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Der Jahreswechsel ist für viele Menschen Anlass, auf das alte Jahr zurückzublicken und gute Vorsätze für das neue zu fassen.

Foto: Picturedesk / Ernst Weingartner

Ist nach den Wochen der Vorweihnachtshektik auch der Heiligabend einigermaßen unbeschadet überstanden und das Hamsterrad des Alltags noch außer Betrieb, findet man sich plötzlich in einem sonderbaren Zwischenreich wieder. "Die Zeit zwischen den Jahren" nennt man diese Tage zwischen dem 24. Dezember und Silvester, die dem alten Jahr nicht mehr richtig angehören, aber auch noch nicht zum neuen zählen. Es ist eine eigenartige Zäsur im Jahreslauf.

In diesen Tagen, die wie in einer Zeitblase über dem Meer der üblichen Pflichten und Routinen schweben, richtet sich der Blick unweigerlich auf das so gut wie abgelaufene Jahr. Nicht alles, was wir dort sehen, erfüllt uns mit Zufriedenheit. Weil wir aber mit Ungeduld dem Glück zustreben, wollen wir als Hobbyarchitekten unseres Lebens wieder einmal selber Hand anlegen. So werfen wir schwungvoll den Hut aufs nicht mehr Änderbare und wenden uns hoffnungsvoll in Richtung Zukunft.

Heimwerkerset für gute Vorsätze

Das etwas derbe Werkzeug, mit dem wir in diesem noch unbefleckten Raum der Möglichkeiten zugange sind, finden wir im Heimwerkerset für gute Vorsätze. Dass wir damit etwas Brauchbares bauen können, bezweifeln wir zwar von Jahr zu Jahr mehr, aber Rituale wirft man nicht so ohne weiteres über Bord. Und das ist grundsätzlich auch gut so, wie Experten in Sachen "gute Vorsätze" beteuern. "Die Tage um Neujahr sind eine rituelle Zeit, um sich innerlich und äußerlich zur Ruhe zu bringen, nachzudenken und Ansatzpunkte für angestrebte Veränderungen zu finden", sagt Barbara Schober vom Institut für Angewandte Psychologie der Universität Wien.

Gelegentlich über das eigene Tun und Sein nachzudenken und Nachadjustierungen vorzunehmen ist zweifellos sinnvoll – aber wie ernst kann man dabei die guten alten Neujahrsvorsätze nehmen? Ist doch hinlänglich bekannt, wie schnell diese in gehobener Jahreswechsellaune zusammengeschusterten Absichtserklärungen mangels greifbarer Erfolge implodieren und außer ein bisschen schlechtem Gewissen nicht viel hinterlassen.

Unkonkrete Ziele

Weniger Fleisch, weniger Süßes, weniger Kilos, dafür mehr Bewegung im neuen Jahr … Spätestens im März stellt sich dann die nüchterne Erkenntnis ein, dass vor allem die guten Vorsätze an Gewicht verloren haben. Deshalb das Ritual der Neujahrsvorsätze generell zu diskreditieren, hält die Expertin allerdings für voreilig. Also lieber erst das Kind aus der Wanne nehmen, bevor man das Bad ausschüttet. "Gute Vorsätze werden deshalb so schnell gebrochen, weil man sich oft sehr unkonkrete Ziele setzt und keine Strategien entwickelt, wie man sie erreichen kann", sagt die Psychologin, die unter anderem zum Thema "Selbstregulation" forscht. "Wenn ich etwa den Vorsatz habe, ‚Ich mache im nächsten Jahr mehr Sport‘, wird das wahrscheinlich nicht funktionieren."

Höhere Erfolgswahrscheinlichkeit habe ein Vorsatz, wenn er sich in einem konkreten Ziel ausdrückt und die einzelnen Schritte dorthin bedenkt. Ein Neujahrsvorsatz nach dem Muster "Ich möchte jetzt wieder mehr laufen, und zwar einmal pro Woche", habe deshalb größere Chancen auf Verwirklichung. "Man muss sich gut überlegen, wie die Umsetzung eines Vorhabens in unserem durchgetakteten Alltag Platz findet", so Schober. "Tun wir das nicht, ist die Energie verbraucht, bevor wir die Realisierung unserer Vorsätze angehen können."

Auch sollten wir uns auf ein zähes Ringen mit festgefahrenen Denk- und Verhaltensweisen einstellen. Der innere Schweinehund ist bekanntlich ein Gewohnheitstier, und um das träge Vieh aus dem Weg in unsere bessere Zukunft zu drängen, braucht es schon mehr als ein bisschen Überredungskunst. Üblicherweise ist die Überschreitung diverser Schmerzgrenzen bei diesem mühsamen Unterfangen ausgesprochen hilfreich. Aber muss es wirklich erst wehtun, um dem inneren Schweinehund die Lethargie auszutreiben und ein paar Prioritäten zu verschieben? "So hart würde ich es nicht formulieren", erinnert die Psychologin an die Kraft positiver Worte und Gedanken. "Es braucht vor allem Anlässe – und das müssen nicht immer körperliche oder psychische Schmerzen sein." Oft reiche schon der Übertritt in ein neues Jahr oder das gute Beispiel eines Freundes.

Vieles in unserem Leben funktioniert, weil wir auf eine Reihe gut eingespielter Abläufe trainiert sind und unser Tun nicht laufend infrage stellen. "Wenn wir daran etwas ändern wollen, müssen wir dafür ausreichend zusätzliche Zeit und Energie einkalkulieren", sagt die Psychologin. "Um Frustrationen vorzubeugen, sollten wir uns außerdem in Geduld üben, denn Erfolge werden oft erst längerfristig spürbar."

Misserfolge einplanen

Und wenn wir all diese klugen Tipps beherzigt haben, geduldig in kleinen, gut geplanten Schritten auf ein konkretes, von Herzen angestrebtes Ziel zusteuern und letztlich trotzdem auf die Nase fallen? "Vorsätze gehen auch dann schief, wenn man keine Misserfolge einplant", verweist Schober auf einen häufig vergessenen Erfolgsfaktor. Für die meisten komme unweigerlich der Tag, an dem sie rückfällig werden. "Das ist keine Katastrophe, wenn man Rückfälle einkalkuliert und sich vorher überlegt, was dann zu tun ist."

Gehen wir es einigermaßen clever an, steht der erfolgreichen Selbstoptimierung also kaum etwas im Weg. Es sei denn, es mangelt uns an Glaubensfestigkeit: "Der Glaube, dass man selbst etwas verändern kann, ist ein Prädiktor für langfristigen Erfolg", so die Psychologin.

Dass zur Selbstregulation begabte Menschen in vielen Lebensbereichen erfolgreicher sind als jene, die sich mit dem Aufschieben von Genüssen etwas schwerer tun, haben zahllose wissenschaftliche Untersuchungen belegt. Wer sich selbst einigermaßen disziplinieren kann, ist im Durchschnitt schlanker, seltener drogenabhängig, hat einen höheren Bildungsabschluss, stabilere Beziehungen und noch viele andere im Leben sehr hilfreiche Vorteile.

Mehr Genuss im neuen Jahr

Und trotzdem – macht die permanente Selbstkorrektur wirklich zufriedener, solange man damit seine Ziele erreicht? Kommt auf den Typ an, fanden Wissenschafter der Wirtschaftsuniversität Wien vor einiger Zeit heraus. So sind eher emotional veranlagte Menschen durch konsequentes Zurückstellen ihrer aktuellen Bedürfnisse deutlich unzufriedener als rationale Typen. Selbst dann, wenn sie ihre guten Vorsätze durch den Verzicht verwirklichen konnten. Nicht für jeden ist strenge Selbstdisziplinierung also der Königsweg zum Lebensglück. Wie immer geht es eben auch hier um die richtige, an den jeweiligen Menschen angepasste Dosis.

Das Beste an den guten Vorsätzen: Sie lassen sich ganz leicht an alle möglichen Bedürfnislagen anpassen. Statt weniger Süßigkeiten zu essen kann man sich ja auch vornehmen, im nächsten Jahr mehr Genuss in sein Leben zu bringen. (Doris Griesser, 31.12.2019)