Neues Jahr, neues Glück, neue Politik? Ja, bitte! Schön wär’s. Notwendig auch. Das neue Jahr wird den Österreicherinnen und Österreichern früher oder später eine neue Regierung bringen. Und es wäre dem Land zu wünschen, dass die nächste politische Paarung, die mit größter Wahrscheinlichkeit türkis-grün sein wird, abseits von den klassischen Pflichtthemen in einem Regierungsprogramm auch ein paar Vorhaben hineinschreiben würde, die auf subkutane, unterschwellige, diffuse oder (noch) lautlose Gesellschaftsdynamiken reagieren würden. Projekte, die damit zu tun haben, wie wir in Zukunft miteinander leben wollen. Denn das müssen wir, zwangsläufig.

Politik, vor allem Regierungspolitik, hätte da eine besondere Verantwortung. Sie nimmt sie nur zu selten wahr, weil die jeweiligen Parteien lieber auf politische Kommunikation mit eng abgegrenzten Zielgruppen setzen, die möglichst hohe Gewinnmargen bei der Wahl verspricht. So läuft das politische Tagesgeschäft meistens. Die Frage ist: Ginge es nicht auch anders?

Ab und zu das Ganze ins Auge fassen

Ja, Regieren ist zwar weder reiner Selbstzweck noch selbstlos-altruistisches Tun. Und das ist auch okay so. Parteien wollen und sollen (wieder-)gewählt werden. Sie sollten aber auch ab und zu über den Tellerrand der eigenen Parteiinteressen hinausschauen. Das Ganze ins Auge fassen. ÖVP und Grüne, die das Mantra von den quasi größtmöglichen Unterschieden, die es zu überwinden gelte, in Dauerschleife wiederholt haben, hätten da als künftige Koalitionspartner gute Voraussetzungen, um das in Gang zu bringen, was es bräuchte: das aktive, demokratische Gespräch über wachsende Unterschiede hinweg. Das wäre ein politisches Investment, dessen Gewinn vergesellschaftet würde und von dem alle profitieren.

Es gibt mehrere Spannungsfelder, die politisch moderiert und gestaltet werden müssten. Zu den tiefgreifendsten Erfahrungen, die immer noch viel zu wenig mitbedacht werden, gehören die unterschiedlichen Folgen, die die Digitalisierung des Alltags für Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen bedeutet. Was für die einen, die "Anywheres", buchstäblich neue Welten eröffnet und neue, ortlose Freiheiten bedeutet, heißt für die anderen, die "Somewheres", die an einen realen Ort gebunden sind, weil sie vielleicht alt, nicht mobil oder einfach nur dort "daheim" sind, oft reale Freiheitsverluste. Weil sie zum Beispiel Bankgeschäfte oder Alltagseinkäufe nicht virtuell erledigen können oder wollen, sondern auf "echte" Begegnung hoffen oder angewiesen sind.

Vernachlässigte geografische Ränder

Das Spannungsverhältnis zwischen politischen und wirtschaftlichen Zentren und Peripherien ist viel mehr als die Frage nach klimaschonenden Bahnverbindungen. Diese (oft unbewusste) Vernachlässigung der geografischen Ränder ist politisch gefährlich, weil sie reale Lebensentwürfe entwertet und latente Bedrohungsgefühle ignoriert.

Der gesellschaftliche "Diskurs" findet dann oft nur noch in den berühmten digitalen Filterblasen statt, wo Gleichmeinende mit Gleichmeinenden ihre Sicht der Welt, die nur ein Teilstück ist, multiplizieren und nicht mehr sehen, was wirklich los ist.

Alle Gesellschaften, zumal solche in gravierenden, technologisch-sozialen Transformationsphasen, müssen sich immer wieder neu befragen: Wer sind wir? Wie wollen wir sein? Wie können wir alle möglichst gut miteinander leben? Es wäre eine wichtige politische Aufgabe, dieses demokratische Gespräch wieder neu anzustoßen. (Lisa Nimmervoll, 27.12.2019)