Auf dem Gipfel ist es recht ruhig, am Fuße des Berges tummeln sich die Massen – für den Tourismusforscher Peter Zellmann ist es an der Zeit, die Wachstumshörigkeit zu beenden.

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Der Mensch schafft es immer wieder, eine an sich gute Idee ins Negative zu verkehren – von Kernkraft bis Airbnb.

Zellmann

Wenn es um Freizeit und Tourismus geht, ist Peter Zellmann in seinem Metier. Sichtlich entspannt von einer "praktischen Feldforschung", wie er Urlaub bezeichnet, kommend, spricht er sich gegen Klimapanik, aber für Umweltschutz aus. Schließlich sei die Natur die Grundlage für Österreichs Tourismus. Er erklärt, wie sich dieser in Zeiten der Erderwärmung entwickeln wird und warum der Massentourismus in Österreich am Limit angelangt ist. Seine Empfehlung: Nicht Quantität und Preis sind für Touristiker künftig der Weg zum Erfolg, sondern Qualität in Form von Zeit, die man sich für die Gäste nimmt.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, Österreich sei Tourismus-Weltmeister. In welcher Disziplin?

Peter Zellmann: Wir sind Tourismus-Gastgeber-Weltmeister. Also beim BIP-Anteil pro Kopf. Mit Ausnahme der Mittelmeerinseln Malta und Zypern, die nur vom Tourismus leben, ist er bei uns weltweit der größte.

STANDARD: Ist das den Österreichern bewusst?

Zellmann: Bei uns ist fast jeder irgendwie mit dem Tourismus verbandelt – nicht nur in Tirol oder Salzburg, auch in Wien und im Burgenland. Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Tourismus, die von der Politik völlig unterschätzt wird, ist dem Menschen bewusst. Eines der Beispiele, wie groß die Schere zwischen Politik und Alltagsempfinden der Menschen ist.

STANDARD: Inwiefern nimmt die Politik Tourismus anders wahr?

Zellmann: Der Tourismus läuft seit Jahrzehnten eigentlich nur so mit. Volkswirtschaft ist für die Politik Industrie, das ist Verkehr, das ist Bauwirtschaft.

STANDARD: Westliche Volkswirtschaften entwickeln sich in Richtung Dienstleistungen. Dazu zählt auch Tourismus. Warum tun sich Politiker damit so schwer?

Zellmann: Die Politik tut sich mit vielem schwer. Man darf nicht vergessen: Politik ist Macht und nichts anderes. Dann ist es eine PR-Maßnahme, mit welchen Überschriften und Schlagworten man scheinbar die Bedürfnisse der Menschen decken kann, in Wahrheit aber Macht absichert. PR ist Politik – wer das beherrscht, wird die Nase vorne haben.

STANDARD: Können Sie das konkret erläutern?

Zellmann: Die FPÖ hat seit 2015 in der Ausländerfrage ihre Macht zementiert – und jetzt ist es mit der Grünbewegung die Klimafrage. Mit Ausländern und Klima kann man Menschen emotional abholen und ihnen vorgaukeln, es habe mit ihrer Lebensqualität zu tun. Diese Aussagen sind aber nicht ehrlich. Wenn man in Ruhe recherchiert, ist in beiden Fällen manches dran, aber es wird übertrieben. Bei dem, was den Menschen wirklich wichtig ist, spielen weder die Ausländer noch das Klima die Rolle, die uns die Überschriften – oder zuletzt die Koalitionsverhandler – vorgaukeln.

STANDARD: Wieso meinen Sie, dass beim Klima übertrieben wird?

Zellmann: Das Ökologiebewusstsein, das in der Bevölkerung zunimmt, ist ein grundvernünftiges Anliegen. Das Problem ist, dass da und dort überzeichnet oder übertrieben wird. Was wir ausblenden, ist, wie Mehrheiten im Parlament zustande kommen. Wir haben 30 Prozent Nichtwähler. Die Grünen bekamen in Österreich 14 Prozent. Unter Berücksichtigung der Nichtwähler sind das nur zehn Prozent der Bevölkerung. 90 Prozent sind gar nicht bei der Klimapanik dabei.

STANDARD: Meinen Sie damit, dass für 90 Prozent beim Klima ein paar Lippenbekenntnisse reichen?

Zellmann: Nicht Lippenbekenntnisse, es ist ein wichtiges und ehrliches Anliegen. Aber Angstmachen erzeugt keine nachhaltige Einsicht. Mit CO2 gibt es einen anonymen Feind wie bei Ausländern. Für die Politik ist das herrlich: Man gibt als Ziel vor, den anonymen Feind zu vernichten und dadurch die Lebensqualität der Wähler zu erhöhen. Mit der Realität hat das wenig zu tun. Es geht darum, die Umwelt wirklich zu schützen, in der Großstadt weniger Auto zu fahren oder mit der Wegwerfgesellschaft Schluss zu machen. Gerade im Tourismus ist es die Aufgabe schlechthin, Harmonie zwischen Ökonomie und Ökologie herzustellen. Vom Tourismus könnte man viel lernen.

STANDARD: Können Sie ein Beispiel dafür geben?

Zellmann: Tourismus ist auf eine gesunde Umwelt angewiesen. Das ist den meisten Touristikern bewusst. Wir werben mit sauberer Umwelt, Österreich ist eines der sichersten, saubersten und schönsten Länder der Welt. Es geht darum, Natur zu schützen, aber auch zu nützen. Tourismus ist regionalwirtschaftlich in Österreich ein wichtiger Bestandteil. Oft wird übersehen, dass viele Berufe indirekt von Tourismus abhängen. Die Lehrer, Tischler, Bäcker und Tankstellenbetreiber sind noch in der Region, weil es Tourismus als wirtschaftliche Grundlage gibt.

STANDARD: So bekommen die Leute eine andere Einstellung zur Umwelt. Aber betrifft das auch die Klimafrage?

Zellmann: Doch. Maßnahmen wie weniger Autofahren, weniger Wegwerfen und weniger Plastik nützen auch dem Klima. All das kann man im Alltag tun – aber verzichte nicht auf den Urlaub! Die Leute haben 14 Tage Urlaub, haben gespart und freuen sich auf Mallorca – und das will man ihnen nehmen? Es fehlt der Mut, zu sagen: Im Alltag kann man 350 Tage pro Jahr so viel für den CO2-Fußabdruck tun, dass Mallorca wieder wettgemacht wird.

STANDARD: In Österreich wird es immer wärmer. Wie wird sich der Tourismus in den nächsten zehn bis 20 Jahren entwickeln?

Zellmann: Im Sommer wird es wärmer, im Winter nicht.

STANDARD: Aber die Winter werden doch auch milder.

Zellmann: Eben nicht. Es gibt regional da und dort mehr Niederschlag und weniger Minusgrade. Aber wenn man eine geschlossene Schneedecke als Grundlage des touristischen Angebots nimmt, hat sich nichts geändert. Was sich geändert hat, ist der Massentourismus im Skilauf, wie wir ihn heute gewohnt sind. Das könnten wir ohne Kunstschnee nicht machen.

STANDARD: Zurück zum Sommertourismus. Profitieren wir vom Comeback der Sommerfrische?

Zellmann: Wir sind der kleine Gewinner der großen Krise. Wenn man im Mittelmeerraum, was ich aber nicht als gesichert erachte, in 30 Jahren klimatische Verhältnisse vorfindet, die Urlaub nicht angenehm machen, dann ist Österreich der Gewinner. In den Bergen ist es kühler, das Angebot reicht von Seen bis zur Kultur. Es gibt kein Land in Europa, das so geschlossen authentisch Gastgeber sein kann im Sommer. Aber es sollte nicht mehr Tourismus werden, wir haben jetzt schon genug.

STANDARD: Sollen künftig nicht noch mehr Gäste kommen?

Zellmann: Der Wachstumshörigkeit müssen wir ein Ende bereiten. Wenn ein Betrieb den Gewinn erhöht, ohne die Leistung zu verändern, heißt das teurer werden oder sparen. Der nächste Schritt sind aber nicht mehr Nächtigungen, sondern sollte für meisten Betriebe mehr Wertschöpfung sein.

STANDARD: Wie soll das gehen?

Zellmann: Wir haben die Chance, die personenbezogene Dienstleistung als Wertschöpfungsfaktor der Zukunft zu erkennen. Und Zeit ist das höchste Gut. Sich die Zeit zu nehmen, auf die Gäste einzugehen. Wie war Ihr Tag? Drückt irgendwo der Schuh? Und der Gast muss lernen, dass Zeit bepreist werden muss. Schon die Lehrer sollten den Schülern lehren, dass Zeit das höchste Gut ist. Zeit ist Lebensqualität.

STANDARD: Für die meisten Menschen wird Zeit immer knapper.

Zellmann: Aber das ist nicht, was sich die Menschen wünschen. Bedürfnisse zu erkennen ist wichtig, da kann der Tourismus die Leitwirtschaft sein. Wer spürt, dass seine Bedürfnisse anerkannt und befriedigt werden, entwickelt eine emotionale Zuneigung und ist auch bereit, dafür zu zahlen.

STANDARD: Also Qualität statt Preis – und gar nicht erst listen lassen auf Buchungsplattformen.

Zellmann: Ja. Qualität ist die Erfüllung von Erwartungshaltung. Und die ist beim Wellness-Urlaub, wo die Infrastruktur wichtig ist, ganz anders als bei Städtereisen. Dann reicht zumeist ein günstiges Quartier mit zentraler Lage.

STANDARD: Das erklärt den Erfolg von Airbnb.

Zellmann: Dass Menschen ihre Wohnung zur Verfügung stellen, ist eine fast natürliche Entwicklung. Was nicht fair ist, ist, dass daraus ein eigener Geschäftszweig wurde. Aber der Mensch schafft es immer wieder, eine an sich gute Idee ins Negative zu verkehren – von Kernkraft bis Airbnb. (31.12.2019)