Manche Gebrauchsanleitungen sorgen eher für Verzweiflung als für Aufklärung.

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Hand auf Herz: Haben Sie schon jemals eine Bedienungsanleitung von A bis Z durchgelesen? Viele schütteln bei dieser Frage nur den Kopf, manche lachen. Curt Schmidt versteht beides. Seit 1984 schreibt er Gebrauchsanleitungen. "Laut Studien lesen sie nur zehn Prozent der Nutzer", sagt der technische Redakteur, so die offizielle Berufsbezeichnung.

Ein Beispiel aus der "SZ" zum Handbuch Microsoft Word for Windows 2.0 erklärt womöglich die niedrige Quote: "Indem Sie die Druckformatvorlage des Dokuments mit der Druckformatvorlage der Druckformatvorlage verbinden, können Sie die Druckformatvorlage der Dokumentenvorlage aktualisieren. Wenn Sie die Druckformatvorlage eines Dokuments mit der Druckformatvorlage einer Dokumentenvorlage verbinden, ersetzen die Druckformatdefinitionen des Dokuments die gleichnamigen Druckformatdefinitionen der Dokumentenvorlage. Sämtliche Druckformate in der Druckformatvorlage des Dokuments, die nicht in der Druckformatvorlage enthalten sind, werden dieser hinzugefügt."

Sind Sie in der vierten oder sechsten Zeile ausgestiegen?

Typische Fehler

Gebrauchsanleitungen sollen möglichst einfach formuliert sein. "Im Deutschunterricht lernen wir, dass ein Aufsatz aus Einleitung, Höhepunkt und Ende besteht. So was gibt's in der Anleitung nicht." Die Terminologie sollte etwa stets einheitlich sein. Ein klassischer Fehler sei, ein Bedienelement abwechselnd On-Off-, Start- und Hauptschalter zu nennen. Dies verwirre und gelte auch für Satzstellungen. Dann heiße es eben hundertmal: "Drücken Sie Taste X." Und nicht "X-Button drücken" oder "Taste X drücken". "Manche sind zu kreativ", sagt Schmidt.

Ein zweiter typischer Fehler: zu ausufernde Beschreibungen. Dabei komme es aufs Wesentliche an: Wo sind die Bedienelemente? Wo ist die Nottaste? "Wir sind die Schnittstelle zwischen dem Konstrukteur und dem Kunden", beschreibt Schmidt seinen Job. Ersterer sei verliebt in seine Technik und möchte dem Kunden alles darüber erzählen. "Dem Kunden ist das aber wurscht", sagt Schmidt. Deshalb müsse er vermitteln. Die entscheidende Frage sei stets: "Braucht der Nutzer diese Info wirklich? Wenn nein, raus damit."

Rechtliche Vorgaben

Trotzdem werden "User-Manuals" immer länger. Das liege an den gewachsenen rechtlichen Anforderungen, so Schmidt. Zwar könne man noch nicht von US-amerikanischen Verhältnissen sprechen, wo sich Unternehmen vor jedem noch so absurden Haftungsrisiko absichern wollen und müssen. Ein weiteres "SZ"-Beispiel zur Digitalkamera Nikon Coolpix 885 lautet etwa: "Seien Sie vorsichtig, wenn Sie den Einstellungsschalter und den Zoom-Knopf benutzen, während Sie Ihr Auge am Sucher haben, damit Sie sich nicht versehentlich Ihren Finger ins Auge stecken."

"Aber Sicherheits- und Warnhinweise überborden mittlerweile auch unsere Anleitungen", sagt Schmidt. Ein Beispiel: Wer eine Röntgenanlage bedienen darf, schreibe eh der Gesetzgeber vor. Dies müsse daher nicht extra in der Bedienungsanleitung stehen.

Arbeitszeit und Ausbildung

Ob Investitionsgüter wie eine Röntgenanlage oder ein Sessellift oder klassische Konsumgüter im Haushalt wie Smartphones oder Waschmaschinen: Schmidt ist flexibel und schreibt über die verschiedensten Geräte. "Sonst wird man irgendwann betriebsblind", sagt er. Anleitungen für Konsumgüter haben durchschnittlich 80 bis 100 Seiten, jene für Investitionsgüter sechs bis sieben – Ordner. Die Arbeitszeit variiere ebenso und sei produktabhängig. Für ein Handy braucht Schmidt etwa einen Monat. "Aber für manche Seiten zehn Minuten, für andere zwei Stunden."

Fest steht: Ein technischer Redakteur müsse eine Liebe zum Schreiben mitbringen, sagt Schmidt. Er leitet am Wifi Wien, dem Wirtschaftsförderungsinstitut der Wirtschaftskammer Wien, den dazugehörigen Lehrgang. Hier beobachte er zwei Einstiegswege: Technikaffine HTL-Absolventen oder etwa Maschinenbaulehrlinge und auf der anderen Seite Quereinsteiger aus den Sprachwissenschaften. "Letztere können Sachen besser auf den Punkt bringen", sagt Schmidt.

Der lange Arbeitsprozess

Den typischen Auftrag schildert er wie folgt: Zunächst tanzt der Produkthersteller mit allen technischen Infos, Stücklisten und Prototypen an. Er erklärt auch mögliche Risiken, also bei welchen Tätigkeiten etwa Verletzungsgefahr herrsche. Dann analysiert Schmidt das Produkt (Was kann es überhaupt? Wie funktioniert es?), die Tätigkeit (Wo sind die Bedienelemente?) und die Zielgruppe (An wen richtet sich das Produkt?). Egal ob Schulabbrecher oder Uniabsolvent, alle müssen es verstehen. "Wir müssen das Mittelfeld finden", so Schmidt.

Dann startet der Schreibprozess. Dabei ginge es um banale Dinge: "Geben Sie etwa zuerst die Wäsche oder das Waschpulver in die Waschmaschine?" Dafür werden mitunter extra Tests durchgeführt. "Wenn von 15 Personen zehn zuerst die Wäsche reinstopfen, wissen wir Bescheid", sagt Schmidt.

Es folgen erste Musterseiten. Nachdem man sich mit dem Auftraggeber auf passende Sprache, Umfang und Layout geeinigt hat, schreibt man die endgültige Fassung, die dann ebenfalls getestet wird. "Wenn ein Proband dann im Abschlusstest dreimal Scheiße sagen muss, ist's eine schlechte Anleitung."

Aufbau und Auftragslage

Und was ist nun eine gute Anleitung? "Wenn der Kunde bei einem Problem schnell die Lösung findet", sagt Schmidt. "Eine gute Anleitung braucht gute Struktur." Dafür sei der Aufbau entscheidend, die üblichen Kapitel Einführung, Sicherheit, Bedienung und Wartung/Reinigung helfen dabei.

Schmidt schätzt, dass in Österreich rund 8.000 Personen in diesem Bereich tätig sind – und auch zukünftig sein werden. Denn auch wenn Gebrauchsanleitungen zunehmend digital und nicht mehr gedruckt erscheinen: Schreiben wird sie immer jemand müssen. Hier helfe auch die sogenannte geplante Obsoleszenz der technischen Geräte. Also Fälle, in denen Hersteller ihren Geräten ein Ablaufdatum verpassen. Denn Kunden bräuchten dann ein neues Spielzeug – und eine neue Gebrauchsanleitung. (Andreas Gstaltmeyr, 15.1.2020)