Aus der Untergruppe, die für das Bildungsprogramm einer türkis-grünen Regierung zuständig ist, wurde viel Harmonie und Konsenswille kolportiert. Es gibt aber einige Punkte in den Parteiprogrammen, die die Chefs koalitionsfähig machen müssen.

Foto: Regine Hendrich

DER STANDARD fragte die wichtigsten Beteiligten und Experten für den Bildungsbereich, was aus ihrer Sicht unbedingt im Arbeitsprogramm der nächsten Regierung stehen müsste, um das Bildungssystem vom Elementarbereich bis zur Matura bestmöglich zu gestalten.

Foto: Regine Hendrich

Was die Elementarpädagoginnen wollen:

  • Bundesrahmengesetz für elementare Bildungseinrichtungen Wir brauchen endlich österreichweit verbindliche, höchste Qualitätsstandards für alle Beteiligten, also Mitarbeiter und Kinder, orientiert an wissenschaftlichen Erkenntnissen und unter Einbindung von Praxisvertreterinnen. Jedes Kind muss von Beginn an ein Recht auf qualitätsvolle außerfamiliäre Bildungsimpulse haben.
  • Bessere PädagogInnen-Kind-Relation und mehr Raum Maximal 15 Kinder und zwei Pädagogen pro Gruppe, um auf die Entwicklungsphasen der Kinder eingehen zu können. Gleichaltrige Kinder haben oft drei Jahre Entwicklungsunterschied. Bei jüngeren Kindern oder im Inklusionsbereich eine Pädagogen-Kind-Relation von maximal 1:3. Außerdem notwendig: vier Quadratmeter pro Person im Gruppenraum.
  • Multiprofessionelle Teams Kindergärten und Horte brauchen Menschen, die Deutsch als Fremdsprache können, die Kompetenzen für alles, was entwicklungsfördernd ist (Motorik, Kreativität, Sozialisation), haben. Es fehlen Psychologen, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen etc. vor Ort.
  • Hochschulausbildung für ElementarpädagogInnen Ausbildungsstart erst nach der Matura, aber mit dem bewährten Praxiskonzept der bisherigen Bildungsanstalten für Elementarpädagogik. Zudem fehlt eine österreichweite Ausbildung für Kindergartenassistenz, die derzeit Ländersache ist.

Raphaela Keller, Vorsitzende des Berufsverbands der Kindergarten- und HortpädagogInnen


Was die Schülerinnen und Schüler wollen:

  • Politische Bildung und Medienkunde Wichtig wäre ein eigenes Pflichtfach ab der siebenten Schulstufe, nicht gekoppelt an Geschichte. Kritisches Denken ist im 21. Jahrhundert essenziell, nicht nur politische Abläufe und Parteien vermitteln. Wie bilde ich mir eine Meinung? Wie debattiere ich richtig?
  • Zentralmatura Stetige Evaluierung, um das Beste aus dem System herauszuholen. Wichtig: Kontinuität der Schwierigkeitsgrade, einheitlich erlaubte Hilfsmittel, anonyme Korrektur (Klassenlehrer plus Zweitlehrer). Dann haben alle die gleichen Chancen.
  • Digitalisierung Schule muss mit der Zeit gehen. Wir brauchen eine adäquate Ausstattung und digitale Bildung auch in der Sekundarstufe II. Das Thema muss Pflichtteil der Lehrerausbildung werden.
  • Umweltschutz Umwelt soll ein Unterrichtsprinzip werden, um Bewusstsein zu schaffen. Nicht nur richtige Mülltrennung in allen Schulen, sondern auch richtige Entsorgung. Die zu 100 Prozent einwegflaschenfreie Schule als Ziel, z. B. durch Umstieg auf Wasser.
  • Supportpersonal Wir brauchen mehr Schulpsychologen für Prävention, Sozialarbeiter, aber auch Bildungs- und Berufsorientierungscoaching. Es gibt oft viel zu wenig Wissen über das vielfältige Schul- und Berufssystem.Pflichtschulbereich Aktuelle Themen in Lehrpläne integrieren, reibungsloseren Wechsel nach der Volksschule ermöglichen, auch durch forcierte, frühere Bildungs- und Berufsorientierung.

Jennifer Uzodike, Bundesschulsprecherin


Was die Mütter und Väter wollen:

  • Schulbücher Wir brauchen unbedingt eine Inflationsanpassung für das Schulbuchbudget der Schulen, das ist seit 20 Jahren nicht in vollem Umfang abgedeckt worden. Der Rechnungshof hat das schon 2009 beanstandet, bisher folgenlos. Immer öfter fehlen Unterrichtsmaterialien, die die Eltern dann selbst kaufen müssen, oder es werden ganze Bücher kopiert. Das kostet je nach Schulstufe pro Jahr zwischen 60 und 180 Euro – und untergräbt die Schulgeldfreiheit. Auch digitale Bücher und Lizenzen müssen einbezogen werden. Allein für die Digitalisierung fehlen 32 Millionen Euro.
  • Schülertransport In den Linienbussen zum Schülertransport mit 50 Sitz- und 37 Stehplätzen dürfen 130 Sechs- bis 14-Jährige transportiert werden (unter Sechsjährige nicht mitgezählt). Das Tiertransportgesetz ist strenger geregelt als der Schülertransport. Es muss auch in Linienbussen für jedes Kind einen Sitzplatz geben.
  • Supportpersonal Es wurde jahrelang zugesichert und nie realisiert. Wir brauchen dringendst Psychologen, Sozialarbeiter etc. In die Schule kommen von außen so viele Probleme, dass gar kein Unterricht mehr möglich ist.
  • Schulpartnerschaft Die Elternvertretung auf Landes- und Bundesebene, die 1,2 Millionen Pflichtschüler repräsentiert, soll wie die Schüler im Schülervertretungsgesetz auch gesetzlich verankert werden. Das wäre Schulpartnerschaft wirklich auf Augenhöhe.

Evelyn Kometter, Vorsitzende des Verbands der Elternvereine an öffentlichen Pflichtschulen


Was die Lehrerinnen und Lehrer wollen:

  • Mehr Geld Österreich gibt 9,6 Prozent der Staatsausgaben für Schulen aus. Auf den OECD-Schnitt von elf Prozent fehlen uns 1,1 Milliarden Euro pro Jahr. Damit könnten wir das dringend nötige Supportpersonal finanzieren. Auf den OECD-Schnitt fehlen uns 12.500 Sozialarbeiterinnen, Psychologen, administratives Personal.
  • Mehr Lehrer Wir brauchen zwei Lehrende pro Volksschulklasse. Die sprachliche, motorische und soziale Heterogenität nimmt zu: Der Entwicklungsunterschied bei Sechsjährigen beträgt bis zu drei Jahre. Es sollte für Eltern wie beim Mutter-Kind-Pass ein Anreizsystem geben, ihre Kinder schon früh von Fachleuten fördern zu lassen.
  • Weniger Bürokratie Wir müssen Reformdruck und Tempo aus den Schulen herausnehmen. Schluss mit dem statistischen Wahn und der Innovationshysterie! Wir versinken in Bürokratie und permanenter Testitis. Der Unterrichtsanteil an der Gesamtarbeitszeit der Lehrer wird immer weniger.
  • Mehr Sonderpädagogik Wir müssen Sonderpädagogik über die gesamte pädagogische Bandbreite definieren – von Kindern mit besonderen Bedürfnissen bis zu Hochbegabten. Dazu braucht es eine massive Erweiterung sonderpädagogischer Spezialeinrichtungen und weiter Sonderschulen.
  • Mehr Menschenbildung In einer Zeit, in der alles verglichen und bewertet werden muss, sollten Ethik, Werte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit in der Schule besonders berücksichtigt werden.

Paul Kimberger, Vorsitzender der Pflichtschullehrergewerkschaft


Was eine Wissenschafterin ins Bildungskapitel der nächsten Regierung schreiben würde:

  • Möglichst früh ansetzen Gute Ausgangsbasis für jedes Kind vor Schulbeginn schaffen durch Elementarpädagogik mit hoher Qualität, Benachteiligungen ausgleichen, Begabungen fördern. Zweites verpflichtendes Kindergartenjahr, Begleitung und Unterstützung vor allem für "Risikoeltern".
  • Pädagogen sind der Schlüssel KindergartenpädagogInnen auf Hochschulniveau ausbilden, verpflichtende Weiterbildung zu Individualisierung, Umgang mit Unterschiedlichkeit, Digitalisierung.
  • Schulen stärken und unterstützen Mindest- und Qualifikationsstandards festlegen (Finnlands Schulmission: "Kein Kind bleibt zurück"), mittleres Management etablieren als Zukunftsoption für Lehrpersonen, aber auch, um veränderte Interessen und Kompetenzen über die Lebensspanne zu berücksichtigen. Ausbau externer Unterstützungssysteme (Psychologie, Sozialarbeit etc.).
  • Bildungspolitik braucht Bildungsforschung Erkenntnisse aus anderen Ländern können nicht eins zu eins übertragen werden, daher braucht es länderspezifische Forschung. Politik soll kompetitive Fördertöpfe schaffen für empirische Bildungsforschung und kann auch Themen vorgeben.
  • Gesetze allein machen noch keine Schule Erfolgreiche Schulreformen müssen systematisch implementiert werden, indem alle Beteiligten, nicht nur motivierte Schulen, aktiv eingebunden werden.

Christiane Spiel, Professorin für Bildungspsychologie und Evaluation an der Uni Wien

(Lisa Nimmervoll, 23.12.2019)