Wer, wie ich, seit vielen Jahren in Deutschland lebt, bekommt ein neues Verhältnis zu Titeln, vor allem zum eigenen. Dieser spielt nämlich in Deutschland nicht nur keine Rolle, sondern er ist häufig Anlass für Witzeleien, hinter denen sich eine Mischung aus Herablassung und liebevollem Neid verbirgt, dass wir "Ösis" eine spezifische Umgangsform gefunden haben, der es den Deutschen mangelt.

Prof. Dr. Christian Ankowitsch: "Aktiv von meinem Titel Gebrauch gemacht habe ich in Deutschland nur ein einziges Mal!"

Zumindest war und ist diese Mischung in jenem Kontext zu bemerken, in dem ich mich längere Zeit bewegt habe: dem journalistischen. Die deutsche Haltung vor allem österreichischen Titeln gegenüber trifft eher auf die Ränder des Titelphänomens zu, also auf die "Magistra" bzw. den "Magister" auf der einen Seite und den "Hofrat" bzw. die "Kammerschauspielerin" auf der anderen.

Am ehesten kommt man unbehelligt noch mit dem "Doktor" durch, wenn man sich auch immer wieder fragen lassen muss, an welcher exotischen Kleinuniversität man sich denn den besorgt habe, was in meinem Fall nicht völlig gegenstandslos ist, denn ich habe in Graz promoviert.

Ansonsten spielen Titel in Deutschland im aktiven Miteinander keine Rolle, ja, sie sind geradezu verpönt, wie zum Beispiel in der hanseatischen Wochenzeitung DieZeit, wo ich Redakteur war. Was aber nur die halbe Wahrheit ist, denn in Briefen und im Impressum achtete man penibel darauf, sie zu nennen. So bedeutungslos, wie man tat, waren sie also dann doch nicht.

Die Botschaft in Berlin

Aktiv von meinem Titel Gebrauch gemacht habe ich in Deutschland nur ein einziges Mal, und zwar dazu, mich lächerlich zu machen. Dazu musste ich mich freilich auf exterritoriales Gebiet begeben, genauer: in die österreichische Botschaft in Berlin.

Es ging um die Staatsbürgerschaft und den Pass für eines unserer beiden Kinder. Erst durch die Botschaftsangehörige (eine Deutsche) auf die Idee gebracht, doch Staatsbürgerschaft und Pass zugleich zu beantragen, machte ich mich mit dem Kind auf den Weg in die Botschaft. Es war ein Schulvormittag, das Kind also aus laufendem Unterricht abzuholen. 40 Minuten quälender Autoverkehr quer durch die Stadt lagen hinter uns, als mir die Botschaftsangestellte eröffnete, mein Anliegen sei absurd, erst müsse die Staatsbürgerschaft her, dann erst sei ein Pass möglich.

Professor und Laudator: Franz Schuh hielt die Lobrede auf Christian Ankowitsch.
Foto: Bundeskanzleramt

Nach minutenlangen Debatten stellte es sich heraus, dass es just diese Angestellte gewesen war, die mir nicht nur den Tipp, sondern auch den Termin gegeben hatte – ich konnte es ihr durch eine E-Mail beweisen, die ich auf meinem Computer fand und die ich ihr zeigte – durch eine dicke, schusssichere und geräuschdämmende Glasscheibe hindurch, hinter der die Angestellte – aller menschlichen Niederungen entrückt – amtierte. Mit einem Male sah ich mich reduziert auf ein Nichts, das sich hinter einer dicken Scheibe echauffierte und von der personifizierten Staatsgewalt gedemütigt wurde. Da sagte die Dame: "Herr Ankowitsch, mäßigen Sie sich" – und ohne eine Sekunde zu zögern, brüllte ich zurück: "Herr DOKTOR Ankowitsch!"

Dann kam der Leiter der Botschaft.

Antiquiertheit und Anerkennung

Von etwas anderer Qualität ist meine persönliche Beziehung zu meinem Doktor. Er ist für mich der meinem Namen untrennbar anhaftende Beweis, dass ich 14 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs geboren bin, in einer Zeit also, in der schwarze Pädagogik als legitimes Erziehungskonzept galt. Dieser Pädagogik verdanke ich – und ich verwende diesen Begriff in rein phänomenologischem, keinesfalls wertendem Sinne –, ihr verdanke ich, dass ich zu Ende studiert und damit gut zu Ende gebracht habe, was nicht gut begonnen hatte. Erlauben Sie mir / erlaubt mir, dass ich das im Ungefähren stehen lasse, Details auf persönliche Nachfrage gerne.

Worauf ich hinauswill, ist ein einfacher Gedanke: Der "Doktor" ebenso wie jetzt der "Professor" ist – für die anderen wie für mich selbst – ein schwer zu fassendes Phänomen. Diese Titel stehen für Ungleichzeitigkeit und Antiquiertheit ebenso wie für Äußerlichkeit und Hoffart. Aber sie stehen auch für Anerkennung, Respekt, Zuwendung und – wie in meinem Fall – für Freundschaft, denn es ist dem Beharren eines Freundes zu danken, dass ich den Titel bekommen soll. Er ist also eine ambivalente Sache, dieser Titel. Und daher weiß ich ihn umso mehr zu schätzen. Denn in einer Zeit, in der immer mehr Menschen Eindeutigkeiten einfordern, ja, den anderen abpressen – und sei es um den Preis langjährig gewachsener Beziehungen –, in so einer Zeit des Eindeutigkeitszwangs trage ich jedes Zeichen von Vieldeutigkeit mit Freude und Stolz. (Christian Ankowitsch, ALBUM, 21.12.2019)