Champagner vom Winzer ist en vogue.

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Die Zeiten, als Bertrand Gautherot Lippenstifte für das Kosmetikunternehmen Guerlain in Paris designte, sind lange vorbei. Ein Glück – für all jene, die guten Champagner mehr schätzen als rote Lippen. Vor rund 20 Jahren besann sich der Kosmetikexperte seiner Wurzeln und kehrte an den heimischen Hof in der Champagne zurück. Obwohl Gautherot damals kaum Weinkenntnisse mitbrachte, war er entsetzt über die Segnungen der chemischen Industrie, die in den Weinbergen Einzug gehalten hatten: "Die Winzer töteten das Gras zwischen den Rebzeilen mit Gift ab. Das trifft allerdings auch die Reben."

Deshalb entschied er sich, auf Herbizide zu verzichten und auf biologischen Anbau zu setzen, seit 1998 sogar auf biodynamischen. 2001 flog Gautherot deshalb aus der Kooperative. Seine Weine würden nicht dem Stil entsprechen, hieß es. Er ließ sich nicht entmutigen, schulte vom Traubenproduzenten zum Champagnermacher um und stellte fortan den speziellen Winzerchampagner her.

Damals war das exotisch, heute gilt das kleine, feine Champagnerhaus als Vorreiter einer Bewegung, der sich immer mehr Winzer in der Region anschließen. Denn "Champagne de Vigneron", Winzerchampagner, liegt im Trend.

Exklusive 40.000 Flaschen pro Jahr

In Österreich stellt der Winzer den Wein her und verkauft ihn meist auch. In der Champagne unterscheidet man zwischen Traubenproduzenten und Champagnerhäusern. Erstere achten auf die Weinberge, Letztere produzieren den Schampus. Seit einigen Jahren bauen immer mehr der Traubenproduzenten so wie Bertrand Gautherot ihre Weine selbst zum Winzerchampagner aus. 2016 entstammten knapp 30 Prozent der Produktion aus Winzerkellern und von Winzerzusammenschlüssen, sogenannten Kooperativen. Die berühmten Champagnerhäuser von Moët oder Bollinger steuerten 70 Produzent bei.

Aus Bertrand Gautherots Keller gehen im Schnitt 40.000 Bouteillen pro Jahr in die Welt. Das Ergebnis seiner Arbeit trinkt sich mit "Fidèle" als straffer und doch nahbarer Champagner. Gekeltert aus Pinot-Noir-Trauben, auf kalkreichen Böden gewachsen, sorgen rote Früchte für eine muntere Frische. Leichtigkeit und Komplexität im – wohlgemerkt – Weinglas. Sein Champagner "Sobre" aus Chardonnay-Trauben geht stärker in die strukturelle Richtung. Salzig, geradlinig, sehr weinig. Verspielt ist da nichts. Oft trinkt in einer Familie jeder seine eigene Flasche Champagner, lacht Gautherot über seine beiden konträren Weine.

Für die großen Häuser hat Gautherot wenig übrig. Es seien industrielle Produkte, von der jede Flasche gleich schmecken soll und die dem Champagner das Weinsein absprächen. "Wein lebt", sagt der Winzer. Er bemüht einen Vergleich: Mit seinen 52 Jahren sei er beispielsweise menschlich mehr "oxidiert" als andere. Dafür habe er Qualitäten, die Jüngere nicht haben. Mit dem Ausbau der Grundweine im Stahltank und der Filtration vor dem Abfüllen versuche man, die ewige Jugend für den Champagner zu bewahren. Das funktioniere weder beim Menschen noch beim Wein. Viele würden Champagner nicht als Wein betrachten. Dabei gehöre der auch auf diese Art produziert und getrunken.

Vielfalt

1.100 Kilometer östlich der Champagne, nämlich in der Bar Capsule am Tiefen Graben in Wien, sieht das Fritz Blauert mit den großen Produzenten weniger streng. Schließlich gibt es bei 16.000 Winzern, 340 Champagnerhäusern und einer in Flaschen gemessenen Gesamtlese von 362 Millionen Flaschen auch eine beachtliche Menge an Möglichkeiten und Qualitäten.

Er führt mehr als 300 Champagner – von kleinen Winzern, aber auch von großen Häusern. "Viele Winzerchampagner profitieren ja durchaus von der Marke, die von den weitläufig bekannten Herstellern über Jahrhunderte geschaffen wurde."

Wichtig sei die Liebe zum Produkt, meint Champagnerexperte Blauert. Bei einem Wein um 30 Euro und mehr frage man sich schließlich auch, welche Temperatur und welche Gläser passen, womit man ihn am besten kombiniert. Ähnlich verhält es sich mit Champagner. Es gibt Sorten, die man durchaus jung trinken darf und soll. Andere zeigen erst im Alter ihre wahre Größe. Wer es fruchtig mag, ist mit Champagnern mit einem höheren Pinot-Meunier-Anteil gut beraten. Neben Pinot Noir und Chardonnay ist Pinot Meunier die dritte Rebsorte, die in der Champagne bei einer zweiten Gärung in der Flasche mit natürlicher Kohlensäure versehen wird.

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Im Weinglas, nicht in der Flöte sollte Champagner serviert werden.
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Champagner zum Beef

Wenn man einen Champagner als Wein wahrnimmt und ihn damit mehr als ein feierliches Blopp oder eine Marke sein lässt, erkennt man, dass so ein Rosé zu asiatischen Gerichten mit ein bisschen Schärfe die beste Begleitung ist, ja sogar ganze Zigarren-Champagner-Pairings sind möglich. Derlei hat Blauert letzten Sommer im Gastgarten der Bar Capsule angeboten. Manche Champagner sind sehr komplex, da braucht es eine intensivere Erklärung für die Kunden, meint der Champagnerexperte, der 2018 seine eigene Bar eröffnet hat.

Vor allem als Speisebegleiter punkten Champagner mit einer Leichtigkeit und Frische, die klassische Weine nur schwer mitbringen, sagt Blauert. Und man kann alles bespielen: vom Kobe-Beef bis zum Karpfen. Er empfiehlt zum Beef vielleicht einen Rosé de Saignée aus dem Hause Philippe Gamet und zum Fisch einen gereifteren Tropfen, wie etwa den Forget-Brimont von 2008.

Ähnlich wie beim Wein macht auch Champagnertrinken größeren Spaß, je mehr man darüber weiß. Weil dann die Aromen zum Beispiel nicht in einer Sektflöte gegeißelt werden. Diese Glasform stammt noch aus Zeiten, in denen Champagner nicht degorgiert, die Hefe aus der Flaschengärung also nicht entfernt wurde. In der schmalen Form setzte sich die Hefe besser unten ab. Das ist doch schon einige Zeit her. Und deshalb bekommt man weder bei Gautherot noch bei Blauert im Capsule Champagner in der Flöte, sondern im Weinglas.


Champagner-Info

Unfall Eigentlich war die Erfindung des Champagners ein Unfall. Der schon gefüllte Wein begann in der Flasche nochmals zu gären. Aus dem anfänglichen Ärger erwuchs eine Geschäftsidee.

Sektflöte Als die Hefe aus der Flaschengärung noch in der Flasche blieb, brauchte es ein schmales Glas, damit sich die Hefe unten absetzte. Heute Schampus bitte aus dem Weinglas trinken.

Zero Dosage Die Gär-Hefe muss aus der Flasche – der Grund, warum immer ein paar Centiliter fehlen. Füllt Champagner und kein Zucker-Wein-Gemisch das auf, nennt man das Zero Dosage.

Eine Methode, zwei Namen Gärt Sekt in der Flasche ein zweites Mal, damit natürliche Kohlensäure entsteht, nennt man das "Méthode traditionelle". Nur in der Champagne heißt es "Méthode champenoise".

Englische Flaschen Erst die Engländer erfanden jene Technik, mit der Champagnerflaschen dem Kohlensäuredruck von sechs Bar standhielten. Vorher explodierten sie oft.

Flache Flasche Zar Alexander der Große hatte Angst, dass man Gift im Hohlraum am unteren Ende der Flasche verstecken könnte. Deshalb ist sein Lieblingschampus "Cristal" bis heute unten abgeflacht.

(Nina Wessely, 30.12.2019)