Die antisemitische Website "Judas Watch" knüpft an nationalsozialistische Praktiken an. Im Bild ein "Judenstern", der im Haus der Geschichte – Museum Niederösterreich ausgestellt ist.

Foto: Heribert Corn

Der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer, die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek und der Wiener Rechtsanwalt Gabriel Lansky haben etwas gemeinsam: Sie alle werden auf einer antisemitischen Hetzseite im Internet als "Traitors", also als Verräter, gelistet. Gemeint ist damit: als Verräter an der "weißen Rasse". Meist sind die Einträge mit Links zu ihren Social-Media-Kanälen versehen, immer mit Fotos. Gemeinsam haben die Genannten auch, dass sich neben ihren Namen auf der Website "Judas Watch" ein sechszackiger Stern befindet, der Davidstern. In Gelb, wie ihn auch die Nationalsozialisten nutzten, um die Juden zu markieren.

Weltverschwörungsideologie

In der Datenbank von "Judas Watch" finden sich weitere 1.792 Menschen: Politiker, Journalistinnen, Filmemacher und Wissenschafter. Als einzige Zeitung aus Österreich: DER STANDARD – und sein Herausgeber Oscar Bronner und einige Redakteure. "Insider" der Weltverschwörung, wie die Macher der Website sie nennen.

Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) beschreibt die Onlinedatenbank "Judas Watch" als "getragen von einer Paranoia, die eine internationale Verschwörung gegen Weiße" sieht und dafür vor allem Jüdinnen und Juden verantwortlich macht.

Möglicherweise ist aber bald Schluss mit den Aktivitäten von "Judas Watch". Wie dem STANDARD vorliegende Daten aus neonazistischen Foren zeigen, agiert der Betreiber von "Judas Watch" mit hoher Wahrscheinlichkeit von Wien aus. Und hierzulande ist es strafbar, zum Hass aufzurufen.

Im kürzlich geleakten Forum der amerikanischen Neonazi-Organisation Atomwaffen Division deklariert sich ein Informatiker aus Österreich als Betreiber von "Judas Watch". In dem besagten Forum tummelten sich gleich mehrere Neonazis, die in den vergangenen Jahren wegen rassistisch oder antisemitisch motivierter Gewalttaten und Morde verhaftet wurden. Geleakt wurden mit dem Forum auch die IP-Adresse des Wieners und dessen Mail-Adresse. Im Unterschied zu Nutzern, die auf Anonymisierungsdienste setzen, bleibt die IP-Adresse des "Judas Watch"-Gründers immer eine österreichische. Damit sollte es Strafverfolgungsbehörden möglich sein, den Betreiber auszuforschen.

"Wie alle unsere Feinde"

In einem Interview mit einem rechtsextremen Online-Podcast erklärt der "Judas Watch"-Betreiber, dass es sich bei den Gelisteten auf "Judas Watch" nicht nur um Juden und Jüdinnen handle. "Auch Oprah Winfrey hat einen Eintrag", ergänzt ihn der Moderator, "wie alle unsere Feinde." Dem stimmt der Wiener lachend zu.

Dass es sich bei "Judas Watch" um ein rechtsextremes Projekt handelt, macht sein Betreiber am Ende des Gesprächs klar, wenn er die Zuhörer direkt anspricht: "Sei ein Vorbild. Sei ein Führer. Sei der Faschist, der du sein willst!"

Für die zahlreichen Österreicher, die auf "Judas Watch" gelistet sind, ist die Nennung auf der Seite eine Belastung. Auch als "Verräterin" gelistet ist beispielsweise die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger. In einem Ö1-Interview habe sie sich für die Integration von Geflüchteten ausgesprochen. Zum STANDARD sagt Kohlenberger, sie fühle sich zwar nicht unmittelbar bedroht, sehe aber einen Zusammenhang mit einem Online-Identitätsdiebstahl, der stattfand, nachdem sie erstmals auf "Judas Watch" genannt worden ist. Zudem sei es "nicht schön, auf diese Weise im Internet aufzutauchen", sagt die Wissenschafterin. Auch Bini Guttman, Präsident der Europäischen Union Jüdischer Studierender, ist auf "Judas Watch" – mit Davidstern. Als er davon erfuhr, war er "schockiert". Man mache sich Sorgen. "Ein angenehmes Gefühl ist das nicht, auf einer Neonazi-Seite zu stehen", erzählt der Wiener.

Aufstacheln zum Hass

2018 hat die Liste Jetzt eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft Wien gegen die anonymen Betreiber der Website eingebracht. Dem Innenministerium zufolge stelle eine Listung auf der Website aber "keine explizite Gefährdung für die jeweilig betroffenen Personen" dar. Die Website werde lediglich vom Verfassungsschutz beobachtet.

"Solche Websites sind durchaus problematisch und gehen jedenfalls an die Grenze zur Strafbarkeit", sagt Ingeborg Zerbes vom Institut für Strafrecht und Kriminologie der Uni Wien. Ob die Inhalte von "Judas Watch" tatsächlich als "Verhetzung" verfolgbar sind, ist allerdings unsicher. Zum einen rufen sie nicht zur Gewalt auf, zum anderen ist ihnen wohl nicht die Absicht nachzuweisen, die Menschenwürde zu verletzen. "Am ehesten lassen sie sich als ein Aufstacheln zu Hass beurteilen", sagt Strafrechtsexpertin Zerbes.

Bernhard Weidinger vom DÖW will die Website nicht unterschätzt wissen, auch ohne explizite Gewaltaufrufe. "Die Darstellung des Wirkens der gelisteten Personen als verräterisch und zerstörerisch ist grundsätzlich geeignet, sie zu Zielscheiben für gewaltbereite Rassisten und Neonazis zu machen." Der im Juni 2019 in Kassel von einem Rechtsextremisten ermordete deutsche CDU-Politiker Walter Lübcke stand auch auf Listen von Neonazis. (Christof Mackinger, 26.12.2019)