Im Gastkommentar fordert die Präsidentin des Österreichischen Seniorenbundes Ingrid Korosec einen Paradigmenwechsel in der Arbeitswelt, alter(n)sgerechte Arbeitsplätze und flexiblere Pensionsprogramme.

Wir müssen weg vom Zerrbild der "unproduktiven Alten" und dafür sorgen, dass wir alle länger und gesund arbeiten können.
Foto: Regine Hendrich

Wolf Haas’ "Jetzt ist schon wieder etwas passiert" lässt sich, bezogen auf ältere Menschen, trefflich abwandeln. "Jetzt ist sie schon wieder gestiegen" – ihre Arbeitslosigkeit nämlich. Egal, wie sich die Wirtschaft entwickelt, ist man über 50, gestaltet sich die Suche nach einer neuen Stelle schwierig und langwierig. Diese verfestigte Arbeitslosigkeit hat sich innerhalb von zehn Jahren mehr als vervierfacht.

Die Schuldigen wurden und werden dafür schnell gefunden: Die "Alten" seien zu wenig am längeren Arbeiten interessiert, zu wenig gebildet, wenig flexibel und nähmen den Jungen die Arbeitsplätze weg. Diese sich hartnäckig haltenden Vorurteile und Mythen können aber leicht entkräftet werden. Erstens hindert ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am längeren Arbeiten weniger fehlende Eigeninitiative als mangelndes Interesse der Wirtschaft, Ältere im Arbeitsprozess zu halten, und ein Steuersystem ohne passende Anreize, wie das Institut Oxford Economics gezeigt hat.

Höhere Produktivität

Zweitens nehmen Ältere Jüngeren auch nicht die Arbeitsplätze weg. Im Gegenteil: Eine höhere Erwerbsquote senkt durch steigende Nachfrage auch die Jugendarbeitslosigkeit, wie in Kanada und Frankreich zu beobachten ist.

Drittens ist die Generation 50+ alles andere als wenig produktiv und wenig belastbar. In Deutschland und Schweden belegen Studien, dass ein höherer Anteil älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Produktivität insgesamt steigert – vorausgesetzt, dass Arbeitgeber auf ein alter(n)sgerechtes Umfeld achten und für Diversität sorgen.

Verlust von Wissen

Zumindest Branchen, in denen Erfahrung und Fachwissen wesentlich sind, erkennen langsam, dass das alte Bild von den "unproduktiven Alten" nicht nur falsch, sondern fatal ist. Denn sie können auf die Schläue der "alten Hasen" nicht verzichten. Drastischer formuliert: Mit der Pensionierung der Babyboomer geht ein Wissens- und Qualifikationsverlust einher, der für viele Unternehmen kaum verkraftbar sein wird. Studien zeigen, dass in Japan und Deutschland durch den zahlreichen Wegfall älterer Beschäftigter genau das bereits eintritt. Ein selbstverschuldeter Zustand, verzichten Unternehmen doch oft aus falschem Kostenkalkül auf die Fortbildung langgedienter Beschäftigter. Ältere Beschäftigte im Beruf zu halten wäre darüber hinaus auch eine Maßnahme, dem akuten Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Längeres Arbeiten

Ein Paradigmenwechsel in der Arbeitswelt ist unumgänglich. Wir müssen weg vom Zerrbild der "unproduktiven Alten" und dafür sorgen, dass wir alle länger und gesund arbeiten können. Es müssen die Rahmenbedingungen des Arbeitens an sich geändert werden. Teure Einzelmaßnahmen wie die Aktion 20.000, deren Erfolg umstritten ist und die in Summe wenig nachhaltige Verbesserungen für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bringen, gehen langfristig ins Leere.

Das faktische Pensionsalter muss zuerst an das gesetzliche angeglichen werden. Dafür müssen wir für diejenigen, die willens und fähig sind, die Möglichkeiten für längeres Arbeiten verbessern: durch flexiblere Pensionsprogramme, alter(n)sgerechte Arbeitsplätze und die Möglichkeit lebenslangen Lernens. Aus Mangel an Fachkräften setzt BMW seit 2017 erfolgreich auf Maßnahmen bei Gesundheitsmanagement, Schulungen und Anpassungen der Arbeitsplätze und -zeiten, um die Generation 50+ fit für ihren Job zu halten. Die staatliche Förderung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist ein Schub für Jobmarkt und Produktivität. Deutschland erwartet sich davon bis 2025 einen Anstieg des BIP um 61 Billionen Euro und 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze.

Ein Schatz, keine Last

Das Potenzial der Älteren entfaltet sich auch in der Selbstständigkeit. 2018 ging mehr als jede fünfte heimische Gründung bei Einzelunternehmen auf die Generation 50+ zurück. Dabei kommt es weit seltener zu Fehlschlägen: Erfahrung in Leitungsfunktionen, spezifisches Fachwissen, ein branchenspezifisches Kontaktnetzwerk und die realistische Einschätzung der Chancen erweisen sich als Vorteile.

Die ältere Generation ist ein Schatz, keine Last. Das gilt auch für Arbeitsleben und Unternehmertum. Das Wissen und die Erfahrungen der "alten Hasen" können nur zum Vorteil gereichen. Auch die EU empfiehlt, diesen Erfahrungsschatz auszuschöpfen, den Know-how-Transfer von Älteren zu jüngeren Unternehmerinnen und Unternehmern zu fördern und dies auch mit der Pension vereinbar zu machen. In Österreich verhallt dieser Ruf bisher ungehört. Zeit, die Lauscher aufzustellen. (Ingrid Korosec, 23.12.2019)