibt es bald mehr Vereine als Einwohner. Unter den vielen Vereinen finden sich nicht nur schrullige, sondern auch bedenkliche und gefährliche. Das österreichische Vereinsrecht ist eines der liberalsten der Welt und macht uns zu einem Vereinsparadies mit vielen bunten Blumen und noch mehr Unkraut.

Zivilgesellschaft hat viele Facetten

Freiwilligenarbeit, Ehrenamt, Spenden und Vereinsmitgliedschaften; politisches Engagement zählt auch dazu, vom Wählen zum Wahlkämpfen, vom Demonstrieren zum Konsumieren. Konsum und Konsumboykott werden als Protestform und Symbolisierung von Weltanschauung immer beliebter. Flugscham wird die nächsten Jahre dominieren, unsere Autos werden wir bald verstecken und unseren Schweinsbraten nächstens vom Dealer unseres Vertrauens beziehen.

Vereine, aber auch andere Rechtsformen von NPOs und NGOs stellen das organisatorische Rückgrat der Zivilgesellschaft dar. Diese ist nicht nur an der hellen Seite der Macht, obgleich der Begriff im politischen Diskurs moralisch illuminiert wird. Wenn man einer Regierung vorwirft, dass sie die Zivilgesellschaft nicht einbezieht, meint man wohl kaum die Gesprächsverweigerung gegenüber dem Kameradschaftsbund und der Blasmusik. Dabei ist Zivilgesellschaft als jene Arena sozialen Handelns zu verstehen, in der Bürgerinnen und Bürger jenseits von Staat, Markt, Familie, Verwandtschaft und Freundschaften kollektiv tätig werden. Manche färben das allzu positiv, weil sie diesem Engagement demokratische, emanzipatorische und inklusive Werte unterstellen. Das ist nicht zwingend der Fall.

Rechter und linker Rand des Spektrums

Wenn die Bürger einer Weinviertler Gemeinde Unterschriften gegen den Zuzug einer palästinensischen Familie sammeln, wenn Wiener Bürgerinitiativen Wohnbauprojekte und moderne Architektur verhindern, dann ist das auch Zivilgesellschaft. Initiativen und Vereine am rechten und linken Rand des Spektrums zählen genauso dazu wie soziale Dienstleistungskonzerne, deutschnationale Burschenschafter genauso wie radikale Islamisten. Auch multinationale Konzerne, die mit ihrem Lobbying Politik beeinflussen wollen, agieren "jenseits von Markt und Staat" und damit so zivilgesellschaftlich wie Konsumentenvertreter und Klimaschützer. Demokratisch legitimiert sind sie allesamt kaum – mitgliederstarke Vereine noch eher als reine Vermögen. Das ist den US-Amerikanern klarer als uns, weshalb sie den Begriff Zivilgesellschaft nicht mit jener sakrosankten Aura versehen, die sich in Europa verbreitet hat. In den USA ist klar: Die von den Koch-Brüdern finanzierte Heritage Foundation zählt genauso zur Zivilgesellschaft wie die von George Soros finanzierte Open Society Foundation, die National Rifle Association genauso wie March for Our Lives.

NPOs und NGOs sind nicht "die Zivilgesellschaft". Einige von ihnen tragen viel zur Zivilgesellschaft bei, indem sie anwaltschaftlich die Interessen von Benachteiligten, aber auch Interessen unserer natürlichen Umwelt oder allgemeine Werte und Menschenrechte vertreten. Tun sie das nicht und produzieren sie bloß soziale Dienstleistungen, dann haben sie mit der Zivilgesellschaft so viel zu tun wie ein Friseur.

Ökonomische Bedeutung

Unabhängig davon gewinnt der Non-Profit-Sektor wirtschaftlich enorm an Bedeutung: NPOs wie das Rote Kreuz und die Caritas beschäftigen jeweils über 10.000 Menschen und über 70.000 Freiwillige, in Summe arbeiten knapp sieben Prozent in NPOs, Tendenz steigend. Der von NPOs mitgeprägte Gesundheits- und Sozialbereich ist nach dem Handel die beschäftigungsstärkste Branche des Landes. In diesem Bereich wird zudem immer mehr ausgegliedert, und viele vormals öffentliche Träger gewinnen mehr Unabhängigkeit und NPO-Charakter.

Je höher entwickelt eine Volkswirtschaft, desto mehr Menschen arbeiten in NPOs. In den Niederlanden sind es knapp 15 Prozent. Das hat damit zu tun, dass in postindustriellen Ökonomien die Nachfrage nach sozialen Dienstleistungen aufgrund von Überalterung, Zuwanderung und mehr Bedarf an Kinderbetreuung, Bildung und Gesundheit rasant wächst. In Deutschland sind Caritas und Diakonie mit jeweils circa 600.000 Arbeitnehmern die größten privaten Arbeitgeber, größer als Siemens oder Volkswagen.

Innerhalb der Tätigkeitsfelder von NPOs gibt es heftige Konkurrenz, und zwar zwischen NPOs, und das nicht nur ums Spendengeld. Am Beispiel von Licht ins Dunkel: Wie wir behinderte Menschen besser inkludieren können, darüber herrscht in der Szene alles andere als Einigkeit, und die Progressiven streiten unversöhnlich mit den Konservativen. Künftig wird die dominante Rolle von NPOs in vielen sozialen Dienstleistungsbereichen hinterfragt werden. Die Grenzen werden durchlässig, und mehr und mehr gewinnorientierte Anbieter werden in diese Märkte drängen. Ob NPOs im Vergleich zu diesen wirklich bessere Qualität zu niedrigeren Kosten bringen, ob sie auch innovativer sind, das werden sie laufend beweisen müssen.