Mike Pircher ist weiter sehr umtriebig und viel unterwegs.

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Gröden – Michael "Mike" Pircher ist gerade mit dem Auto nach Wien zur Buchpräsentation von "Marcel Hirscher – Die Biografie" unterwegs, als ihn der STANDARD erreicht. "Ich habe kaum nach links oder rechts geschaut, da gab es nur den Fokus auf Marcel", sagt der Schladminger, der sich elf Jahre intensiv mit dem im September zurückgetretenen Dominator beschäftigt hat, acht Jahre für den achtfachen Gesamtweltcupsieger verantwortlich zeichnete und die vergangenen sechs ausschließlich für ihn als Trainer zuständig war.

Immer Vollgas

Die Zusammenarbeit beschreibt er retrospektiv so: "Es war insofern einfach, weil jeder gewusst hat, dass wir hundert Prozent geben müssen, dass es nur Vollgas gibt." Nach der Saison konnte jeder drei Monate machen, was er wollte. Ab Anfang Juli drehte sich dann den ganzen Tag lang alles um die Skifahrt. "Es war nicht immer einfach, man musste immer wieder mehr Gas geben, als einem lieb war." Die Fülle an herausragenden Erfolgen sei den Einsatz aber wert gewesen.

Nach dieser für alle Beteiligten beschwerlichen Phase, die ein erschöpfter Hirscher (30) mit dem Karriereende quittierte, geht die Dienstreise für Pircher weiter. Im Leben des 44-Jährigen hat sich natürlich einiges geändert, "nachdem es viele prägende Jahre waren, in denen ich mit so einem erfolgreichen Sportler zuammengearbeitet habe".

Damit das Know-how nicht verloren geht, hat der österreichische Skiverband Pircher und auch Ferdinand Hirscher im ÖSV gehalten. Beide fungieren nun gewissermaßen als Bindeglied zwischen Europacup und Weltcup, wobei die Aufgaben für den Vater von Marcel Hirscher mehr den Materialsektor betreffen, jene von Pircher mehr die Skitechnik. Eine ruhigere Kugel schiebt Pircher aber nicht. Sein Programm ist vom Umfang her nicht weniger aufwendig. "Ich bin fast noch mehr unterwegs." Der Steirer lebt primär aus dem Koffer. Da immer wieder auf der Reiteralm trainiert wird, kann er gelegentlich zuhause schlafen. Sein Privatleben leidet insofern nicht, weil seine Angehörigen wissen, wie er tickt. Jeden Tag daheim wäre ungewohnt.

Geduld bei der Talenteschau gefragt

Pircher betreut vorrangig die Europacup-Athleten. Im Moment sei noch kein potenzieller Hirscher-Nachfolger in Sicht. "Es gibt einige Talente, aber man muss sich gedulden, das geht nicht von heute auf morgen." Der Coach beschreibt den Kontinentalbewerb als "beinharte Liga". Die neue Aufgabe sei reizvoll, interessant, mache Spaß. Gut sei, dass sich der Erwartungsdruck für ihn stark reduziert habe. "Jedes Rennen war wie ein Finale, bei dem wir alles rausgeholt haben."

Pircher sagt, dass man in seinem Job immer Professionalität an den Tag legen und Geduld aufbringen müsse, dass es Reflexion und akribische Arbeit brauche, man sich mit dem Material beschäftigen müsse. "Man braucht gewisse Fähigkeiten, die physiotherapeutische Anamnese genauso wie die zielgerichtete Weltcupbetreuung. Es gibt viele Komponenten, die zum Erfolg beitragen. Es ist eine beinharte Arbeit."In Sachen Hirscher-Perfektionismus gebe es im Bereich des Nachwuchses durchaus auch Nachahmer, aber die Athleten seien natürlich sehr unterschiedlich. Pircher schätzt es, andere Charaktere kennenzulernen. Er geht individuell auf sie ein, und versucht, das Maximum herauszuholen. "Ein Prozess, der dauert."

Warum es nicht gelang, den Nachwuchs im Riesentorlauf heranzuführen, kann Pircher nicht beurteilen, weil er sich bis in den Herbst nur mit Marcel Hirscher beschäftigte. Die vielen Verletzten in den vergangenen Jahren seien aber ein Mitgrund. "Und man darf nicht vergessen, dass Hirscher aufgehört hat." Ziel müsse sein, wieder mehr Athleten unter die Top 30 zu bringen.

Nie nachgedacht

Sporadisch erinnert sich Pircher an die unglaublichen Erfolge zurück, "aber man realisiert das selbst nicht so richtig, weil keine Zeit war, nachzudenken. Gerne erinnert er sich auch an Alta Badia, wo am Sonntag (10 und 13 Uhr, ORF 1) der Riesentorlauf steigt. Eine Selbstverständlichkeit seien die sechs Erfolge von Marcel Hirscher (plus ein Parallelrennen) auf der Gran Risa nicht gewesen. "Wir haben immer am letzten Abdruck das richtige Material herausgezaubert. Das war schon fantastisch." (Thomas Hirner, 20.12.2019)