Ein Filmstill aus Adrian Pacis Videoarbeit "Centro di permanenza temporanea", die Migration thematisiert.

Foto: Adrian Paci

Vor Geröll und Schutt stehen sie, menschliche Überbleibsel. Auf ein paar Fliesen, die darauf verweisen, was hier einmal war, posieren die Transgender-Prostituierten wie auf kleinen Bühnen. Die Künstlerin Teresa Margolles, die 1964 in Mexiko geboren wurde, porträtierte sie für ihre Fotoserie Pistas de Baile. Die Fliesen sind, was von den Clubs und Nachtlokalen, den Orten, an denen die Prostituierten ihre Arbeit der Nacht in Angriff nahmen, noch übrig blieb.

Aus Margolles' Fotoserie "Pistas de Baile".
Foto: Teresa Margolles

Thema Migration

Etwas Bühnenhaftes hat auch eine der bekanntesten Videoarbeiten Adrian Pacis von 2007. Sie zeigt eine mobile Zugangstreppe zu einem Flugzeug, auf der Menschen stehen und warten. Sie wirken weder bestellt noch abgeholt. Es ist wohl eine der einprägsamsten künstlerischen Arbeiten der letzten Jahre zum Thema Migration. Ein Standbild aus dem Video ist auch auf dem Plakat abgebildet, das Pacis Ausstellung Lost Communities ankündigt. Eine Ausstellung, die zu Recht bereits vielerorts wohlwollend besprochen wurde. Margolles, die sich gerade mit Paci die Kunsthalle Krems teilt, wird hierbei etwas weniger Aufmerksamkeit zuteil, was schade ist, da die beiden Ausstellungen stimmig ineinandergreifen.

Obwohl sie sich sehr unterschiedlicher Ästhetiken bedienen, drehen sie sich um ähnliche Fragen. Beide Künstler beschäftigen sich mit den Abgehängten, den Ausgegrenzten, jenen, die in der sogenannten Mehrheitsgesellschaft keinen Platz haben.

Nie voyeuristisch

Adrian Paci, der selbst von Albanien nach Italien emigrierte, geht mit einer Sensibilität an seine Protagonisten heran, die nie voyeuristisch wirkt. In seiner Videoarbeit Prova dreht die Kamera langsam ihre Kreise um arbeitssuchende Männer aus Shkodra, Pacis Heimatstadt. Mikrofone stehen herum, nach der Reihe sprechen die Männer abwechselnd das Wort "prova", also "Test", hinein. Ein Soundcheck der Verzweiflung, ein Musikvideo ohne Musik.

In den knallroten Ausstellungsräumen von Margolles’ En la Herida widmet sich ein Raum der Prostituierten Karla, die Margolles Zugang zur Transgender-Szene in Ciudad Juárez verschaffte. Karla, die in diesem Raum auf einem überlebensgroßen Foto, einer Art Denkmal, zu sehen ist, wurde brutal ermordet. Via Tonbandaufnahme erfahren wir von ihrem Ableben. Eine Kollegin erzählt nüchtern von der eigentlich unsagbaren Gewalt, die Karla angetan wurde. Eine Gewalt, die für diese Frauen so alltäglich ist, dass sie auch bei einer Art Spieleabend, von dem Margolles ein Video zeigt, scheinbar beiläufig von den Morden, die die Transgender-Community immer wieder treffen, berichten.

Professionell beweint

Während Margolles’ kleinere Ausstellung auf dieses eine Thema, das Thema der Gewalt, fokussiert, spielt bei Paci neben der Ausgrenzung auch der Heimatbegriff eine Rolle. Albanischen Traditionen und Ritualen geht er sowohl in seinen Malereien nach als auch in der humoristischen Videoarbeit Vajtojca (Klageweib). Der Künstler liegt wie tot auf einer Matratze und lässt sich – wie es der Brauch will – professionell beweinen. Als die Klage zu Ende ist, steht Paci auf und geht zu den Klängen eines fröhlichen Lieds ab.

Im letzten Raum, der die dunklen Projektionsräume Pacis und die blutrote Gestaltung von En la Herida mit schlichtem Weiß kontrastiert, steht dann eine Arbeit von Margolles einer von Paci gegenüber. Die eine trägt den Namen Home to Go und eine der Physiognomie Pacis nachempfundene Skulptur, die ein Dach wie einen Rucksack auf dem Rücken schleppt. Gegenüber befindet sich an der Wand Margolles’ La Gran America: 1000 Pflastersteine, die aus dem Schlamm aus dem Flussbett des Grenzflusses Río Grande (amerikanisch) beziehungsweise Rio Bravo (mexikanisch) gemacht wurden. Gewidmet ist die Arbeit den mexikanischen Migranten, die beim Versuch des Grenzübertritts ertranken.

Pacis "Home to Go".
Foto: Adrian Paci

Margolles’ und Pacis Kunst kann die Probleme, die sie thematisiert, nicht lösen, aber sie kämpft auf sensible Weise um die Sichtbarkeit der Ausgegrenzten, um deren Geschichten und um deren Würde. (Amira Ben Saoud, 20.12.2019)