Herrenfriseure in Wien erhalten 2020 die Möglichkeit, ihre Zusatzqualifikationen aufzubessern: In Schulungen sollen sie lernen, Kunden bei sozialen und gesundheitlichen Problemen Rat zu geben.

Foto: imago/Panthermedia

Wien – Im Idealfall kann er nicht nur wunderbar Haare schneiden, sondern auch gut zuhören, umfassend informieren – und er weiß bei Problemen Rat: Zusatzfähigkeiten wie diese sollen sich Herrenfriseure in Wien künftig in Schulungen gezielt aneignen können. Insbesondere soll es dabei um Soziales sowie um Themen der körperlichen und geistigen Gesundheit gehen. Das Trainingsangebot namens "Social Barbers" ist ein Projekt, das als soziale Innovation für eine verbesserte Nachbarschaft im Jahr 2020 umgesetzt werden soll.

Von Mitte August bis Mitte Oktober 2019 hatte die Stadt erstmalig dazu aufgerufen, Projekte zur Verbesserung der Nachbarschaft einzureichen, die in irgendeiner Form etwas Neues an sich haben. Eine Jury aus sieben Experten aus dem Sozialbereich wählte aus den mehr als 260 Vorschlägen 52 Ideen aus. Die Initiatoren bekommen nun Geld für die Umsetzung.

DerStandard erfuhr vorab, welche Projekte gefördert werden. Insgesamt vergibt die öffentliche Hand eine halbe Million Euro, 2000 bis 20.000 Euro je Projekt. Um die finanzielle Abwicklung kümmert sich der Fonds Soziales Wien.

In fast allen Bezirken

"Unser Ziel war, neue Ideen zu sammeln und das gemeinsame Gestalten zu fördern", sagt Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ). "Die Frage war: Wie kommen Menschen, die sonst nichts miteinander zu tun haben, miteinander ins Gespräch", ergänzt Grünen-Sozialsprecherin Ursula Berner. Wichtig sei, dass keine Institution etwas vorgibt, sondern "dass die Initiativen von den Leuten ausgehen, dass man sieht, welche Ideen für die Stadt sie haben". Herausgekommen ist eine Mischung aus Projekten in fast allen Wiener Bezirken, die Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Altersstufen adressieren und verschiedene Lebensbereiche betreffen.

Da werden zum Beispiel "Dialogveranstaltungen mit Andersdenkenden" an verschiedenen Orten in der Stadt organisiert. Weiters fordert das Bezirksmuseum Rudolfsheim-Fünfhaus ältere Menschen dazu auf, Erzählungen, Fotos und Dokumente aus ihrem früheren Alltag zur Verfügung zu stellen. Unter dem Motto "Teilen Sie mit uns Erinnerungen – wir halten sie lebendig" sollen Ausstellungen, Blog- und Podcastbeiträge entstehen. Ein anderer Einreicher erhält Geld für eine Wanderküche: Mobile Küchen sollen an verschiedenen Orten Menschen zum Kochen und Essen zusammenbringen.

Regale, WGs und Sensen

Eine weitere Idee, die nun umgesetzt wird, sind Tauschregale an vier Punkten im vierten Bezirk, in denen Haushaltsgegenstände, Bücher, Spielwaren und Informationsmaterial abgelegt und herausgenommen werden können. Ein weiteres Projekt will gemeinsame WGs für Menschen mit und ohne Fluchthintergrund schaffen und das gegenseitige Kennenlernen mit den Nachbarn im Haus fördern. Auch eine Art Urban-Gardening-Projekt ist dabei, das insbesondere Menschen einbinden will, die nicht das ganze Jahr über ein Stück Erde betreuen können. Sie können Obstbaumpaten werden oder Sensenmähen erlernen.

Ein Projekt, das hervorsticht, ist vom Verein Seniorenweb eingereicht worden und erhält 5000 Euro Förderung: Zehn Freiwillige fortgeschrittenen Alters sollen dabei übers Smartphone oder Tablet abends Kindern im Alter zwischen fünf und acht Jahren Gutenachtgeschichten vorlesen. Mehrere Kinder gleichzeitig können an der virtuellen Lesestunde teilnehmen, insbesondere auch in Haushalten ohne Deutsch als Muttersprache. "Die Aufgabe können auch Personen übernehmen, die körperlich nicht mehr so fit sind", sagt Initiatorin Christine Darwish vom Seniorenweb.

Friseure als Drehscheibe

Am meisten überrascht hat Sozialstadtrat Hacker das eingangs erwähnte Weiterbildungsprojekt für Herrenfriseure. Dabei gibt Initiator Romeo Bissuti, Leiter des Männergesundheitszentrums Men, selbst zu, dass es ein wenig abgekupfert hat. So gebe es in den USA bereits seit den 1980er-Jahren Friseure, die zu bestimmten Gesundheitsthemen qualifiziert sind. Das Projekt in Wien erhält die höchstmögliche Förderung von 20.000 Euro und startet nächstes Jahr, erste Gespräche mit möglichen Interessenten laufen. Im ersten Schwung richtet sich das Angebot insbesondere an Herrenfriseure mit türkischem Migrationshintergrund, da Bissuti Kursleiter mit Türkischkenntnissen bereits an der Hand hat.

Seitens der Stadt rechnet man damit, dass nicht jede Idee voll aufgeht. "Wenn nur 40 Projekte einen tollen Erfolg haben, ist das schon sensationell", sagt Hacker. Aus Problemen wolle man lernen und dies bei der nächsten Ausschreibung für soziale Innovationen berücksichtigen. Sie soll 2020 erfolgen. Wann genau und unter welchem Motto, ist noch unklar. (Gudrun Springer, 21.12.2019)