Im Leserbrief verbittet sich Aleksandra Dimova, Fachärztin für Psychiatrie, die Angstmache in Bezug auf Vanillekipferln und Co. Anmerkungen zu "Kalorien loswerden: Fünf Minuten schwimmen für ein Vanillekipferl".

Vanillekipferln sollte man zu Weihnachten angstfrei verzehren.
Foto: Matthias Cremer

Es sind Vanillenkipferln, Zimtstern, Linzer Auge, Lebkuchen abgebildet. Alle in perfekter Form, das Auge isst mit. Unter jedem Bild steht in Rot, der Farbe des Alarms, wie viele Kalorien ein einziger dieser Kekse hat. Mein Lieblingskeks erweist sich als kalorieärmster. Mit jedem einzelnen in vollem Genuss verspeisten Stück wird mein Körper um 39 Kalorien "reicher". Darunter, in Grün, der Farbe der Gesundheit: was ich machen kann, um die Kalorien der Vanillekipferln wieder wegzukriegen. Für die zwei schon gegessenen muss ich 10:30 Minuten schwimmen. Mit dem dritten werden es rund 16 Minuten. Arm sind die Lebkuchenliebhaber. Um die Kalorien von zwei Lebkuchenstücken zu vernichten, müsste ich fast halbe Stunde Rad fahren.

Wie immer, um einen Text überzeugender zu machen, muss dieser mit einigen wissenschaftlichen Fakten aufgepeppt sein. Ergebnisse aus einer aktuellen Studie, sozusagen "keine alten Semmeln", belegen, dass viele Menschen die Kalorienzahl ihres Essens unterschätzen. Kalorienzählen ist ein Hauptsymptom von Essstörungen. Sollte dies eine Anleitung für eine Essstörung sein? Das mit der Kalorienzahl und der erforderlichen körperlichen Tätigkeit sollte vielleicht ein bisschen "abschreckend" wirken. Das schadet doch nicht, meinen wenigstens die Autorinnen. Denn Bewusstseinsbildung sollte tunlichst nicht negativ klingen: besser mit dem Verpackungshinweis "eine Pizza und vier Stunden gehen". Wenn ich weiß, dass ich danach vier Stunden gehen muss, egal ob es regnet oder schneit, ist es vorbei mit dem Pizzagenuss. Auf Pizza kann ich immer wieder verzichten, auf Genuss nie.

Unnötiger Stress

Allen, die versuchen, durch abschreckende Fakten das Bewusstseinsniveau in Richtung gesundes Essen zu steigern, muss etwas klar sein: Alles, was abschreckend wirkt, versetzt den Menschen in Angst. Da Angst immer ein Zeichen ist, dass sich der Körper im Stressmodus befindet, muss klar sein, dass mit solchen, wenn auch gut gemeinten, aber einseitigen Informationen jede/r einzelne Leser/in im selben Moment aus dem Behaglichkeitsgefühl in Richtung Stress katapultiert wird.

Im Stress ist der Sympathikus angeregt. Dabei wird er alle physiologischen Prozesse antreiben. Wie immer, wenn etwas schneller als optimal läuft, kann es auch schieflaufen. Auch im Distress beginnen die Vorteile der physiologischen lebenserhaltenden Prozesse zu verschwinden. Das Nahrungsmittel wird nicht mehr optimal verarbeitet. Vanillekipferln, Zimtsterne, Lebkuchen können noch so aus Bioprodukten hergestellt werden, durch die verrückt gewordenen physiologischen Prozesse werden sie letztendlich so verarbeitet, als ob sie aus schlechtesten Zutaten gemacht wären.

Wie könnt ihr es wagen

Durch komplexe physiologische Veränderungen wird bei Angst der Blutzucker in geringerem Maße von den Zellen aufgenommen und verbleibt somit im Blut, und zwar mehr, als notwendig ist. Das Gleiche passiert mit den Fetten. Die Werte steigen somit, nur weil jemand sie in Angst verpackt. Mein Kipferl wird dadurch schädlicher gemacht, als es ist. How dare you to do this to me!

Wir sollten Weihnachten ohne Angst genießen, mit all dem, was dazugehört. Auch mit Vanillekipferln, Lebkuchen und Zimtsternen.

Aleksandra Dimova ist Fachärztin für Psychiatrie in Graz. (27.12.2019)