Wien – Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) geht nicht davon aus, dass das Milliardenprojekt Lobautunnel wackelt, sollten die Grünen in einer möglichen Bundesregierung mit der ÖVP Druck machen. "Es wäre sicher ein starker Konfliktpunkt mit einer Regierung, die so eine Entscheidung trifft", sagt Ludwig im Interview mit dem STANDARD.

Das hätte auch Auswirkungen auf die rot-grüne Koalition in Wien. Ludwig geht aber davon aus, dass in puncto Lobautunnel "alle Entscheidungen getroffen" wurden.

Vor einem Monat wurden 27 Mitarbeiter der SPÖ-Parteizentrale beim AMS zur Kündigung angemeldet. Laut Ludwig konnte die Wiener SPÖ zehn Mitarbeitern Angebote für eine Weiterbeschäftigung unterbreiten. "Ob diese angenommen werden, obliegt den Arbeitnehmern." Ludwig sagte SPÖ-Bundeschefin Pamela Rendi-Wagner bis zumindest 2021 Unterstützung zu.

STANDARD: In der SPÖ-Zentrale wird eine vertrauliche Sitzung aufgenommen, SPÖler spielen den Mitschnitt Medien zu. Wie groß ist die Lust auf Selbstzerstörung?

Ludwig: Natürlich ist es unangenehm, wenn aus einer vertraulichen Sitzung Informationen weitergegeben werden. Ich hoffe, dass es damit abgeschlossen ist.

STANDARD: Ein "Putschstand" von SPÖ-internen Kritikern, die den Rücktritt von Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch fordern, wurde auf dem letzten Drücker abgesagt. Wieso ist der SPÖ der Zusammenhalt verlorengegangen, das Misstrauen so hoch?

Ludwig: Warum glauben Sie, dass das aus der SPÖ kommt?

STANDARD: Mitglieder mehrerer SPÖ-Sektionen sollen laut Eigenaussagen daran beteiligt sein. Oder halten Sie das für Dirty Campaigning von außen?

Ludwig: Im konkreten Fall gehe ich davon aus, dass das nicht aus der SPÖ gekommen ist.

STANDARD: Auch eine Sektion Ihres Heimatbezirks Floridsdorf ist sehr SPÖ-kritisch aufgetreten.

Ludwig: Das dürfte offenbar von einem Personenkreis, der auf drei beschränkt war, ausgegangen sein. Die anderen Mitglieder haben nichts davon gewusst.

Der Christbaum in Michael Ludwigs Büro im Rathaus ist mächtig. Die roten Kugeln überwiegen. Von Blau, Schwarz, Pink oder auch Grün ist nichts zu sehen. Besinnlich war die letzte Weihnachtspause vor der nächsten Wien-Wahl 2020 für den Bürgermeister aber nur kurz.
Andy Urban

STANDARD: Haben Sie das Gefühl, dass alle an einem Strang ziehen?

Ludwig: Das Problem ist, dass es ein schlechtes Wahlergebnis gegeben hat. Danach ist die Stimmung in einer Partei immer schlecht. Mit den Beschlüssen, die wir getroffen haben, ist es möglich, sich wieder auf den politischen Wettbewerb und der inhaltlichen Auseinandersetzung zu konzentrieren und wegzukommen von innerparteilichen Diskussionen.

STANDARD: Im November haben Sie gesagt, Sie halten "derzeit" an SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner fest. Ist das noch gültig?

Ludwig: Ja. Aber jeder von uns ist auf eine beschränkte Zeit gewählt und muss sich Wahlen stellen.

STANDARD: Rendi-Wagner ist als SPÖ-Chefin für zwei Jahre gewählt. Ihr Vertrauen gilt definitiv bis 2021?

Ludwig: Ja.

STANDARD: Die Bundes-SPÖ hat vor einem Monat 27 Mitarbeiter beim AMS zur Kündigung angekündigt. Wie viele müssen gehen?

Ludwig: Das muss der Bundesgeschäftsführer sagen. Aber als SPÖ Wien war es mir wichtig, dass wir für zehn Mitarbeiter Angebote machen konnten. Ob diese angenommen werden, obliegt den Arbeitnehmern.

STANDARD: Wie wollen Sie die SPÖ-Negativspirale just bei der Wien-Wahl 2020 stoppen?

Ludwig: Ich bin überzeugt, dass 2020 ein gutes Jahr für die SPÖ wird. Das gilt für die Burgenland-Wahl, aber auch für die Wien-Wahl. Die Sozialdemokratie wird immer dann kämpferisch, wenn sie stark unter Druck kommt.

STANDARD: Mit Verlaub: Warum glauben Sie, dass es ein gutes Jahr für die SPÖ wird?

Ludwig: Man braucht sich nur anschauen, wie gut Wien funktioniert. In Wien gibt es Dinge, die gibt es in keiner anderen Metropole, und zwar deshalb, weil die Sozialdemokratie hier regiert. Ein Beispiel: Ich rede davon, dass zwei Drittel der Menschen in einer geförderten Wohnung leben. Und wir haben eine Bauordnung beschlossen, wo sichergestellt wird, dass bei jeder zukünftigen Umwidmung zwei Drittel der Wohnungen gefördert sein müssen.

Bürgermeister Michael Ludwig glaubt, dass die Einladung zu einem SPÖ-kritischen "Putschstand" Dirty Campaigning von außen ist: "Ich gehe davon aus, dass das nicht aus der SPÖ gekommen ist."
Andy Urban

STANDARD: Wie schauen die Zukunftskonzepte in der Bildung aus?

Ludwig: Auch hier kann Wien als Vorbild dienen. Das beginnt schon im Kindergarten. Nirgendwo haben Kindergärten weniger Schließtage und längere Öffnungszeiten als in Wien.

STANDARD: Aber gerade im Kindergarten hat Wien ein Betreuungsproblem.

Ludwig: Es könnte immer besser sein, natürlich, auch im Schulbereich. Verantwortlich dafür ist, dass Wien durch Zuwanderung so schnell wächst.

STANDARD: Das Bevölkerungswachstum ist nicht das einzige Problem. Die Pädagoginnen laufen scharenweise davon, etwa nach Niederösterreich. Was werden Sie dagegen tun?

Ludwig: Das ist eine andere Geschichte. Das erleben wir auch in anderen Berufen – etwa ganz stark bei Polizisten. Wir haben immer ein paar Hundert in Ausbildung, viele aus den Bundesländern – und danach gehen sie wieder zurück in ihre Heimat. Wir in Wien bilden laufend aus und fangen bei der Personalaufstockung immer wieder bei null an. Gerade jetzt bilden wir zusätzlich 250 Ärzte aus, die dann vom Krankenanstaltenverbund übernommen werden, um die Gesundheitsversorgung noch weiter zu verbessern.

STANDARD: Ihr Vorgänger Michael Häupl ging in seinen letzten Wien-Wahlkampf 2015 mit dem Ziel, die Absolute zu erreichen. Geworden sind es knapp 40 Prozent. Was ist Ihr Wahlziel?

Ludwig: Mein Wahlziel ist, in einer schwierigen Situation das Wahlergebnis zu halten. Aber jedes Plus wird von mir angestrebt.

STANDARD: Fürchten Sie einen Wähler-Abfluss in Richtung ÖVP und Grüne?

Ludwig: Dass die ÖVP gewinnen wird, davon gehe ich aus. Eine Neun-Prozent-Partei hat Luft nach oben. Aber ich fürchte mich vor gar nichts, schon gar nicht vor der ÖVP in Wien.

Ludwig fürchtet sich vor keinen Wähler-Abwanderungen von der SPÖ zur ÖVP bei der Wien-Wahl 2020: "Ich fürchte mich vor gar nichts, schon gar nicht vor der ÖVP in Wien."
Andy Urban

STANDARD: Rechnen Sie mit einem Antritt von Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache?

Ludwig: Ja, Strache tritt an. Die drei Abgeordneten, die die DAÖ gegründet haben, haben das in der Überzeugung gemacht, dass sie Strache als Zugpferd bei der Wahl haben. Ob Strache einzieht, ist abhängig von weiteren Veröffentlichungen und Gerichtsurteilen.

STANDARD: Werden Sie im Spätfrühling wählen lassen oder erst nach Ablauf der Legislaturperiode im Frühherbst?

Ludwig: Ich fühle mich den Wählern verpflichtet. Der Spätfrühling ist aus heutiger Sicht kein Thema.

STANDARD: Was wird Ihr Angebot an jene Wähler sein, die zuletzt FPÖ gewählt haben?

Ludwig: Wir haben die niedrigste Kriminalitätsrate und die höchste Aufklärungsrate. Das ist schon auch ein Angebot für Menschen, denen Sicherheit wichtig ist.

STANDARD: Vizebürgermeisterin Birgit Hebein verhandelt Türkis-Grün in führender Position mit. Ist eine türkis-grüne Regierung ein Problem für die Wiener Koalition?

Ludwig: Wenn ich den Eindruck habe, dass die Regierung mit Wien schlecht umgeht wie zuletzt, werde ich mich zu Wort melden – egal, wer dort sitzt. Vor wenigen Tagen wurde im Bundesrat ein Antrag von ÖVP, FPÖ und Grünen beschlossen, Bundeseinrichtungen verstärkt von Wien weg in die Bundesländer anzusiedeln. Das ist mir nicht sympathisch.

STANDARD: Rechnen Sie mit einem Abgang Hebeins zum Bund?

Ludwig: Nein. Das hat sie mir auch glaubhaft versichert.

STANDARD: Wird es beim Parkpickerl Änderungen vor der Wien-Wahl geben?

Ludwig: Ich habe Stadträtin Hebein ersucht, eine Regelung zu treffen. Es braucht aber ein Einvernehmen mit den Bezirken.

STANDARD: Ist ein wienweites Parkpickerl das Ziel?

Ludwig: Einige Bezirke wollen das Pickerl nicht für die gesamte Fläche. Hier muss Hebein mit den Bezirksvorstehern Einvernehmen erzielen. Das Thema war ursprünglich nicht vor der Wien-Wahl geplant. Aber es wäre sicher gut, wenn man erste Schritte in Richtung einer Lösung setzt.

Ludwig rechnet damit, dass die Höhenvorgabe der Unesco beim Heumarkt-Projekt von 43 Metern nicht in Stein gemeißelt ist: "Die Unesco wird sich bewegen", meint er. Gibt es keine Zustimmung der Unesco für ein höheres Hotel, "kommt der Turm. Darauf hat der Bauwerber einen Rechtsanspruch", so Ludwig.
Andy Urban

STANDARD: Der umstrittene Turm am Heumarkt soll nicht gebaut werden, sofern die Unesco dem Bau eines höheren Hotels zustimmt. Was passiert, wenn dieser Deal von der Unesco abgelehnt wird?

Ludwig: Mir ist es wichtig, eine Lösung zu finden, um das Weltkulturerbe zu erhalten. Wir sind dem Ziel sehr nahe gekommen.

STANDARD: Das heißt, dass sich die Unesco bei ihrer Höhenbeschränkung von 43 Metern bewegen müsste. Denn auch das Hotel wird die Marke locker knacken.

Ludwig: Die Unesco wird sich bewegen. Ich habe allen Kritikern immer deutlich gemacht: Wenn Plan B nicht kommt, kommt der Turm. Darauf hat der Bauwerber einen Rechtsanspruch.

STANDARD: Eines der größten Streitthemen zwischen SPÖ und Grünen bleibt der Lobautunnel. Könnte das Projekt wackeln, wenn die Grünen in einer möglichen Bundesregierung Druck machen?

Ludwig: Ich gehe nicht davon aus. Der Lobautunnel bedeutet eine echte Entlastung für Floridsdorf und die Donaustadt. Es sind alle Entscheidungen getroffen. Eine Bundesregierung kann ein Aus nicht verantworten.

STANDARD: Wäre das ein Grund, die rot-grüne Koalition in Wien vorzeitig zu beenden?

Ludwig: Es wäre sicher ein starker Konfliktpunkt mit einer Regierung, die so eine Entscheidung trifft. Aber ich kann mir schwer vorstellen, dass die Grünen und mehr noch die ÖVP das mittragen. (Interview: David Krutzler, Petra Stuiber, 27.12.2019)