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Die Regenwaldidylle täuscht: Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro steht keineswegs auf der Seite der Umweltschützer.
Foto: AP / Eraldo Peres

"Leonardo DiCaprio ist ein netter Kerl, oder?", fragt Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro vor Journalisten, um gleich selbst zu antworten: "Er gibt Geld, um den Amazonas-Regenwald in Brand zu stecken." Der so attackierte Schauspieler und Klimaaktivist weist prompt die Vorwürfe zurück.

Als im Spätsommer große Teile des Regenwaldes in Flammen stehen, schaut die ganze Welt besorgt nach Brasilien. Erst negierte Bolsonaro die Brände, dann machte er kurzerhand Umweltschützer dafür verantwortlich. Es sind Anschuldigungen, die absurd klingen – das gehört zum System Bolsonaro. Seine Anhänger danken es ihm, denn sie beklagen schon lang "westliche Besserwisserei" und Einmischung in die inneren Angelegenheiten Brasiliens.

Seit einem Jahr ist Bolsonaro an der Macht – und er hat Brasilien nachhaltig verändert.

Wo bleibt der Aufschwung?

Das Land ist gesellschaftlich tief gespalten, der versprochene wirtschaftliche Aufschwung blieb aus, und die Armutsrate hat sich auf rund 25 Prozent erhöht. Dafür hat Bolsonaro als erste Amtshandlung seiner Regierung das Waffenrecht flexibilisiert: "Gute Bürger" müssten sich vor Kriminellen schützen können, argumentiert der Ex-Militär. Wie sein Vorbild aus den USA vertritt der "Donald Trump der Tropen" die These: Viele Waffen sorgen für Abschreckung und damit für mehr Sicherheit.

Dabei ist vor allem die Gewalt von Polizei und Militär in den vergangenen Monaten enorm angestiegen. Allein im Bundesstaat Rio de Janeiro starben durch Polizeigewalt fast fünf Menschen pro Tag. Schon im Wahlkampf hatte Bolsonaro Polizisten ermuntert, zur Waffe zur greifen. "Erst schießen, dann ansprechen", war sein Rat an die Sicherheitskräfte. Ermittlungen müssen Polizisten ohnehin nicht befürchten – selbst wenn sie Unbeteiligte erschießen oder vermeintliche Kriminelle gleichsam exekutieren. Im November brachte Bolsonaro ein Dekret in den Kongress ein, das Polizei und Militär ein "Handeln in Notwehr" verspricht.

"Wenn sich die Linke radikalisiert, müssen wir eine Antwort haben"

Bolsonaros Sohn Eduardo, der Abgeordneter und enger Berater seines Vaters ist, denkt sogar laut darüber nach, das Dekret AI-5 (Acto Institucional) aus der Diktaturzeit wiedereinzuführen. Es ist seine Antwort auf die sozialen Proteste in ganz Südamerika, die – wie er befürchtet – auch Brasilien erreichen könnten. "Wenn sich die Linke radikalisiert, müssen wir eine Antwort haben", sagt Eduardo Bolsonaro.

AI-5 steht für die grausamste Phase der Militärdiktatur in Brasilien (1964 –1985) und gibt dem Präsidenten uneingeschränkte Rechte – er kann dadurch sogar den Kongress schließen.

Viele Brasilianer reagierten schockiert – doch öffentliche Proteste gab es kaum. "Die Opposition ist völlig in sich zusammengebrochen", sagt Vladimir Safatle von der Universität in São Paulo. Das sei ein einmaliger Vorgang in der Geschichte Brasiliens. "Die Opposition ist nicht in der Lage, eigene Themen zu setzen." Der Politikwissenschafter Oliver Stuenkel von der Wirtschaftsuniversität Getúlio Vargas in São Paulo betont: "Es gibt keine Opposition, dafür aber Militärs und Evangelikale, die in der Regierung gegeneinander arbeiten und sich blockieren." Die Chancen, dass Bolsonaro seine Amtszeit nicht übersteht, sieht er bei nur 50 Prozent.

Lula wittert eine Chance

Als Links-Ikone und Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (2003 bis 2010) Anfang November aus der Haft entlassen wurde, schwenkte er sofort in den Wahlkampfmodus um. Er werde Brasilien von "diesem Wahnsinn befreien", versprach er seinen jubelnden Anhängern. Der 74-Jährige will sogar bei den Wahlen in drei Jahren erneut als Präsidentschaftskandidat antreten. Doch Lula ist nach wie vor wegen Korruption zu zwölf Jahren verurteilt, bloß nicht in letzter Instanz. Damit ist eine Kandidatur nicht möglich.

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Links-Ikone Lula da Silva hofft auf ein Comeback als Präsident.
Foto: REUTERS/Rahel Patrasso

Zum System Bolsonaro gehört auch sein Feldzug gegen die Wissenschaft: Zuerst schnitt er die Ministerien neu zu, kürzte der Umweltbehörde Ibama und der Indianerbehörde Funai die Mittel und besetzte Chefposten mit Militärs. Neue Gesetze brauchte Bolsonaro vorerst nicht, im Amazonas-Gebiet herrscht ohnehin das Recht des Stärkeren – mit verheerenden Folgen. Die Ureinwohner sieht Bolsonaro als Hindernis für Fortschritt. Er will in ihren Schutzgebieten Bergbau zulassen. Schon heute sind sie illegalen, schwer bewaffneten Holzfällern schutzlos ausgeliefert. 2018 wurden laut dem Indianermissionsrat Cimi 135 Ureinwohner ermordet. 2019 werde die Zahl noch höher gewesen sein, befürchtet Cimi.

International anerkannt ist das staatliche Weltrauminstitut Inpe, das per Satellit die Abholzung im Amazonas-Regenwald überwacht und Brandherde ausfindig macht. Als deren Leiter Ricardo Galvão im Juni alarmierende Zahlen über einen sprunghaften Anstieg der Abholzung vorlegte, handelte Bolsonaro sofort: Er bezichtigte Galvão der Lüge und entließ den international anerkannten Physiker. Auch Galvão, der prompt von der Zeitschrift Nature als einer der zehn wichtigsten Wissenschafter gewählt wurde, galt Bolsonaro als Hindernis für "Fortschritt" im Amazonas-Gebiet. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 31.12.2019)