Gregor Schlierenzauer geht seiner elften Tournee entgegen. Mit "leuchtenden Augen", wie der bald 30-jährige Stubaier sagt.

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Der Tiroler konnte 2012 und 2013 die Tournee gewinnen.

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Schlierenzauers letzter Podestplatz im Einzel liegt jedoch mehr als fünf Jahre zurück.

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Stefan Kraft wird zugetraut, was Gregor Schlierenzauer schon gelungen ist – ein zweiter Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee. Der 26-jährige Salzburger, 2014/15 nicht zu biegen und in dieser Saison im Weltcup einmal siegreich, ist das heißeste Eisen im siebenköpfigen Aufgebot von Chefcoach Andreas Felder, das am Samstag (16.30, ORF 1) in die Qualifikation für das Auftaktspringen in Oberstdorf geht.

Der bald 30-jährige Tiroler, Tourneesieger 2012 und 2013 und Sieger in insgesamt neun Tourneespringen, ist dagegen kaum berechenbar – vielleicht auch für sich selbst nicht. Schlierenzauers letzter Podestplatz im Einzel liegt mehr als fünf Jahre zurück – die Durststrecke wirkt allerdings wie fast schon zurückgelegt.

STANDARD: Sie nehmen Ihre elfte Vierschanzentournee in Angriff.

Schlierenzauer: Tatsächlich, ich habe gar nicht mitgezählt.

STANDARD: 2006 haben Sie im ersten Versuch in Oberstdorf gewonnen. Woran kann man sich da erinnern? Wie anders ist die Gefühlslage jetzt, in der aktuellen Saison?

Schlierenzauer: Es ist wie im normalen Leben auch, die emotionellen Peaks, ob positiv oder negativ, bleiben meistens hängen. Natürlich war es etwas Besonderes, erstmals teilzunehmen und auch gleich zu gewinnen. Aber es ist auch schon brutal lange her. Die Tournee an sich ist immer etwas Besonderes vom Flair her, ein bisschen wie Wimbledon für Skispringer. Ich freue mich irrsinnig, dass ich wieder dabei bin. Ich bin kein unbeschriebenes Blatt, habe eine gewisse Geschichte, aber ich denke, dass ich ganz gut gerüstet bin. Ich lasse mich überraschen, möchte einfach meinen Weg weiterführen, das Beste geben. Wenn es gelingt, auf einer Station ein Highlight zu setzen, für mich persönlich, dann war das schon eine tolle, schöne Tournee.

STANDARD: Ist es für Sie als Suchenden einfacher, in ein normales Weltcupwochenende zu gehen, als in einen Saisonhöhepunkt?

Schlierenzauer: Als Suchenden würde ich mich gar nicht mehr beschreiben, ich würde eher sagen, dass ich auf dem Weg bin. Und es passt mir sehr gut hinein, dass jetzt sehr viele Sprünge in kurzer Zeit kommen, von Schanzen, die ich gut kenne, auf denen ich gute Erfahrungen habe. Die Tournee ist vom Flair her an sich viel toller und schöner. Ich werde es auch genießen, zu Hause zu springen.

STANDARD: Sie gehen seit April Ihren Weg mit Werner Schuster zusammen, Ihrem ehemaligen Trainer in Stams, dem Ex-Chefcoach des deutschen Teams, der Sie berät. Wie weit sind Sie gekommen: in Zielnähe, oder fehlt noch viel?

Schlierenzauer: Es fehlen schon noch Details, die ganz sauber auf den Punkt sein müssen, um wieder auf dem Podest zu sein oder ganz oben zu stehen. Das ist das langfristige Ziel, das ergibt sich erst dann, wenn die Dinge passen, der Sprung passt. Wenn es wieder funktioniert zu schweben, dann ist das ein irres Gefühl. Da ist mir heuer schon zwei-, dreimal etwas gelungen. Das nehme ich mit. Ich bin in einer ganz interessanten Phase. Ich bin kein Favorit, habe aber auch nichts zu verlieren. Ich bin bestärkt und bestätigt auf meinem Weg. Und es ist schön, dass ich das in vielen Wettkämpfen in kurzer Zeit umsetzen kann.

STANDARD: Wie darf man sich die Zusammenarbeit mit Schuster während der Tournee vorstellen? Wie oft wird es Kontakt geben?

Schlierenzauer: Das ist natürlich ein bisschen situativ, aber er war ja selbst sehr lange in einem System und weiß, wie es in einem System funktioniert. Deshalb ist das Dreieck aus Cheftrainer Andreas Felder, Co-Trainer Robert Treitinger und Schuster in engem Austausch. Die Trainer und Betreuer entscheiden, was schlussendlich zu mir selbst kommt. Natürlich gibt es ab und zu eine Whatsapp, aber es ist schon alles so, wie es im Sportlerleben sein soll, nämlich dass es über die Trainer läuft. Sonst kostet es auch zuviel Energie. Wenn mir vorkommt, ich brauche Input, dann wird der kommen, aber ich brauche nicht vor oder nach jedem Sprung ein Feedback von daheim.

STANDARD: Sie finanzieren die Zusammenarbeit mit Schuster selbst. War dieses Investment in die weitere Karriere unabdingbar?

Schlierenzauer: Der Gedanke war, dass es keine Frage des Aufwandes sein darf, wenn ich weitertue. Es musste einfach persönlich passen. Dadurch, dass ich vergangene Saison durch meine Leistungen eigentlich in keinem Kader mehr war, war sowieso klar, dass ich meinen eigenen Weg gehe. Natürlich hat mich der Skiverband in keiner Weise fallen lassen. Mir wurde das klargemacht, aber auch, dass ich den Werner selber finanzieren muss. Das tue ich auch, und so ist das für alle schwer in Ordnung und im Endeffekt im Sport nie anders. Ich bin meinem Sponsor gegenüber sehr dankbar, dass er mich dabei unterstützt.

STANDARD: Gibt es da einen zeitlichen Horizont?

Schlierenzauer: Noch nicht, aber der Weg ist sehr erfüllend. Wie weit er noch geht, wird man sehen, das ist noch nicht besprochen. Aber gemessen am Spaß, den ich jetzt habe, kann ich mir vorstellen, dass ich noch einige Jahre Ski springen werde. So schnell werdet ihr mich nicht los.

STANDARD: Spitzensportler können sich nicht gehen lassen, aber Skispringer müssen sich besonders im Griff haben, um die körperlichen Voraussetzungen für weite Flüge zu erhalten. Ist das für Sie mit dem Alter schwieriger geworden?

Schlierenzauer: Das Gewicht hat für mich Gott sei Dank nie so eine Rolle gespielt, weil ich da eine sehr gute Veranlagung habe. Aber es war schon ein Thema, einmal zu leben und nicht nur besessen dem Erfolg nachzujagen. Es sich gutgehen zu lassen und dabei kein schlechtes Gewissen zu haben habe ich auch in der herausfordernden Zeit gelernt. Dass nicht nur die Leistung zählt, sondern auch der Mensch. An Festtagen esse ich genauso normal und trinke ein Glaserl Rotwein, weil es dazugehört und weil es schmeckt. Da bin ich lockerer geworden, da ist die Verbissenheit nicht mehr so extrem.

STANDARD: Das hätte sich der 22-Jährige Gregor nicht gestattet?

Schlierenzauer: Nein, ganz sicher nicht. Da bin ich beinhart den Weg gegangen, ohne Kompromisse. Das ist jetzt nicht mehr der Fall.

STANDARD: Da hätte es wohl auch während der Saison kaum so etwas gegeben wie zuletzt Ihren Aktionstag in Seefeld zur Unterstützung gehörloser Jugendlicher.

Schlierenzauer: Es ist jetzt einfach die passende Zeit. Es ist gut, dass ich als Betroffener meine Öffentlichkeit nutze, Menschen mit Hörbehinderung Mut mache, ihren eigenen Weg zu gehen, daran zu glauben, dass sie ihre Ziele erreichen können. Es ist höchste Zeit, dass man da ein Tabu wegnimmt. In Zukunft möchte ich in diese Richtung noch einiges tun, weil es eine Herzensangelegenheit ist. (Sigi Lützow, 28.12.2019)