Viele Kinder sind nicht geimpft und leiden an Unterernährung, das geschwächte Immunsystem wird mit einer Maserninfektion nicht fertig. In einem Gesundheitszentrum, wie hier im Armenviertel Malweka, einem Vorort von Kinshasa, kann ihnen geholfen werden.

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Bis vor wenigen Jahren galt sie noch als aussterbende Krankheit, deren Schrecken der Vergangenheit angehört und deren Zukunft begrenzt oder zumindest berechenbar ist. Masern könnten wie Polio oder Pocken bald ausgerottet werden, meinten die einen. Während die anderen die von ihr ausgehende Gefahr für dermaßen kalkulierbar halten, dass man sich nicht einmal mehr durch Impfung vor ihr schützen müsse.

Die Infektionskrankheit hat beide Seiten eines Schlechteren belehrt. Statt sang- und klanglos auszusterben, erleben die Masernviren derzeit eine weltweite Renaissance: Die Zahl der von ihnen attackierten Menschen steigt wieder jährlich um 30 Prozent an, die Weltgesundheitsorganisation WHO erklärte die Infektionskrankheit Anfang dieses Jahres zu einer "Bedrohung der globalen Gesundheit". Auch in der Demokratischen Republik Kongo tobt derzeit eine Masernepidemie: Innerhalb eines Jahres steckte das Virus mehr als eine Viertelmillion Menschen an, mehr als 5000 Infizierte starben. 90 Prozent der Opfer waren Kinder unter fünf Jahren.

Unbemerkt ausgebreitet

Mittlerweile hat sich die Masernepidemie auf sämtliche 26 Provinzen des Kongo ausgeweitet – einschließlich der Ituri- und Nordkivu-Provinz, wo bereits seit eineinhalb Jahren die zweitschlimmste Ebola-Epidemie der Geschichte grassiert. Während die hämorrhagische Fiebererkrankung von der ganzen Welt nervös begleitet wird, breitet sich das Masernvirus weitgehend unbemerkt aus. Inzwischen starben mehr als doppelt so viele Menschen an Masern wie an Ebola. "Die Situation ist alarmierend", sagt Xavier Cres pin, Gesundheitschef des Kinderhilfswerks Unicef im Kongo.

Kein Heilmittel

Mit einer Sterblichkeitsrate von 60 bis 70 Prozent wütet Ebola tatsächlich in einer ganz anderen Liga. Allerdings ist das Masern- Virus dafür wesentlich ansteckender: Es wird auch über die Luft, durch ausgehustete Speicheltröpfen, übertragen. Auch gibt es gegen Masern noch immer kein Heilmittel: Wer sich das Virus eingefangen hat, kann nur hoffen, dass sein Körper damit fertig wird. Das funktioniert bei gut ernährten Kindern in der Regel ganz gut – nur in seltenen Fällen kommt es zu Komplikationen, die Erblindung, Gehirn- oder Lungenentzündung auslösen können.

Doch wer das Pech hat, im Kongo geboren worden zu sein, kann sich auf seine körpereigenen Abwehrkräfte nicht verlassen. In dem chronischen Bürgerkriegsland ist mit 4,3 Millionen Kinder jedes zehnte Kind unterernährt: Sie verfügen unter anderem über zu wenig Vitamin A, das für den Kampf gegen das Masern-Virus entscheidend ist.

Schlechter Zugang zu Gesundheitsstationen

In dem Land von der Größe Westeuropas haben außerdem 4,5 Millionen Menschen ihr Zuhause verloren: Sie leben oft in Flüchtlingslagern, in denen sich Infektionskrankheiten besonders schnell ausbreiten. "Gewalt und Unsicherheit, schlechter Zugang zu Gesundheitsstationen und mangelnder Impfstoff haben für Tausende von Kindern tödliche Folgen", klagt Edouard Beigbeder, Unicef-Repräsentant in dem zentralafrikanischen Staat.

Der größte Feind des Masern-Virus ist ein seit 1963 massenhaft produzierter Impfstoff. Er ist höchst wirksam, sicher und relativ preiswert: Wenn 95 Prozent der Bevölkerung eines Landes geimpft sind, kann es zu keinen Epidemien mehr kommen. Im Kongo wird diese Quote bei weitem verfehlt, wofür erneut das marode Gesundheitssystem, bewaffneten Konflikte vor allem im Osten des Landes verantwortlich sind.

Impfungen oft verweigert

Dass bei Masern zwei Impfungen nötig sind, erschwert die Herausforderung noch. "Unsere Teams brauchen manchmal bis zu vier Tage, um ein abgelegenes Dorf zu erreichen", sagt Xavier Crespin. "Und wenn sie schließlich ankommen, verweigern manche, sich impfen zu lassen." Alles, was von außen oder der Zentralregierung kommt, wird im Kongo – mit oft guten Gründen – skeptisch betrachtet.

Die Impfskepsis hat sich auch in Industrienationen ausgebreitet. Sogenannte Anti-Vaxxers halten die vorbeugende Injektion mit kleinen Virenmengen für unnötig oder sogar schädlich. Experten sind überzeugt davon, dass diese Auffassung die Masernfälle auch in den USA und Europa wieder in die Höhe treibt.

Nachhaltige Schäden

Der US-Staat New York erlebte kürzlich zwei Masernepidemien, in Europa haben sich die Ansteckungen in den vergangenen drei Jahren verdreifacht. Aus der Ukraine, wo nur ein Drittel der sechsjährigen Kinder geimpft sind, wurden fast 60.000 Masernfälle gemeldet, Dutzende von Infizierten starben.

Neueste Studien ergaben, dass selbst Kinder, die eine Maserninfektion überlebten, gehandicapt bleiben können. Das Virus könne zu einem "Gedächtnisverlust" des Immunsystems führen, will der US-Genetiker Stephen Elledge herausgefunden haben: Der Körper vergesse, wie er auch andere Infektionen zu bekämpfen habe. Auf diese Weise sei Masern vermutlich für wesentlich mehr Todesfälle verantwortlich als bisher angenommen. (Johannes Dieterich, 21.12.2019)