Die Weltnaturschutzunion, auf Englisch International Union for Conservation of Nature oder kurz IUCN, kategorisiert unter anderem den Status der heute bekannten Tier- und Pflanzenwelt. Nach aktuellem Stand der IUCN stehen zum Jahresende 2019 über 105.500 Spezies auf der Rote Liste gefährdeter Arten. Mehr als 28.000 Arten davon gelten als vom Aussterben bedroht. Beim Schutz dieses schwindenden Naturreichtums gibt es zwar durchaus auch Erfolge zu verbuchen: Ein vor wenigen Tagen veröffentlichter Bericht stellte zehn Arten vor, die auf der Roten Liste nach unten rückten. Insgesamt jedoch ist der Ausblick düsterer denn je – ganz besonders, wenn man sich vor Augen hält, mit welcher Geschwindigkeit die Arten mittlerweile verloren gehen.

"Unscheinbare" Verluste

Gerne werden Tiger, Berggorillas, Große Pandabären oder ähnlich populäre Tiere als Ikonen aussterbender Spezies angeführt, obwohl das der Realität wohl nicht ganz gerecht wird. Zum einen haben sich die Bestände dieser drei Arten zuletzt (wenn auch auf niedrigem Niveau) zumindest stabilisiert. Zum anderen eignen sich vergleichsweise unscheinbare Spezies deutlich besser zur Illustration, wie Arten in der Vergangenheit und Gegenwart normalerweise tatsächlich vom Erdboden verschwinden.

Ein wirklich gutes Maskottchen für den Artenschutz wäre daher beispielsweise Plectostoma sciaphilum. Die höchstens drei Millimeter große Schnecke mit ihrem schönen, komplexen Gehäuse existierte bis vor wenigen Jahren nur an einem einzigen Ort, einem Kalksteinhügel nahe der Ostküste der malaiischen Halbinsel. Dann jedoch kam ein Zementunternehmen und zerkleinerte den Hügel systematisch zur Gewinnung des Kalkgesteins – was das Schicksal der kleinen Schnecke letztlich besiegelte: Heute gibt es diese Art nicht mehr.

Nur wenige sind bekannt

Aufgrund ähnlicher Umstände, und nicht zuletzt auch durch den Klimawandel, gehen nach wissenschaftlichen Berechnungen Tier- und Pflanzenarten tausend- bis zehntausendmal schneller verloren als das natürlicherweise geschehen sollte. Viele Fachleute gehen deshalb davon aus, dass derzeit ein tatsächliches Massenaussterben stattfindet. Wie viele es davon innerhalb der vergangenen 500 Millionen Jahre gegeben hat, kann man an zwei Händen abzählen.

Forscher vermuten, dass die Erde von zehn bis 15 Millionen Arten bevölkert wird, rund 1,2 Millionen davon wurden bisher wissenschaftlich beschrieben. Vermutlich Dutzende Spezies sterben Tag für Tag aus, der überwiegende Großteil davon also völlig unbemerkt. Die wenigen, von denen wir tatsächlich Kenntnis erlangt haben, machen seit 1750 rund 570 Arten aus. Im vergangenen Jahrzehnt waren es laut IUCN 160 Arten, die für ausgestorben erklärt worden waren, in Wahrheit aber existieren viele davon bereits bedeutend länger nicht mehr. Die gesamte IUCN-Liste der ausgestorbenen Arten gibt es hier.

Wir haben eine kleine Auswahl der in den 2010er-Jahren für verloren erklärten Spezies getroffen:

Delissea subcordata und Delissea undulata

Die beiden blühenden Sträucher der Gattung Delissea lebten einst in den Wäldern des hawaiianischen Tieflands. Vermutlich starben sie aufgrund der Konkurrenz durch invasive Pflanzen und durch auf die Inseln eingeschleppte Tiere aus. Bei einer Untersuchung im Jahr 2008 wurden noch 40 Exemplare von D. subcordata entdeckt. D. undulata wurde schon seit vielen Jahrzehnten nicht mehr gesichtet. 2015 wurden beide durch die IUCN für ausgestorben erklärt.

Foto: University of Hawai‘i/Carr

Pipistrellus murrayi (Weihnachtsinsel-Zwergfledermaus)

Auf der australischen Weihnachtsinsel existierte nur eine einzige Fledermausart: Pipistrellus murrayi. Umfangreiche Audio-Messungen zeigten bereits ab den 1990er Jahren, dass die Bestände dieser Spezies rasant zurückgingen. 2008 lebte die Fledermaus nur mehr in einem sehr kleinen Areal, 2009 waren schließlich nur noch vier Exemplare übrig. Die australische Regierung reagierte viel zu spät auf diese Entwicklung, wie Naturschützer kritisierten.

Als dann doch noch ein entsprechendes Zuchtprogramm genehmigt wurde, entdeckten Forscher in freier Wildbahn nur mehr ein einziges Tier, das am 27. August 2009 das letzte Mal beobachtet wurde. Seit 2017 gilt Pipistrellus murrayi offiziell als ausgestorben. Die Ursache für das Aussterben dieser Fledermaus ist immer noch ein Rätsel, da eigentlich 75 Prozent der Wälder der Insel noch einigermaßen intakt sind. Möglicherweise sind invasive Arten wie verwilderte Katzen, Schlangen, Ratten und Ameisen verantwortlich.

Foto: Lindy Lumsden

Emoia nativitatis (Weihnachtsinsel-Waldskink)

Und noch ein Tier hat die Weihnachtsinsel im vergangenen Jahrzehnt verloren: Diese Eidechse war in den 1970er Jahren auf dem Eiland noch weit verbreitet, wo sie an sonnenbeschienen Stellen, unter Blättern oder auf Sträuchern zu finden war. Forscher bemerkten 1998 Anzeichen für einen Schwund der Bestände, begriffen aber erst 2005 das wahre Ausmaß des Rückgangs: Nur fünf Jahre später wurde in freier Wildbahn kein Exemplar des Weihnachtsinsel-Waldskink mehr gesehen.

Die Ursachen für das Aussterben des Skinks sind vielschichtig. Unter anderem wird die Einwanderung der Gelbe Spinnerameise dafür verantwortlich gemacht. Verlust an Lebensraum durch Bergbau spielte ebenso eine Rolle. Der letzte Weihnachtsinsel-Waldskink, ein Weibchen namens Gump, starb 2014 in Gefangenschaft. Seit 2017 gilt die Art offiziell als ausgestorben.

Melomys rubicola (Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte)

Die Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte gilt nach einem Bericht vom Februar 2019 als erste Säugetierart, die aufgrund der direkten Auswirkungen des Klimawandels ausgestorben ist. Dieses rund 100 Gramm schwere Nagetier kam nur auf einer kleinen Koralleninsel im australischen Great Barrier Reef vor. Seit 1983 mehrten sich Hinweise, dass die Bestände der Mosaikschwanzratte allmählich zurückgingen. Als immer mehr Sturmfluten die Insel regelmäßig überschwemmten und die einheimische Vegetation vernichteten, war auch das Schicksal der Ratte besiegelt. Laut Wissenschaftern wurde Melomys rubicola seit 2009 nicht mehr gesehen, 2016 wurde das Tier offizielle als ausgestorben gelistet.

Foto: ian bell/ehp, queensland government

Labidura herculeana (St.-Helena-Riesenohrwurm)

Der Gemeine Ohrwurm erreicht in heimischen Gärten allenfalls eine Länge von 16 Millimeter. Auf der Insel St. Helena im Zentralatlantik lebte dagegen ein Vertreter dieser Insektenordnung, der annähernd sechsmal so lang werden konnte: Die größten Exemplare des St.-Helena-Riesenohrwurms waren inklusive der Zangen am Ende seines Hinterleibes stattliche 8,5 Zentimeter lang. Zuletzt wurde dieser Gigant 1967 lebend beobachtet.

Schuld am Aussterben dieses Wesens ist einmal mehr der Mensch. Durch Entfernen jener Felsen, die ihnen als Unterschlupf dienten, wurden ihre Lebensräume zerstört. Hinzu kamen eingeschleppte Spinnen und Tausendfüßer, die den Riesenohrwürmern schließlich den Garaus machten. Obwohl man noch lange Zeit hoffte, das eine oder andere Exemplar zu sichten, hat die IUCN die Spezies 2014 für ausgestorben erklärt.

Foto: Manchester Museum

Leporillus apicalis (Kleine Häschenratte)

Diese Nagetierart baute einst riesige Nester in ihrem Lebensraum in Südaustralien, die häufig von frühen ausländischen Besuchern in ihren Erzählungen erwähnt wurden. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Kleinen Häschenratten einigermaßen selten, hauptsächlich, weil sie häufig invasiven Wildkatzen zum Opfer fielen. Nach Berichten der australischen Ureinwohner begann der große Rückgang der Ratten in den 1930er und 40er Jahren.

Nicht viel später wurde das Tier als ausgestorben angesehen. 2008 allerdings hat man einen Kadaver entdeckt, bei dem es sich um Überreste einer Kleinen Häschenratte gehandelt haben soll. Deshalb wurde der Nager wieder auf "vom Aussterben bedroht" herabgestuft. Biologen revidierten diesen Status jedoch mittlerweile wieder nach eingehender Untersuchung. Seit 2016 gilt sie erneut als ausgestorben.

Illustr.: John Gould

Melanoplus spretus (Rocky-Mountain-Heuschrecke)

Warum eine der einst häufigsten Heuschrecken Nordamerikas ausgestorben ist, bleibt teilweise immer noch ein Rätsel. Einem Bericht aus dem Jahr 1875 zufolge erreichten die größten Schwärme der Rocky-Mountain-Heuschrecke eine Länge von mehr als 2.000 Kilometer und eine Breite von weit über 150 Kilometer. Ein solcher Schwarm bedeckte damit etwa die Fläche von Kalifornien und wog rund 25 Millionen Tonnen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts allerdings begann diese Spezies zu verschwinden.

1902 wurde das Tier offiziell das letzte Mal gesichtet. Laut einigen Theorien könnte die zunehmende Landwirtschaft der zahlreicher werdenden Siedler im Westen den natürlichen Lebenszyklus der Rocky-Mountain-Heuschrecke gestört haben. Naturforscher vermuteten bis vor kurzem, dass das Insekt noch in vereinzelten Exemplaren existieren könnte. Beweise dafür wurden allerdings keine gefunden. Die IUCN erklärte die Heuschrecke schließlich im Jahr 2014 für ausgestorben.

Foto: Archiv

Zosterops conspicillatus

Der kleine gelbe Vogel mit hellen Augenringen lebte vermutlich bis vor wenigen Jahrzehnten in großer Zahl auf den Nördlichen Marianeninseln in verschiedenen Lebensräumen; sogar in städtischen Gebieten fühlte er sich wohl. Eingeschleppte Braune Nachtbaumnattern (Boiga irregularis) dürften sie jedoch mittlerweile alle gefressen haben. Das letzte Exemplar soll 1983 beobachtet worden sein. Die IUCN erklärte den Vogel 2016 für ausgestorben.

Foto: Peter

Dusicyon avus

Dieser einst weit verbreitete Wildhund bewohnte die grasbewachsenen Ebenen Patagoniens in Südamerika. Archäologen fanden Überreste des etwa Schäferhund-großen Tieres in Gräbern aus dem zweiten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung. Die jüngsten Funde sind rund 350 Jahre alt, wann jedoch Dusicyon avus tatsächlich ausgestorben ist, konnte bisher nicht eindeutig geklärt werden.

Immerhin fanden sich in Tagebüchern des 19. Jahrhunderts Beschreibungen von Tieren, die auf Exemplare dieser Wildhundeart hindeuten. Nachdem aber seither keinerlei ernstzunehmende Sichtungen verzeichnet wurden, hat die IUCN Dusicyon avus 2015 in die Liste der ausgestorbenen Arten aufgenommen. Das Bild zeigt einen ausgestopften nahen Verwandten von D. avus, den Falklandfuchs (Dusicyon australis).

Foto: Kane Fleury

Akialoa ellisiana (Oahu ‘akialoa)

Die hawaiianischen Inseln gehören zu den bemerkenswertesten Beispielen für ein vom Menschen verursachtes Artensterben, das sich durch den Niedergang einer ganzen Familie von Finken, den sogenannten Kleidervögel, besonders gut illustrieren lässt. Wie Darwins berühmte Finken entwickelten diese Vögel eine Vielzahl von Schnabelformen, wodurch sie in der Lage waren zahlreiche Nischen zu erobern, die Hawaiis vielgestaltiger Pflanzenwelt zu verdanken ist.

Inzwischen aber existieren nur mehr weniger als die Hälfte der ursprünglichen hawaiianischen Kleidervögel. Ihr spezialisiertes Verhalten macht sie besonders anfällig für die Zerstörung von Lebensräumen. Die Ausbreitung der Vogelmalaria zwang außerdem viele Populationen in Höhenlagen, in denen Mücken nicht gedeihen können. Der Oahu-Akialoa war ein kleiner Fink mit einer langen, gebogenen Schnabel, der sich von Insekten und Nektar gleichermaßen ernährte. Wann genau er verschwand, ist unklar, seit 2016 jedoch gilt er offiziell als ausgestorben.

Illustr.: John Gerrard Keulemans

Chelonoidis abingdonii (Pinta-Riesenschildkröte)

Eine der bekanntesten in den letzten Jahren ausgestorbenen Arten ist die Pinta-Riesenschildkröte. Das letzte bekannte Exemplar dieser einst auf der Galápagosinsel Pinta vorkommenden Schildkrötenart war Lonesome George, der um 1910 auf Pinta aus dem Ei geschlüpft sein dürfte. Wie alt das Tier tatsächlich wurde, ist unbekannt. Das männliche Exemplar war 1972 von Ziegenhirten gefunden worden. Auf der Forschungsstation der Insel Santa Cruz wurde mehrfach versucht, die Gene Lonesome Georges durch Paarung mit Riesenschildkröten-Weibchen verwandter Arten zu erhalten. Die Weibchen legten zwar mehrere Eier, die waren jedoch alle unbefruchtet.

Bis zuletzt hatten Biologen gehofft, auf der Nachbarinsel Isabela doch noch eine genetisch entsprechende Geschlechtspartnerin zu finden. Lonesome Georges Artgenossen wurden über viele Jahre hinweg getötet. Seefahrer luden die Tiere als Nahrungsmittel aufs Boot, weil sie auch ohne Pflege lange Zeit bis zum Schlachten frisch blieben. Auf die Galápagosinseln eingeschleppte Ratten fressen Eier und Nachkommen der Schildkröten. Vielerorts wurde zudem ihr Lebensraum zerstört. 2016 nahm die IUCN die Pinta-Riesenschildkröte in die Liste ausgestorbene Arten auf.

Foto: APA/AFP/RODRIGO BUENDIA

Alburnus nicaeensis

Alburnus nicaeensis war ein Süßwasserfisch, der bis zum Ende des 20. Jahrhunderts im İznik-See in der Türkei gefunden wurde. Die örtliche Fischereiindustrie besetzte den See jedoch mit anderen Arten wie beispielsweise dem Kleinen Ährenfisch (Atherina boyeri), der Alburnus nicaeensis schließlich verdrängte. Biologen und Fischer haben den bis zu 15 Zentimeter langen Karpfenfisch in neueren Erhebungen und Fängen nicht mehr zu Gesicht bekommen. Die IUCN erklärte ihn 2014 für ausgestorben.

Foto: Academia Sinica

Viola cryana

Dieses französische Veilchen lebte ausschließlich auf der Südseite von Kalksteinhügeln im französischen Departement Yonne südöstlich von Paris. Schon ab den späten 1920er Jahren schien die kleine violette Blume nicht mehr vorhanden, ihr Verschwinden wird einerseits Hobbybotanikern angelastet, die zu vieler dieser Pflanzen ausrissen. Zum anderen macht man intensiven Abbau von Kalkstein in der unmittelbaren Umgebung des Vorkommens von Viola cryanas verantwortlich. Im Jahr 2011 wurde die Spezies endgültig in die Liste ausgestorbener Arten aufgenommen.

Foto: Muséum national d'Histoire naturelle

Pyrocephalus dubius (San-Cristóbal-Rubintyrann)

Tyrannen sind nicht nur grausame politische Machthaber, auch eine Familie von häufig recht farbenfrohen Sperlingsvögeln wird so bezeichnet. Einer davon, der knallrote San-Cristóbal-Rubintyrann, war auf der Galapagosinsel San Cristóbal endemisch und weit verbreitet. Wissenschaftler haben seit den 1980er Jahren jedoch keine Sichtung dieses Vogels mehr gemeldet, wahrscheinlich aufgrund der Auswirkungen durch eingeschleppte Ratten.

Aber auch die Vogelgrippe dürfte eine Rolle gespielt haben. Offiziell für ausgestorben wurde der San-Cristóbal-Rubintyrann im Jahr 2016 erklärt. Das Bild zeigt den nahe verwandten Galapagos-Rubintyrann (Pyrocephalus nanus).

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Links

Nachlese

(tberg, 1.1.2020)

Foto: Thomas O'Neil