Eine Frau mit ihrem Kleinkind im von den Kurden kontrollierten Camp al-Hol im Nordosten Syriens. Die Aufnahme stammt von Anfang Dezember.

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Vor wenigen Jahren trafen sie die Entscheidung, sich dem sogenannten "Islamischen Staat" anzuschließen und Österreich den Rücken zu kehren. Heute sitzen die 23-jährige Salzburgerin Maria G. und eine 20-jährige Wienerin mit ihren Kindern in einem kurdischen Lager in Syrien fest.

Seit Monaten wird darüber debattiert, ob sich die Behörden aktiv darum bemühen sollen, die Österreicherinnen und ihre Kinder heimzuholen. Bereits gelungen ist Anfang Oktober eine entsprechende Rückführung von zwei Waisen, den Kindern der mutmaßlich toten Wienerin Sabina S.

Doch seither scheint wenig Bewegung in die Sache jener Kinder gekommen zu sein, deren Mütter noch am Leben sind. Die Zustände im Lager al-Hol, in dem sich Maria G. mit ihren beiden Kindern befindet, sind prekär. Die Kurden werden von den Herkunftsländern der Gefangenen weitgehend alleingelassen, das Lager ist hoffnungslos überfüllt. Laut UN sind mit Stand September 2019 bereits fast 400 Kinder durch Unterernährung oder Infektionen vor Ort gestorben. Zahlreiche Kinder verfügen über keine Dokumente.

Bitte an Außenministerium

Das Außenministerium bestätigte am Montag einen Bericht des STANDARD, dass ein DNA-Test die Elternschaft Maria G.s zu ihren beiden Kindern beweist. Damit steht fest, dass die Kinder österreichische Staatsbürger sind. Wann oder ob es zu einer Rückholung kommen werde, darüber gibt es bisher mit dem Verweis auf Sicherheitsrisiken in der Region keine Auskunft.

Von politischer und von Expertenseite wird indes versucht, Bewegung in die Angelegenheit zu bringen. Per Brief an den Außenminister Alexander Schallenberg appellierten zahlreiche namhafte Psychotherapeuten, Psychologen und Sozialarbeiter für die rasche Rückholung der sich in den syrischen Lagern befindlichen Kleinkinder und ihrer Mütter.

Sie fordern den Außenminister auf, "alles nur Mögliche zu unternehmen, damit die jungen Mütter und ihre Kinder, deren Wohl höchst gefährdet ist, möglichst rasch in ihre Herkunftsfamilien" zu bringen. Darüber hinaus solle der Außenminister sich im Rahmen seiner Möglichkeiten "dafür verwenden, dass diese Frauen einer Gerichtsbarkeit unterzogen werden, welche die Bedeutung von Handlungen und Entscheidungen in der Adoleszenz gemäß Jugendstrafrecht berücksichtigt".

Mit Entwicklungsverzögerungen rechnen

Unterzeichnet wurde der Appell unter anderem von Peter Zumer, Präsident des Österreichischen Vereins für Individualpsychologie, Leonhard Thun-Hohenstein, dem Präsidenten der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, und Josef Bakic, dem Studiengangsleiter Soziale Arbeit der Fachhochschule Campus Wien. Initiiert wurde der Appell von Psychologin und Psychotherapeutin Karin Lebersorger.

"Man kann davon ausgehen, dass Kinder, die Krieg und Vertreibung erleben, unter multipler Traumatisierung leiden", sagt Lebersorger zum STANDARD. Das gelte nicht nur für die österreichischen, sondern für alle Kinder, die in derartigen Lagern aufwachsen müssen. Mit Entwicklungsverzögerungen müsse man bei Mangelversorgung und wenigen Möglichkeiten, altersgemäße Erfahrungen zu sammeln, rechnen.

"Kinder können unter solchen Bedingungen nur schwer ein Vertrauen in die Welt entwickeln, das für die späteren Entwicklungsaufgaben grundlegend ist", sagt Lebersorger. Es sei keinesfalls so, dass man von "verlorenen Kindern" sprechen könne. Aber: "Umso früher eine Behandlung beginnt, umso besser kann Erlebtes verarbeitet und zunehmend integriert werden."

Parlamentarische Anfrage an Außenminister

Fragen an den Außenminister gibt es auch von politischer Seite. Die grüne Nationalratsabgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic will per parlamentarischer Anfrage etwa wissen, ob und in welchem Zeitraum eine Rückholung angedacht ist. "Wenn andere Staaten wie Deutschland es schaffen, ihre Kinder nach Hause zu bringen, verstehe ich nicht, warum uns das nicht auch für österreichische Kinder gelingen soll", sagt Ernst-Dziedzic zum STANDARD.

Außerdem will sie vom Außenministerium wissen: "Welche Strategie verfolgen Sie, um eine weitere Radikalisierung der österreichischen Insassen zu verhindern und damit für den Fall, dass diese eines Tages auf die eine oder andere Art und Weise zurückkehren, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwenden?"

Vor wenigen Tagen hat etwa die finnische Regierung zwei Kinder aus dem Lager al-Hol heimgeholt. (Vanessa Gaigg, 30.12.2019)