Düster sind die Aussichten der SPÖ, einer Partei mit einer persönlich anständigen und politisch hilflosen Vorsitzenden, die nur um sich selbst kreist.

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Neben dem Streit um den Klimawandel und dem Amtsenthebungsverfahren gegen US-Präsident Donald Trump gibt es in diesen Tagen ein drittes Hauptthema in der europäischen, vor allem in der deutschsprachigen und englischen Publizistik: das Ende der Sozialdemokratie. Die Schlussfolgerungen des "Spiegel" in einer großangelegten Reportage über die Stimmungslage der SPD erinnern fast wörtlich an die berühmte Diagnose des liberalen Denkers Ralf Dahrendorf, allerdings aus dem Jahr 1983 (!), über "das Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts": Krankt die Sozialdemokratie daran, dass sie so erfolgreich war? Stirbt nach der Erfüllung des historischen Auftrags die Partei, die alle Konturen verloren hat, von selbst ab? Da laut der letzten bundesweiten Umfrage derzeit nur 13,7 Prozent der Deutschen für die SPD stimmen würden, kann man die Feststellung des "Spiegel"-Reporters kaum bestreiten, dass es "ihr aufs Ganze gesehen gerade lebensgefährlich schlecht geht".

Optimistische Sozialisten an der Basis argumentierten oft gegen die Dahrendorf-These mit dem Hinweis auf Tony Blair (britischer Premierminister 1997–2007, dreimal Wahlsieger), Gerhard Schröder (deutscher Bundeskanzler (1998–2005), François Mitterrand (französischer Staatspräsident 1981–1995) und auch Franz Vranitzky, der zwischen 1986 und 1997 am Ballhausplatz amtierte und – was oft vergessen wird – nicht nach einer Wahlniederlage oder infolge einer Herausforderung durch einen parteiinternen Rivalen von der Politik Abschied nahm. Diese Beispiele, wie vor allem auch die 13 Jahre der Kreisky-Ära, zeigen, dass in der Politik vor allem die Persönlichkeiten entscheidend sind.

Symbole für den Selbstmordversuch

Es ist allerdings zu bezweifeln, dass die zwei Außenseiter an der Spitze der SPD, getragen bei der Wahl durch die Mitglieder von den Jüngeren und den Sehnsüchtigen nach einer "echt linken" Politik, je in das Amt des Parteivorsitzenden hineinwachsen werden. Ähnlich düster sind die Aussichten der SPÖ, einer Partei, die nur um sich selbst kreist und deren persönlich anständige und politisch hilflose Vorsitzende von den machthungrigen und zugleich unfähigen Genossen vor aller Welt abmontiert wird. Jene Ideologen, die für den ehrgeizigen deutschen Juso-Führer Kevin Kühnert schwärmen, und jene Provinztitanen, die den linksradikalen Kurs Jeremy Corbyns, der die größte Niederlage der Labour-Partei seit 1935 produzierte, als Grundlage für die "Neuerfindung" der SPÖ empfehlen, sind Symbole für den Selbstmordversuch der österreichischen Sozialdemokratie.

Gibt es überhaupt noch eine internationale solidarische, sich zu den gleichen Grundsätzen bekennende Sozialdemokratie?

Im Zeichen des Etikettenschwindels nennen sich die durch und durch korrupten, mit kriminellen Strukturen verbundenen Führungscliquen in Malta, Rumänien und der Slowakei auch Sozialdemokraten, während in Frankreich und in den Niederlanden die Parteien mit Stimmenanteilen zwischen sechs und sieben Prozent fast verschwunden sind. Im Norden schließen Sozialdemokraten sogar mit rechtsextremen, fremdenfeindlichen Gruppen Regierungsbündnisse, um an der Macht zu bleiben oder diese zu erringen.

Hat also Dahrendorf doch, wenn auch 36 Jahre später, völlig recht behalten? (Paul Lendvai, 25.12.2019)